Sollten Ökokühe unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten eher intensiv oder eher extensiv gehalten und gefüttert werden? Dieser Frage gehen Wissenschaftler der Universität Gießen jetzt im Forschungsprojekt „Green Dairy“ nach. Das Projekt wird vom Land Hessen gefördert, ist Anfang 2022 gestartet und auf vier Jahre angelegt. Hintergrund der Untersuchung sind die Ergebnisse einer vorangegangenen Ökobilanzierung, wonach intensiv gefütterte Biomilchkühe deutlich geringere Treibhausgasemissionen je Kilogramm Milch aufwiesen, als extensiv gefütterte Vergleichstiere.
Ganzheitlicher Ansatz
Das Green-Dairy-Projekt soll jetzt weitere Erkenntnisse zur ökologisch-funktionalen Intensivierung liefern, wie Dr. Christian Lambertz von der Universität Gießen erklärte. Für die Untersuchung wird der neue Forschungsstall auf dem ökologisch bewirtschafteten Versuchsgut der Uni genutzt. Diesen haben die Kühe kurz vor den Ökofeldtagen bezogen, die dort in der vergangenen Woche stattfanden.
Im Rahmen dieser Großveranstaltung stellte Lambertz den Besuchern Einzelheiten zum Projekt und zum Stallneubau vor. So verfolgt das Green-Dairy-Vorhaben einen ganzheitlichen Ansatz: Neben der Milcherzeugung wird auch der damit verbundene (Futter-)Pflanzenbau sowie die Wirkung auf Klima und Umwelt untersucht. Letztendlich suchen die Gießener Wissenschaftler nach dem optimalen Produktionssystem für Ökomilchkühe, welches Stoffkreisläufe schließt und Ökologie, Ökonomie sowie Tierwohl gleichermaßen gerecht wird.
Tiere und Pflanzen im Blick
Mit Blick auf die gesellschaftliche Akzeptanz sollen hierbei zudem die „externen“ Kosten der Milchproduktion berücksichtigt werden, erklärte Lambertz. Im neuen Forschungsstall werden deshalb unter anderem der CO2- und Methanausstoß der Kühe erfasst, aber auch verschiedene Parameter zur Beurteilung von Tiergesundheit und Tierwohl.
Im angeschlossenen Pflanzenbau sollen die gasförmigen Ausbringungsverluste bei verschiedenen Wirtschaftsdüngern ebenso mit einbezogen werden, wie die Effekte unterschiedlich intensiver Fruchtfolgen auf Boden- und Wurzelgesundheit.
Zwei Gruppen à 64 Kühe
Doch zurück zum neuen Forschungsstall und dem Intensitäts-Versuch. Für das Experiment wurde die vorhandene Milchviehherde des Gladbacherhofes in zwei Gruppen mit gleich hohem genetischen Leistungspotenzial (Zuchtwerte) aufgeteilt:
- Die intensiv geführte und gefütterte „High-Input“-Gruppe soll so versorgt werden, dass die Tiere im Schnitt eine Milchleistung von etwa 9000 kg je Kuh und Jahr erreichen.
- In der genetisch vergleichbaren „Low-Input“-Gruppe liegt das Leistungsziel mit 7200 kg Milch je Kuh und Jahr um 20 % niedriger.
- Erreichen will man diese Differenzierung über eine unterschiedliche Futterration: Die Low-Input-Tiere erhalten deutlich weniger Maissilage und hofeigenes Kraftfutter. Mittelfristig sollen sie – wenn möglich – gar keinen Mais mehr erhalten. Und auch beim Kraftfutter soll es nur noch kleine Mengen (weniger als 1 kg/Tag) geben, um die Tiere zum Besuch des Melkroboters zu animieren.
- Noch sind die Versuchsgruppen nicht komplett. In den nächsten Monaten sollen nach und nach Färsen aus der eigenen Jungviehaufzucht nachgestallt werden, um die angestrebte Zahl von 64 Kühen je Versuchsgruppe zu erreichen. In den nächsten Jahren erfolgt die Remontierung dann stets nach Gruppen getrennt, um Kreuzeffekte auszuschließen. Schließlich soll der Einfluss der Fütterungsintensität auf den Stoffwechsel der Milchkühe in der Trächtigkeitsphase und damit auf die Nachkommen ebenfalls erforscht werden.
Daten, Daten, Daten
Um all diese Fragestellungen beantworten zu können, sind umfangreiche Datenerfassungen notwendig. Im neuen Forschungsstall wird dazu reichlich Technik eingesetzt.
Die Kühe werden an zwei Robotern (Automatische Melksysteme, AMS) gemolken, die neben der Milchmenge auch verschiedene Milchinhaltsstoffe und das Gewicht der jeweiligen Kuh erfassen. Zusätzlich misst ein Sensor bei jedem Melkvorgang den CO2- und Methan-Ausstoß der Tiere. Die Wiederkau- und Bewegungsaktivität werden hingegen über die Transponderhalsbänder der Kühe ermittelt.
Das Futter im Stall wird alle 30 Minuten automatisch nachgeschoben und bei Bedarf ergänzt. Das erledigt ein Fütterungsroboter. Zusätzlich können die Tiere im Sommerhalbjahr auf zwei stallnahe Weiden (0,1 ha/Kuh). Der Zugang zu den Flächen wird über Selektionstore gesteuert. Damit soll verhindert werden, dass Tiere, die schon längere Zeit nicht im Melkroboter waren, auf der Weide ihre Melkzeit „vergessen“. Diese Kühe müssen erst das AMS besuchen, bevor sie auf die Weide können.
Zur Tierwohlbeurteilung wird unter anderem das Stallklima erfasst (Temperatur, Luftfeuchte, Luftbewegung sowie Ammoniakgehalt und Staubbelastung). Verschiedene Stoffwechselparameter und Gesundheitsdaten liefern Rückschlüsse auf das Wohlbefinden der Tiere.
Pflanzenbau ist einbezogen
Und auch die Gülle der beiden Versuchsgruppen wird getrennt erfasst und untersucht. Mit ihr sollen schließlich die Acker- und Futterflächen gezielt mit Wirtschaftsdünger versorgt werden – wobei diese Flächen ebenfalls getrennt bewirtschaftet werden: Das High-Input-Grünland erhält die High-Input-Gülle und die eher extensive bewirtschafteten Flächen werden mit dem Wirtschaftsdünger aus dem Low-Input-Stallabschnitt versorgt. Die Erträge und Qualitäten im Pflanzenbau werden anschließend ebenfalls dokumentiert.
Am Ende sollen all diese Daten zusammengeführt und ausgewertet werden, um Antworten auf die Frage nach der optimalen Bewirtschaftungsintensität im Ökomilchviehbetrieb zu erhalten. Ziel ist ein Verfahren, das gleichermaßen ökologisch und ökonomisch nachhaltig ist und ein hohes Maß an Tierwohl ermöglicht.
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