Wolle statt Borsten, Kulleraugen statt Ringelschwänze: Wo im vergangenen Jahr noch 80 Zuchtsauen gehalten wurden, gehen heute 19 Alpakas ein und aus. Denn Familie Koch aus Paderborn hat ernst gemacht. Seit 2019 züchten die Kochs Alpakas, bieten Wanderungen an und vermarkten die Wolle der Tiere über ihren Online-Shop. „Nur drüber reden nützt ja nichts“, stellt Betriebsleiter Antonius Koch (57) klar. „Man muss es auch machen.“
Vom Aus- zum Einstieg
Gemeinsam mit seiner Frau Lydia (59), Tochter Lena (26) sowie deren Partner Manuel Staub (20) hat Schweinehalter Antonius Koch 2019 den Umstieg eingeläutet. „Wir haben die Zuchtsauen aufgegeben und die Mast auf 240 Schweine runtergefahren“, berichtet der Landwirt. „Mit der neuen Nutztierhaltungsverordnung hätten wir alle Ställe umbauen müssen.“ Eine Investition, die für die Kochs nicht nur wirtschaftlich keine Zukunft hatte. Denn die nachrückende Generation – Lena Koch und Freund Manuel Staub – machte relativ deutlich: Den Betrieb fortführen ja, Schweine halten nein.
Die Liebe zu den Alpakas teilt dagegen die ganze Familie. Bereits 2009 stieß Lydia Koch im Wochenblatt auf einen Beitrag über eine Alpakafarm in Salzkotten. Seitdem schwelt in der Familie der Wunsch, die flauschigen Verwandten der Vikunja selbst zu halten. Nachdem ein erster Anlauf scheiterte – „das ging zu schnell und wir haben kalte Füße bekommen“, so Lydia Koch – zogen im vergangenen Jahr vier Stuten mit einem Fohlen, drei Wallache und ein Deckhengst auf den Hof im Paderborner Ellertal. Mittlerweile umfasst die Herde acht Stuten, drei Fohlen und acht „Jungs“.
Empfindlicher Magen
Bevor die Alpakas auf den Hof der Kochs kamen, hat sich die Familie etwa ein halbes Jahr intensiv mit den Tieren befasst. „Wir haben Schulungen bei erfahrenen Alpakazüchtern und -haltern besucht und einen Sachkundenachweis beim Veterinäramt gemacht“, erzählt Lena Koch. Der Sachkundenachweis ist erforderlich, wenn Alpakas gewerblich gehalten werden. Er sei aber jedem zu empfehlen, so die junge Alpaka-Züchterin weiter. „Alpakas sind besondere Tiere, keine Trendtiere.“
So fressen die Wiederkäuer nur Gras, Heu und etwas Mineralfutter. Der karge Speiseplan geht zurück auf die ihre Herkunft aus den peruanischen Anden. „Da wächst ja nicht viel“, macht Lena Koch klar. Und weiter: „Zu viel Fruchtzucker, Säure und Stärke aus Weizenmehl vertragen die Tiere überhaupt nicht.“ Gerade Spaziergänger, die die Tiere wohlwollend mit Äpfeln oder Brotresten füttern, seien eine regelrechte Gefahr für die Tiere. Die Kochs versuchen, dieses Risiko durch Informationsschilder an den Weiden zu minimieren.
Keine Kuscheltiere
Unwissen kann zudem zu einer sogenannten Fehlprägung der Tiere führen. Werden die Fohlen zu sehr „verhätschelt“, wird also zu viel mit ihnen gekuschelt oder werden sie regelmäßig gestreichelt, denkt das junge Tier, der Mensch sei ein Alpaka. „Das ist die ersten zwei bis drei Jahre toll, weil die Alpakas anhänglich und kuschelig sind“, erklärt Lena Koch. „Dann wird es gefährlich.“ Denn: Mit beginnender Geschlechtsreife wollen die Alpakas die Rangordnung mit ihren Artgenossen klären. Fehlgeprägte Tiere greifen auch den Menschen an – er ist ja schließlich ein Alpaka – und beißen, spucken und treten. „Alpakas sind Distanztiere, keine Kuscheltiere“, unterstreicht Lena Koch. „Die Herde erzieht die Fohlen.“ Mit sechs bis acht Monaten können man anfangen, die Tiere zu trainieren und an Berührung zu gewöhnen.
Hintergrund: Delphine des Landes
Alpakas sind feinfühlige und sehr sensible Tiere. Die „Delphine des Landes“ haben eine beruhigende Wirkung und können Stress reduzieren. Sie werden daher auch bei Therapien gegen Burnout, ADHS oder Depressionen eingesetzt.
Alpakahalterin Lydia Koch sagt: „Die Tiere reflektieren das Verhalten der Menschen. Gerade Kinder merken schnell: Wenn ich laut, hektisch und aufgeregt bin, zieht sich das Tier zurück. Bin ich dagegen ruhig und lesie, kommen die Alpakas von selbst zu mir.“ Bei Wanderungen oder Schnupperstunde beobachtet Lydia Koch oft eine Entschleunigung: „Es kehrt Ruhe ein, Mensch und Tier bauen Vertrauen zueinander auf, der Alltag entschleunigt sich.“
Im Tempo der Tiere
Geld verdienen die Kochs mit Alpakawanderungen, ihrer Zucht sowie der Vermarktung der Wolle. Derzeit geht es etwa fünf Mal pro Woche auf Wandertour. Für 35 € können Interessierte ein Alpaka führen, Begleitpersonen zahlen 20 €. „Unser Anspruch ist, die Besucher richtig gut über Alpakas zu informieren“, sagt Lena Koch. 2 bis 2,5 Stunden dauert eine Wanderung – abhängig von den Tieren. „Das Tempo der Alpakas lässt sich nicht beeinflussen“, so Mutter Lydia Koch. „Der Mensch muss sich dem Alpaka anpassen. Das entschleunigt ungemein.“
Die Wanderungen werden generationsübergreifend gebucht: als teambildende Maßnahmen, anstelle eines Kaffeebesuchs zum Geburtstag oder als Junggesellenabschied. „Die meisten Besucher kommen aus der Region Ostwestfalen“; sagt Lydia Koch. „Wir hatten aber auch schon eine Truppe aus Bremen.“ Gewandert wird mit den sieben „Wanderjungs“. Die Stuten und Deckhengst True Leader haben andere Aufgaben.
675.000 Dollar für einen Hengst
Die Zucht ist das Steckenpferd von Lena Koch und Freund Manuel Staub – der neben seinem Studium passenderweise als selbstständiger Zucht- und Kaufberater für Alpakas arbeitet. Über Kontakte von Manuel Staub kam auch der prämierte Deckhengst „AHL Peruvian Tru Leader“ auf den Hof der Kochs. Wie viel genau True Leader gekostet hat, wollen die Neu-Züchter nicht verraten. Nur so viel: Er wurde schon als Fohlen fünfstellig gehandelt.
Generell seien die Tiere die eigentliche Investition des Einstiegs in die Alpakahaltung und -zucht gewesen, berichten die Kochs. Die Ställe waren ohnehin da und mussten für die Alpakas „nur“ umgebaut werden – Spaltenböden raus, größere Türen rein. Dies hat die Familie ausschließlich in Eigenleistung gestemmt. Teurer wurde es bei der Anschaffung der Tiere. Wandertiere werden ab 1000 € gehandelt, gute Zuchttiere sind ab etwa 6000 € zu haben. Dabei gilt: Je bekannter der Züchter und prämierter das Tier, desto teurer. Der bislang teuerste Deckhengst wechselte in den USA für 675.000 Dollar den Besitzer.
Und so bedeutet Alpaka-Zucht auch immer, die Tiere auf Shows zu zeigen. Dass Corona-bedingt in diesem Jahr viele Shows ausgefallen sind, war für die Neu-Züchter schlicht ein schlechtes Timing. Denn perspektivisch soll nicht nur die eigene Herde ausgebaut werden, True Leader kann für 900 € Decktaxe auch gebucht werden. Künstliche Besamung ist bei Alpakas derzeit nicht möglich.
Der Crimp macht‘s
Entscheidende Qualitätsmerkmale in der Zucht sind Glanz, Dichte, Crimp, Länge und Gleichmäßigkeit der faser. Je feiner, glänzender und gekräuselter – crimpiger – die Alpakafaser, desto hochwertiger das Vlies und wertvoller die Tiere. Das beste Vlies stammt von weißen Alpakas.
Insgesamt ist die Faser der Alpakas sehr weich und im Gegensatz zu Schafswolle nicht fettig. Durch den geringen Fettanteil ist sie beinahe geruchslos und lässt sich als Klimafaser gut in Oberbetten verarbeiten. Auch die Kochs planen, Oberbetten aus dem Vlies ihrer Tiere über den eigenen Onlineshop zu verkaufen. „Wir sind derzeit noch auf der Suche nach einer Weberei für die Wolle unserer ersten Schur“, erzählt Lydia Koch. Gefunden hat die Familie dagegen schon eine Siederei, die aus der Beinwolle der Tiere Seifen herstellt. Die Seife wird nach den Wanderungen verkauft, im Onlineshop vermarkten die Kochs die Rohwolle. „Perspektivisch können wir uns auch einen Hofladen rund um die Produkte unserer Tiere vorstellen“, sagt Lena Koch.
Nebenerwerb mit Zukunft
Ein Vollerwerbsbetrieb wird die Alpakahaltung und-zucht nicht werden, ist sich Lena Koch sicher. „Ich werde weiterhin als Kinderpflegerin arbeiten.“ Die Alpakas ermöglichen es der Familie aber, den Hof als Familienbetrieb zu erhalten. „Das wäre ohne ein anderes Standbein nicht möglich gewesen“, sagt Senior-Chef Antonius Koch. Oft werde gesagt, so Koch weiter, dass die kleineren Betriebe mit dem Strukturwandel nicht mithalten können. „Die Frage ist aber auch: Wollen wir diese Größenordnung überhaupt haben? Ich merke: gerade die junge Generation will das nicht.“ Auch wenn die Schweine vom Betrieb nach und nach verschwinden und ein Großteil der 45 ha Ackerland verpachtet werden, blickt die Familie nicht wehmütig auf den Wandel. Denn: Der Hof hat Bestand.
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