Jeder Bürger kann Kapitalgeber für landwirtschaftliche Betriebe werden. Mitbestimmen dürfen die Geldgeber nicht. Sie werden quasi stille Teilhaber, indem sie bei einer der mittlerweile neun Regionalwert AGs in Deutschland mindestens eine Aktie zeichnen. Die Bürgeraktiengesellschaften bündeln das Geld und investieren es vor Ort in die Land- und Ernährungswirtschaft.
Bürger werden Mitinhaber
Regelmäßig geben die Regionalwert AGs dafür Bürgeraktien aus. Im Münsterland kostet eine Aktie 500 € Nennwert plus 100 € Ausgabeaufschlag. Mit ihm sollen die Kosten für Geschäftsführung sowie Rechts- und Beratungskosten gedeckt werden. Die Bürger-AG ist nicht an der Börse notiert und alle Aktionäre sind namentlich bekannt. Anders als am Aktienmarkt erhalten die Aktionäre keine Dividende. „Die meisten Menschen, die bei uns Aktien kaufen, wollen eine Agrarwende und sehen ihren Aktienkauf als eine Möglichkeit, diese zu unterstützen“, erklärt Anja Oetmann-Mennen, Vorständin der Regionalwert AG Münsterland.
Für Landwirte: So läuft’s ab
1. Kontaktaufnahme: Check, ob der Betrieb(-sleiter) zum Gedanken der Regionalwert AGs passt, die Voraussetzungen (ökologische Bewirtschaftung oder konventionell wirtschaftender Betrieb mit konkretem Zeitplan zur Umstellung) erfüllt und Bereitschaft besteht, aktiv im Netzwerk mitzuwirken.
2. Lizenzpartner werden: Wenn alles passt, wird der Landwirt Lizenzpartner. Das ist auch ohne konkretes Investitionsvorhaben möglich. Die Kosten dafür belaufen sich auf 150 € (bei einem Jahresumsatz unter 250 000 €) bis zu 2500 € (bei mehr als 10 Mio. € Umsatz).
3. Vorhaben präsentieren: Eine geplante Investition des Betriebes muss dem Satzungsziel der Bürgeraktiengesellschaft entsprechen, indem sie zur Weiterentwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft in der Region beiträgt oder Lücken in Wertschöpfungsketten füllt. Gemeinsam mit dem Betriebsleiter wird dann geklärt, ob eine Beteiligung der Regionalwert AG die beste Option für den Betrieb ist.
4. Investitionssteckbrief: Danach füllt der Betriebsleiter einen Investitionssteckbrief aus. Er beinhaltet die wichtigsten Kennzahlen zum Betrieb, zur finanziellen Situation sowie zur konkreten Planung (zum Beispiel Investitionssumme).
5. Vertragsbedingungen aushandeln: Die Bedingungen sind individuell gestaltbar. In der Regel werden darin Rückflüsse an die Regionalwert AG vereinbart, die sich am Ergebnis des Betriebes orientieren. Der Rückfluss ist gedeckelt. Vereinbart werden können aber auch Zahlungen, losgelöst vom betrieblichen Ergebnis.
6. Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnung (GuV): Vorstand und Aufsichtsrat analysieren die Bilanzen und GuV des Betriebes der vergangenen drei Jahre. Außerdem prüfen sie die bestehenden Verbindlichkeiten des Betriebes. Es braucht keine konkrete Eigenkapitalquote für das Investitionsvorhaben. Teilweise übernimmt die Bürger-AG auch 100 % der Investitionssumme.
7. Vertragsabschluss: Üblicherweise läuft die Beteiligung über zehn Jahre. Vorzeitig ist die Beendigung nur mit einer außerordentlichen Kündigung möglich.
Vieles ist möglich
357 Menschen haben seither Aktien im Wert von 1,11 Mio. € erworben. Mittlerweile haben sich auch 18 biologisch wirtschaftende Partnerbetriebe der Ernährungs- und Landwirtschaft im Regierungsbezirk Münster (maximal 50 km außerhalb des Bezirkes) der Gesellschaft angeschlossen. Sieben von ihnen sind bereits mit einem konkreten Investitionsvorhaben an die Bürger-AG herangetreten. Sie reichten Projektskizze und Businesspläne ein, legten ihre Zahlen offen und durchliefen das weitere Prozedere, um über die AG zum Beispiel Maschinen zur schonenden Bodenbearbeitung, ein Schlachtmobil oder auch einen Verkaufsanhänger zu finanzieren.
Kein Kredit fürs Schlachtmobil
Nico Loddenkötter musste sich erst an die stillen Teilhaber in seinem Betrieb gewöhnen. Die waren nötig, weil der Geflügelhalter aus Ostbevern im Kreis Warendorf ein Schlachtmobil kaufen wollte, um seine Tiere nicht mehr zu einem überregionalen Schlachthof transportieren zu müssen. Der 36-Jährige wandte sich 2023 an die Regionalwert AG Münsterland, weil er fortan selbst schlachten wollte. Nach Prüfung seines Vorhabens erhielt er die finanziellen Mittel in Höhe von etwa 35 000 € von der Regionalwert AG. Die ist nun für zehn Jahre stiller Gesellschafter bei Loddenkötter. Erst danach kann der gelernte Landwirt die Teilhaberschaft beenden, indem er die Einlage zurückzahlt. Andernfalls zahlt er weiter den vertraglich vereinbarten Rückfluss an die AG – in seinem Fall einen Teil des durch die Investition erwirtschafteten Umsatzes. „Ich bin unabhängig vom Zinsniveau der Banken“, erklärt Loddenkötter. Dank der Investition erreicht er mehr Tierwohl für seine 350 Legehennen und 170 Masthähnchen, die er nun direkt auf dem Hof schlachtet.Loddenkötter vermietet das Mobil inklusive seiner Arbeitskraft auch an andere Geflügelhalter in der Region. Gerne würde er mehr Aufträge annehmen, doch dazu fehlt ihm Personal. Trotzdem lautet Loddenkötters Fazit: „Stand heute würde ich es wieder tun und mir stille Teilhaber in den Betrieb holen.“
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