Kommentar

Klöckners "#Dorfkinder": Ein digitales Eigentor

Mit ihrer digitalen Werbekampagne "'Dorfkinder" hat Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner eine Debatte losgetreten: über schöne Bilder, Lücken in der ländlichen Infrastruktur und eine Politik, die Handeln nicht allein dem Ehrenamt überlassen sollte.

Das zumindest ist Julia Klöckner klar: „Bullerbü-Vorstellungen geben nicht das Bild moderner Landwirtschaft wieder“, so die Agrarministerin zur Eröffnung der Grünen Woche. Geht es hingegen um das Landleben, malt sie selbst Bilder romantischer Dorfidylle – und konterkariert damit eine eigentlich gute Idee.

Was war passiert? Über den Kurznachrichtendienst Twitter hatte Klöckner dazu aufgerufen, unter dem Schlagwort „Dorfkinder“ Erfahrungen zum Leben auf dem Land zu teilen (mehr zu den Hintergründen lesen Sie hier). So weit, so unproblematisch.

Die Bilder allerdings, mit denen die Ministerin zum Mitmachen anstiften wollte, zeigen das Landleben durch eine rosarote Brille: ein Lob des dörflichen Zusammenhaltes hier, ein Hoch auf das Ehrenamt dort. Wirkliche Probleme, so scheint es, gibt es in den Dörfern Deutschlands nicht. Doch die Twitter-Nutzer sehen das anders.

Statt Landlust-Idylle entlädt sich in der digitalen Welt der Frust über Missstände der analogen. So auch auf der Facebook-Seite des Wochenblattes: Die Kampagne, so schreibt ein Nutzer, wirke wie ein Ersatz für echte Maßnahmen. Geld für Berater, ergänzt ein anderer, sei nicht unbedingt auch gut ausgegebenes Geld. Recht haben sie beide.

Seit der Wiedervereinigung hat sich der Bund sukzessive aus der Verantwortung für die kommunale Daseinsvorsorge – Mobilität, Nahversorgung und Co. – zurückgezogen. Einzelne Bereiche wurden privatisiert oder auf die Kommunen abgewälzt. Letztere können dieser Aufgabe angesichts knapper Haushalte kaum nachkommen. Für private Anbieter fehlt in vielen Regionen der wirtschaftliche Anreiz zur Flächenversorgung.

In diesem Szenario nun Ehrenamt und dörflichen Zusammenhalt als Lösung wegbrechender Infrastruktur zu stilisieren, ist zynisch, denn es kehrt Verantwortlichkeiten um. Ohne Frage: Es ist beeindruckend, wie Buddelvereine in Eigenregie Glasfaser verlegen oder Nachbarschaften Fahrdienste zum Arzt oder Supermarkt organisieren. Dies darf aber kein Freifahrtschein für den Bund sein, sich aus seiner Verantwortung für gleichwertige Lebensverhältnisse zurückzuziehen.

Statt mit schönen Bildern „Dorfkindern“ Mut zuzusprechen, gilt es, eine Politik zu verfolgen, die Mut macht. Dazu zählt, endlich den Begriff der Daseinsvorsorge zu definieren. Welche Mindeststandards gelten unabhängig vom Wohnort? Dazu zählt auch, nicht den Menschen in den Dörfern den Schwarzen Peter zuzuschieben, sondern Daseinsvorsorge als Gemeinschaftsaufgabe zu begreifen. Die von Klöckner geforderte Öffnung von Agrarfördermitteln für die ländliche Entwicklung ist ein Anfang. Und dazu zählt letztlich auch, Ehrenamtsstrukturen durch Hauptamt zu stärken.

Es ist gut und richtig, dass Klöckner den Blick auf die ländlichen Räume wirft. Nur: Gut gemeint ist nicht immer auch gut gemacht.