Ich will’s nicht mehr!“, sagt Kathrin Ollendorf heute genauso bestimmt wie vor rund zehn Jahren. Damals stand sie an einem grauen Novembertag, zusammen mit den zwei Prüfern der Landwirtschaftskammer, auf ihrem Hof in Riskau, einem kleinen Dorf im Kreis Lüchow-Dannenberg in Niedersachsen. Die Anwesenden kontrollierten, ob sich die junge Betriebsleiterin an den Plan hielt, den sie für die Förderung von 10 ha Ackerfutterbau mit Schweinehaltung im Freiland eingereicht hatte. „Ich hatte einen etwa 6 mal 20 m breiten Streifen am Rand nicht geerntet, weil ich dort im Sommer zwei Lerchennester gefunden hatte“, sagt Ollendorf. Nun sollte sie das umgehend nachholen. „Für Insekten im Herbst eine Katastrophe“, ärgerte sich die studierte Agrarökologin, „das brachte für mich das Fass zum Überlaufen.“ Sie unterschrieb, dass sie auf die Förderung verzichtete und die Prüfer zogen von dannen. „Für mich war es die beste Entscheidung, die ich treffen konnte, auch wenn mir damit jährlich rund 3000 € fehlen“, sagt Ollendorf, „aber dafür bin ich freier im Wirtschaften.“ – „Und eben dieses Streben nach Freiheit und Autonomie treibt viele Menschen an“, bestätigt Psychologe Dr. Philipp Schäpers, der als Professor am Institut für Psychologie der Universität Münster tätig ist. Seinen Erkenntnissen nach möchte jeder Mensch Kontrolle über das eigene Leben haben und eigenständig handeln können.
Verzicht auf 40 000 €
Verena und Stephan Büssing aus Nottuln, Kreis Coesfeld, erhoffen sich genau diese Selbstbestimmtheit. „Wir wollen in diesem Jahr keinen Förderantrag mehr stellen“, sagt das Landwirtspaar, das in der Summe rund 200 ha bewirtschaftet. Nach den aktuellen Regeln müssten sie 8 ha Ackerfläche stilllegen. „Damit würde uns Futter für unsere Tiere fehlen“, erklärt Verena Büssing, „das müssten wir zukaufen.“ Büssings halten auf den zwei Betriebsstätten in Nottuln und Buldern Bullen, Milchkühe und Mastschweine (siehe Kasten: „Konventionell ohne Förderung“). „Das ergibt doch keinen Sinn: Wir sollen wertvollen Acker brach liegen lassen, obwohl immer noch Menschen auf der Welt hungern?“, formuliert Verena Büssing ihr Unverständnis. Rund 40 000 € Fördergelder will das Betriebsleiterpaar in diesem Jahr daher nicht beantragen. „Rechnen wir die Kosten für den Kauf von Futter und die Abgabe der Gülle, die Pacht der stillgelegten Fläche sowie die Zeit, sich mit den Regelungen auseinanderzusetzen dagegen, dann reduziert sich unser Verlust auf einen vierstelligen Betrag“, rechnet Stephan Büssing vor. Mental buchen sie gegen den finanziellen Verlust das Gefühl der neu gewonnenen Freiheit. An ihr hängt zwar kein Preisschild, doch Psychologe Schäpers sagt: „Die Bewertung erfolgt individuell sehr verschieden und schlussendlich ist es so: ,Der Mensch handelt nicht immer rational‘.“
Konventionell, ohne Förderung
Verena und Stephan Büssing leiten gleich zwei Betriebe. Neben dem Familienbetrieb in Nottuln haben sie auch noch einen in Buldern im Kreis Coesfeld gepachtet. In der Summe bewirtschaften sie 200 ha. Das Ehepaar hat etwa 700 Plätze für Fresser und Bullen, hält 500 Mastschweine sowie 60 Milchkühe. Außerdem gehört eine Biogasanlage mit 240 kWp zum Betrieb.
Ein Spielball der Politik
Für Familie Büssing scheint der finanzielle Verlust verkraftbar. Dabei schmerzen, da sind sich Psychologen einig, Verluste oft besonders stark. Das beobachtet Psychologe Schäpers auch bei den aktuellen Bauernprotesten: „Den Landwirten wird etwas genommen, an das sie sich gewöhnt haben, das erklärt einen Teil des Ärgers.“
Beim Förderantrag ließe sich aus Sicht des Fachmanns auch andersherum argumentieren: „Wer keinen Antrag stellt, der gewinnt etwas. Denn selbst wenn es sich nicht unmittelbar finanziell bewerten lässt, ist es doch von großer Bedeutung: der eigene Seelenfrieden!“
Die „erlernte Hilflosigkeit“ bewältigen
Familie Büssing erwartet dadurch, dass sie keinen Förderantrag mehr stellt, nicht nur mehr Freiraum bei der täglichen Arbeit, sondern auch mehr Zeit für die Familie. „Immer wenn wir in den Urlaub gefahren sind, bestand die Gefahr, dass sich spontan ein Prüfer ankündigt“, sagt Stephan Büssing rückblickend, „das hat uns ungemein gestresst.“ Seinen Mitarbeitern kann und will er diese Verantwortung bei einer Kontrolle nicht aufbürden. Schließlich hängt viel vom Besuch der Kontrolleure ab. „Sind die Prüfungen unangekündigt, stresst das zusätzlich zur ohnehin unangenehmen Situation“, erklärt Schäpers. Der Psychologe führt das auch auf das mangelnde Gefühl von Selbstwirksamkeit zurück. „Wenn ich überzeugt bin, keinen Einfluss auf meine Situation nehmen zu können, dann bin ich nicht selbstwirksam“, erklärt Schäpers, „das macht unzufrieden.“ Und es macht noch etwas mit den Menschen: es lähmt. „Wir Psychologen nennen das ,erlernte Hilflosigkeit‘“, sagt er. Die Grundzüge erklärt ein etwa 60 Jahre altes Experiment mit Hunden (siehe Kasten „Elektrisierte Hunde“).
Elektrisierte Hunde – ein streitbares Experiment zur Hilflosigkeit
Die amerikanischen Psychologen Martin Seligman und Steven Maier erforschten 1967 mit Versuchen an Hunden die „erlernte Hilflosigkeit“. Dazu teilten sie Hunde in Gruppen auf und sperrten sie in Boxen. In der ersten Gruppe wurden die Hunde einem elektrischen Schock ausgesetzt. Den konnten sie jedoch durch das Betätigen eines Hebels beenden. Die Tiere in der zweiten Gruppe erhielten ebenfalls Stromstöße, doch hatten sie keine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und sie zu beenden. In der zweiten Phase steckten die Wissenschaftler die gleichen Gruppen in sogenannte Shuttle-Boxen. Dabei handelte es sich um zwei identische, miteinander verbundene Boxen. Die eine war verdrahtet und die Tiere erhielten erneut Stromstöße. In der anderen Box erhielten sie keine. Die Forscher setzten die Tiere in die Kisten und lösten erneut Schocks aus. In dieser zweiten Phase konnten die Tiere dem unangenehmen Stromschlag entgehen, indem sie in die andere Box wechselten. Die erste Versuchsgruppe, die gelernt hatte, durch ihr eigenes Zutun den Stromschlägen zu entgehen, lernte schnell, dass sie durch den vorzeitigen Wechsel in die „sichere“ Box, den Schmerz vermeiden konnte. Die zweite Gruppe, die den Stromschlägen ausgesetzt war und keine Möglichkeit gehabt hatte, Einfluss darauf zu nehmen, blieb häufig lethargisch liegen und ließ die Schocks über sich ergehen. „Das Experiment, das man heute aus Tierschutzgründen nicht wiederholen würde, gilt als erster Beleg für das Phänomen der ,erlernten Hilflosigkeit‘, die wir auch bei Menschen beobachten“, sagt Psychologe Schäpers.
Das Gefühl, keinen Einfluss auf seine Lage zu haben, führt demnach häufig zur Resignation. „Das Tier oder übertragen auch der Mensch gibt auf und erträgt seine Situation nur noch“, beschreibt Schäpers. Im Extremfall könne das auch Landwirten passieren, wenn sie sich nur noch als Opfer der Politik und den immer neuen Anforderungen sähen. Die erlernte Hilflosigkeit beobachten Psychologen häufig bei depressiven Menschen. Egal, ob die erlernte Hilflosigkeit die Depression bedingt oder eine Nebenerscheinung der Krankheit ist – für Schäpers ist klar: „Jeder Mensch verfügt über psychische Abwehr- und Bewältigungsstrategien, um Problemen zu begegnen.“ Diese sogenannten Coping-Strategien sind individuell unterschiedlich und variieren in Funktionalität und Effektivität: „Während der eine das System lethargisch erträgt, betäubt der andere den Schmerz mit Alkohol. Hierbei handelt es sich um dysfunktionale Strategien. Sie führen häufig zu Stagnation und einer Verschlechterung der Situation. Andere Menschen nutzen funktionalere Strategien, indem sie das Problem aktiv angehen. So erwirken sie auf lange Sicht eine Verbesserung.“
Kein Grund für Proteste
Bei den Landwirten beobachtet der Psychologieprofessor derzeit einen konstruktiven Umgang. „Seinen Unmut mit einer Situation kundzutun, wie es gerade bei den Protesten passiert, ist positiv“, sagt er, „denn das heißt ,Wir stecken den Kopf nicht in den Sand, sondern tun etwas‘.“
Auch Verena und Stephan Büssing haben sich an den Protesten beteiligt. Kathrin Ollendorf hingegen hat sich zurückgehalten. Ihre Bewältigungsstrategie sieht anders aus – genau wie ihr Betrieb (siehe Kasten „Seltene Schweine“). Aktuell hält sie 40 Angler Sattelschweine. Ihre zwei Traktoren braucht Ollendorf nur, um Futter und Wasser zu den Tieren zu bringen, zum Grubbern und für die Neuansaaten. „Die Traktoren laufen ausschließlich auf dem Hof und für Diesel gebe ich monatlich nicht mal 50 € aus“, sagt sie. Die neuen Regelungen beim Agrardiesel und der Kfz-Steuer berühren die studierte Agrarökologin daher nicht.
Seltene Schweine im Wald und auf dem Acker
Der Hutewaldhof von Kathrin Ollendorf liegt in Riskau, einem kleinen Dorf im östlichen Niedersachsen im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Auf rund 10 ha hält die studierte Agrarökologin mit ihrem Partner Holger Linde Angler Sattelschweine im Freiland. Einen Förderantrag stellt sie seit etwa zehn Jahren nicht mehr. Das war ihr aufgrund ihres besonderen Betriebskonzeptes zu kompliziert.
Mit ihren rund 40 Tieren bewirtschaftet Ollendorf außerdem die 2,5 ha Wald auf ihrem Hof. „Die Genehmigung dafür war ganz schön aufwendig – das ist ziemlich einzigartig in Deutschland“, freut sich die 47-Jährige über die erfolgreichen Verhandlungen mit den Behörden. Aktuell reduziert sie die Tierhaltung leicht, weil ihr die passenden Mitarbeiter fehlen. Die Nebenerwerbslandwirtin hofft aber, bald wieder aufstocken zu können. Erlaubt sind ihr bis zu 120 Tiere. „Die Arbeit mit den Schweinen ist zeitintensiv“, erklärt Ollendorf. Neben den Versorgungsarbeiten kontrolliert sie zweimal täglich die Zäune. Alle zwei bis fünf Wochen grenzt sie neue Flächen und die dazugehörigen Wege ab. Die Tiere können sich dann eigenständig zwischen ihrer Standfläche mit Tränke, Trog und Unterstand und der neuen Futterfläche bewegen.
Die Futterflächen sät Ollendorf mit Mischungen aus Buchweizen, Hafer, Wiesenrispe und vielen anderen Feldfrüchten ein. Besonderen Wert legt sie dabei darauf, dass die Mischungen an alle Witterungsbedingungen, egal ob trocken oder besonders regenreich, angepasst sind. Zusätzlich erhalten die Tiere zweimal täglich Gerste, Lupinen und Heu. Das kauft Ollendorf zu.
Nach etwa 12 bis 15 Monaten haben die Tiere etwa 120 kg Schlachtgewicht. Dann bringt die Landwirtin sie zu einem Neuland-Schlachter im 35 km entfernten Bad Beversen. „Dort werden sie einzeln mit Videoüberwachung geschlachtet“, sagt Ollendorf. Die Schweine werden entsprechend der Kundenwünsche zerlegt und verpackt. Die Vermarktung des Fleisches erfolgt ausschließlich direkt – größtenteils per Bestellung via E-Mail. Außerdem besteht die Möglichkeit des „Schweine-Leasings“. Dabei zahlen die Kunden zwischen 135 und 155 € pro Lebensmonat für ein ganzes Schwein. Das ist auch anteilig für eine Hälfte oder ein Viertel möglich. Hinzu kommen dann noch die Kosten für Schlachtung und Transport. Nach der Schlachtung erhalten die Kunden dann entsprechend eine Mischung aller Teilstücke sowie Wurst und Räucherware.
3000 € oder Flexibilität
Viel gravierender ist für Ollendorf das Problem, adäquate Mitarbeiter zum Versorgen der Tiere und zum Zäuneziehen zu finden. Denn Abgrenzungen muss sie stetig neue ziehen, auch wenn ihre gesamte Ackerfläche mit einem 30 cm tief eingebuddelten, unterwühlsicheren Zaun umgeben ist. „Jede Gruppe hat eine Standfläche von rund 2000 m2“, erklärt die 47-Jährige, „etwa alle zwei bis fünf Wochen kommen neue Futterflächen hinzu, die wir extra abzäunen.“ Auf den Futterflächen sät sie verschiedene Mischungen ein. „Das müsste ich alles genau im Antrag angeben“, sagt Ollendorf, „doch je nach Regenmenge oder auch Dürre gedeihen die Pflanzen unterschiedlich gut – entsprechend lang oder kurz können die Tiere auf den jeweiligen Flächen bleiben.“ Da sind Probleme mit der Behörde beim Flächenantrag vorprogrammiert. Außerdem müsste Ollendorf bereits im April bei Antragstellung wissen, wann sie welche Schweinegruppe auf welche Fläche stellt.
„Da ich nicht vorhersehen kann, wie groß die Würfe werden, weiß ich heute noch nicht, wie viel Fläche ich für welche Gruppe brauche“, erläutert Ollendorf. Bei ihr bleiben alle Ferkel eines Wurfes bis zur Schlachtreife zusammen.„Ich bin flexibler in meinen Betriebsabläufen, seit ich ohne Förderung agiere.“ Rund 3000 € hätte sie durch Flächen- und Junglandwirteprämie bekommen können. „Dafür muss ich heute pro Jahr etwa drei Schweine mehr verkaufen“, erklärt Ollendorf, die das Fleisch ihrer Tiere für rund 30 € je Kilogramm verkauft. „Meine Kunden zahlen diesen Preis, weil sie genauso von der Haltungsform überzeugt sind, wie ich“, sagt sie.
Lockerer Pfahl heißt Abzug
Auf dem niedersächsischen Hutewaldhof dürfen die Schweine nach Herzenslust buddeln und wühlen. Als Ollendorf noch einen Flächenantrag stellte, war auch das ein Problem. Denn wenn die Tiere mal einen Zaunpfahl lockerten, musste die Landwirtin ihn leicht versetzen. Auf den Satellitenbildern sahen die Prüfer der damaligen Cross-Compliance-(CC)-Kontrollen Abweichungen von der zuvor eingereichten Planung. „Auch wenn es nur wenige Quadratmeter waren, mussten wir uns stets rechtfertigen.“
Bei Büssings im Münsterland haben Abweichungen hingegen meist andere Gründe. „Wir haben sehr schwere Böden auf denen auch mal das Wasser steht“, erklärt Stephan Büssing. Fällt viel Regen, wie in diesem Winter, kann das eingesäte Korn nicht wachsen. „Dann heißt es nachsäen – und das kostet“, sagt der 37-Jährige. „Auf unseren Böden funktioniert Mais nach Mais erfahrungsgemäß gut“, so Büssing. Die freiwilligen Maßnahmen der Ökoregelung „Vielfältige Kulturen im Ackerbau“ empfindet er daher eher als störend für seinen Betriebsablauf. Denn er müsste auf dem förderfähigen, nicht brachliegenden Ackerland mindestens fünf Hauptfruchtarten anbauen. „Das kostet uns mehr, als dass es nutzt“, sagt der 37-Jährige.
Auch möchte er gerne auf manchen Feldern eine Winterfurche ziehen dürfen. Das heißt, er pflügt den lehmigen Boden im Herbst um und lässt ihn den Winter über brach liegen. Der Frost sorgt dann dafür, dass die groben Schollen in feine Krümel zerfallen und gute Voraussetzungen für die Saat im Frühling bieten. Von 2023 an dürfte er es auf seinen Flächen nicht mehr, da seine Böden nicht die dafür erforderlichen 17 % Tongehalt haben. „Ohne Antrag hoffen wir, wieder nach guter fachlicher Praxis und wirtschaftlich sinnvoll arbeiten zu können“, sagen Büssings. An geltendes Recht muss das Landwirtspaar sich aber dennoch halten.
So manche Kontrolle bleibt
„Das Fachrecht gilt grundsätzlich für alle Landwirte – ob mit oder ohne Förderantrag“, sagt Roger Michalczyk von der EU-Zahlstelle der Landwirtschaftskammer NRW. Und auch wenn sich der ein oder andere Landwirt erhofft, ohne Förderung weniger Kontrollen ertragen zu müssen, ist dem nur teilweise so. Michalczyk erklärt: „Es entfallen nur die früheren CC-Kontrollen, die heute Konditionalität heißen. Alle anderen Vorschriften werden weiterhin von den jeweiligen Fachbehörden geprüft.“ Das heißt: Veterinär- und Lebensmittelkontrolle kommen wie bisher auf den Betrieb, genau wie die Naturschutz- und Wasserbehörden. Auch privatwirtschaftliche Kontrollen, wie die QS-Prüfungen, bleiben bestehen. Ein Wirtschaften ohne Kontrollen wird es für Landwirte – genau wie für alle anderen Selbstständigen hierzulande – voraussichtlich nie geben. Trotz alledem haben Landwirte und Landwirtinnen die Wahl: Sie können zumindest teilweise entscheiden, welches Maß an Kontrolle sie wollen, aber eben mit den dazugehörigen (finanziellen) Konsequenzen. Denn Kontrollen haben auch einen Gegenwert, sei es ein Qualitätsversprechen, ein Siegel oder seien es öffentliche Fördergelder.
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