Die Bundesregierung will zum 1. Januar 2022 die pauschalierte Umsatzsteuer von 10,7 auf 9,6 % senken. Das geht aus einem Änderungsantrag zum Umsatzsteuergesetz hervor. Damit würde sich der Pauschalierungsvorteil verringern, was vor allem die Veredler ins Mark treffen würde.
Den Plänen geht ein langer Streit zwischen Bundesregierung und Europäischer Kommission um die Umsatzsteuerpauschale voraus, die Brüssel als versteckte Beihilfe wertet. Auch der Bundesrechnungshof prangert an, die pauschale Umsatzsteuer von 10,7 % sei höher als die Vorsteuer aus den Vorleistungen der Landwirte.
Im Dezember wurden neue Regeln zur Pauschalierung beschlossen: Ab 2022 dürfen nur noch Unternehmer pauschalieren, die einen Vorjahresumsatz unter 600 000 € haben. Und: Der Pauschalierungssatz wird jährlich überprüft. Das hatdas Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) im Auftrag des Bundesfinanzministeriums nun getan. Das Ergebnis: Die Vorsteuerbelastung lag im Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2019 nur bei 9,6 % und damit um 1,1 Prozentpunkte unter dem Durchschnittssatz von 10,7 %. Sprich: Nach der Bewertung ist die aktuelle Umsatzsteuerpauschale, die die Vorsteuerbelastung der Landwirte abbilden soll, zu hoch.
„Zwingend erforderlich“
Daher sei es zwingend erforderlich, so Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner in einem Schreiben an die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, den Durchschnittssatz anzupassen, um für Brüssel ein positives Signal zu setzen.
Lange hatte es aus dem BMEL geheißen, der Pauschalierungssatz passe. Warum jetzt der Umschwung? Ein internes Papier des BMEL zur Berechnungsmethode gibt Antwort: Die Vorsteuerbelastung berechnet das BMEL, indem es die Vorsteuer durch die Umsätze der Pauschallandwirte teilt. Die Berechnung der Umsätze der Pauschallandwirte hat sich nicht geändert, aber die der Vorsteuer. Dabei zieht das BMEL von den Vorsteuern, die nur für alle Landwirte bekannt sind, die Vorsteuer der regelbesteuerten Landwirte ab. Bei der früheren Berechnungsweise addierte das BMEL anschließend pauschal 12 % der Vorsteuern der regelbesteuerten Landwirte wieder. Die 12 % entsprachen der geschätzten Vorsteuerbelastung gewerblicher Lohnunternehmen. Somit enthielt die den Pauschalierern zugerechnete Vorsteuer auch die Vorsteuer der gewerblichen Lohnunternehmen, was der Bundesrechnungshof und die Kommission kritisierten. Daher rechnet das BMEL sie nun nicht mehr hinzu.
Diese „fehlenden“ 12 % führen dazu, dass die prozentuale Vorsteuerbelastung geringer als bisher ausfällt. Ein weiterer Grund ist das recht umsatzstarke Jahr 2019, in dem die Vorsteuerbelastung 8,5 % betrug, während sie 2017 bei 9 % und 2018 bei 11,4 % lag.
Kommen die 9,6 %?
Räumt die neue Berechnung somit mit alten Fehlern auf und begründet „unanfechtbar“ eine Absenkung des Pauschalierungssatzes auf 9,6 %? Nein, sagt der Deutsche Bauernverband und verweist auf einen zentralen Berechnungsfehler: „Wenn die Anwendung der Pauschalierung auf Betriebe mit einem Umsatz von weniger als 600 000 € eingeschränkt wird, dann dürfen zur Berechnung des Satzes nicht die Zahlen des gesamten Sektors, sondern nur die Zahlen dieser Betriebsgruppe herangezogen werden“, so Generalsekretär Bernhard Krüsken. Dies zu korrigieren, sei aber nur nachträglich vorgesehen. In vollem Umfang erst, wenn für 2022 bis 2025 nur noch Betriebe mit unter 600 000 € Umsatz in die Statistik einfließen. Das sei aber zu spät. Die Korrektur bei der Berechnung des Satzes für 2022 müsse laut Krüsken schon vorab vorgenommen werden.
Auch der Agrarsprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann, warnte davor, den Pauschalierungssatz ohne detaillierte Prüfung des Bundestages um 1,1 Prozentpunkte zu senken.
Minus 1,60 €/Mastschwein
Was heiße eine solche Absenkung? Steuerberater Felix Reimann von der wetreu Alfred Haupt KG, Münster, stellt überschlägige Rechnungen an: So reduziert sich der Pauschalierungsvorteil pro Mastschwein von rund 4,50 € auf 2,90 €, pro Sau und Jahr beim Verkauf von Läufern von rund 45 € auf 26,50 €, beim Verkauf von Absetzferkeln von rund 30 € auf 17,50 €, pro Kuh und Jahr von rund 100 € auf 63,50 € sowie pro verkauftem Bullen von rund 80 € auf 62 €.
Das heißt auch, dass geplante Betriebsteilungen, um unter der 600 000-€-Grenze pro Betrieb zu bleiben und ab 2022 weiter pauschalieren zu können, zu überdenken sind. Das zeigt Berater Reimann am Beispiel: Betrieb Lenfa hat 80 ha, 1500 Schweinemastplätze und kauft die Ferkel als Läufer. Um die Pauschalierung teils zu retten, könnten Lenfas den Betrieb in zwei Betriebe teilen: ein Betrieb mit 80 ha und 1000 Mastplätzen, der weiter pauschaliert, und einen Betrieb mit 500 Plätzen und gewerblicher Tierhaltung etwa als Ehegatten GbR. Das ergab bisher einen Pauschalierungsvorteil von jährlich 13 500 € (= 1000 Plätze x 3 Umtriebe x 4,50 €), bei einem Satz von 9,6 % blieben nur 8700 €. Dem stehen jährlich höhere Kosten von rund 6500 € gegenüber, die bei einer Teilung für den Steuerberater und den Betriebsleiter etwa durch mehr Dokumentation/Abrechnungen sowie höhere Grundsteuer für die gewerbliche Tierhaltung und sonstige Kosten entstehen. Verbleibender jährlicher Vorteil: rund 2200 €. Hinzu kommen einmalige Teilungskosten etwa für getrennte Fütterung, Lagerung und bauliche Trennung, die schnell bei 10 000 € liegen. Ob diese durch einen solch niedrigen jährlichen Vorteil einzuspielen sind, ist fraglich.
Lohnt Betriebsteilung noch?
Viele Betriebe, die bereits Betriebsteilungen vollzogen haben oder im Begriff sind zu teilen, kommen ins Grübeln: Sollten sie sich den Aufwand sparen, die Teilungen in einzelne landwirtschaftliche Betriebe rückgängig machen oder nicht vollziehen und die Tierproduktion in einer gewerblichen Einheit zusammenfassen? Um den maximalen Pauschalierungsvorteil auszuschöpfen, haben beispielsweise viele Schweinehalter mehrere Betriebe à 1000 Mastplätze gegründet und fragen sich jetzt, ob sich der Aufwand für den verbleibenden Vorteil von 2200 € (siehe oben) lohnt. „Dabei sollten Sie allerdings sämtliche Wechselwirkungen im Blick haben. Wenn ein Betrieb gewerblich wird, kann das Auswirkungen beim Erbrecht (BGB statt Höfeordnung), der erbschaftsteuerlichen Nachbewertung, auf mögliche Förderung und auf das Baurecht haben. Vielfach ist ein solcher Schritt daher rechtlich nicht so einfach möglich. Zudem dürfen Verluste aus gewerblicher Tierhaltung nicht mit anderen Einkünften verrechnet werden und die Grundsteuer steigt“, gibt Reimann zu bedenken. Ist all das im Blick, wäre ein möglicher Weg, mehrere Betriebe wieder zusammenzuführen: Sie gründen einen Stammbetrieb mit Ackerbau und anteiliger Tierhaltung, der landwirtschaftlich bleibt und bündeln die restliche Tierhaltung in einer gewerblichen Tierhaltung, so Reimann.