Der „Verein für Leibesübungen von 1899 e.V.“ in Osnabrück, besser bekannt unter dem Kürzel VfL Osnabrück, hat 2021 begonnen, in seinen Arbeitsverträgen eine Klausel einzuführen. Darin verpflichten sich die Unterzeichner, „die enkeltaugliche Ausrichtung des Klubs aktiv zu unterstützen und für gemeinwohlorientierte Aktivitäten zur Verfügung zu stehen“, wie der Sportverein auf seiner Homepage am 10. August dieses Jahres erläutert hat. Ziel sei es vor allem, die Mitarbeiter zu sensibilisieren, CO2-Emissionen zu reduzieren oder zu vermeiden.
40 Personen und damit zwei Drittel der hauptamtlich tätigen Belegschaft haben inzwischen Verträge mit dieser Klausel. Sie laut VfL-Homepage vor, dass „direkt vom Gehalt“ ein monetärer Wert abgezogen wird. „Eingeflossen in die individuelle Berechnung sind hier unter anderem die Länge des Arbeitsweges, wie dieser zurückgelegt wird oder auch Aspekte wie vegane oder vegetarische Ernährungsgewohnheiten.“
Das Privatleben ist tabu
Vor gut einer Woche erhob sich plötzlich ein Sturm medialer Kritik. Arnd Diringer, Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Ludwigsburg, sprach in der Tageszeitung „Die Welt“ vom „Lohnabzug für Steak-Esser“ und diagnostizierte eine „gefährliche Umerziehung beim VfL Osnabrück“. Diringers Einwand: Das alles könne man „natürlich gut finden“, aber: „Auch ein Fußballverein muss sich an das Recht halten, wenn er sich politisch positioniert – als Arbeitgeber auch an das Arbeitsrecht.“
Einen Arbeitgeber gehe es nichts an, was seine Mitarbeiter privat machen. Davon gebe es nur wenige Ausnahmen, die mit der geschuldeten Arbeitsleistung eng verknüpft sein müssen. „Die Essgewohnheiten und der Wohnort zählen bei den Arbeitnehmern eines Fußballvereins ganz sicher nicht dazu.“
Das heiße nicht, dass es Arbeitgebern verwehrt sei, ihre Mitarbeiter zu klimafreundlichem Verhalten zu motivieren. „Sie können beispielsweise Job-Tickets finanzieren, um Arbeitnehmer zum Verzicht auf das Auto zu bewegen. Und es gibt viele weitere Möglichkeiten. Sie setzen aber voraus, dass Arbeitgeber zusätzlich Geld in die Hand nehmen. Das ist natürlich kostspieliger, als den Beschäftigten Geld wegzunehmen. Dafür ist es rechtlich zulässig.“
„Bild“, das krawalligere Schwesterblatt aus dem Verlagshaus Springer, sprach gleich von einer „irren Klausel“, das Nachrichtenportal „Focus online“, von einer „bizarren Öko-Regel“. Die Stuttgarter Nachrichten zitieren den Arbeitsrechtler Wolf Dieter Cantz: „Aus meinem Bauchgefühl heraus halte ich das für rechtlich absolut unwirksam.“
Der Arbeitgeber könne nur betriebliches Verhalten regeln und dürfe nicht auf diese Art in das Privatleben seiner Mitarbeiter eingreifen. Ausnahmen gebe es bei „Tendenzbetrieben“ wie Umweltorganisationen oder Kirchen, „aber nicht bei einem Sportverein“.
Gegenüber dem Kölner „Express“ betonte der VfL-Geschäftsführer Michael Helling, die Klausel sei freiwillig. Wer sich dafür entscheide, erhalte bis zu 750 € mehr Jahresgehalt. Der Betrag könne sich je nach CO2-Fußabdruck verringern - es sei „ein monetärer Anreiz, Beruf und Privatleben umweltbewusster zu gestalten.“ Das Ziel sei nicht Umerziehung, sondern „nur eine Sensibilisieren“.
Steak und Stadionwurst
Die Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ) griff das Thema ebenfalls auf und beginnt ihren Bericht mit dem Satz: „Michael Welling genießt immer noch gerne hin und wieder ein Steak und vor allem die Stadionwurst, sagt er. Der Geschäftsführer des VfL Osnabrück hat auch kein Problem mit Fleischessern in der Mitarbeiterschaft oder in der Mannschaft des Fußball-Zweitligisten.
Wir haben bei jedem Auswärtsspiel ein reichhaltiges Essenangebot, aus dem jeder wählen kann, was er möchte – gemäß seinen Ernährungsgewohnheiten oder seiner Religion. Natürlich wird hier niemandem etwas verboten oder vorgeschrieben‘, sagt der 52-Jährige.“
Zur Klausel habe es nie großen Diskussionsbedarf gegeben, wird Welling von der NOZ zitiert. Die plötzliche Aufregung habe den Verein „auch etwas verwundert“. Das liege an der medialen Zuspitzung und am emotionalen Umfeld des Fußballs. „Wären wir ein, sagen wir mal, Schraubenhersteller, hätten sich vermutlich wenige Leute dafür interessiert.“
Der VfL-Geschäftsführer räumt ein, dass die Klausel aus Sicht des Arbeitsrechts fragwürdig sein könne. Im Gespräch mit der NOZ gibt er dem Welt-Autor Diringer sogar „völlig Recht“ und ergänzt: „Wir wissen nicht, ob die Klausel einer gerichtlichen Prüfung standhalten würde. Vermutlich eher nicht.“ Die Klausel selbst sei aber freiwillig, betont er ein weiteres Mal.
Vertrag gibt es „mit“ oder „ohne“
In ihrem Kommentar urteilt die NOZ: „Natürlich steht es in unserem freien Land jedem zu, das gut zu finden oder nicht gut. Man darf das alles sogar als Skandal, übertriebene politische Korrektheit oder gefährliche Umerziehung diffamieren. Schwierig wird es allerdings, wenn das auf Basis vermeintlicher Fakten geschieht, die sich später als haltlos erweisen.
Arbeitsrechtler Arnd Diringer suggeriert in seiner ,Welt‘-Kolumne, der VfL Osnabrück würde seinen Beschäftigten ,Geld wegnehmen‘. Bemerkenswerterweise, obwohl er zugleich zugibt, den Inhalt der Gemeinwohlklausel in den Arbeitsverträgen, um die es geht, gar nicht zu kennen.
Der Verein hält dem nun entgegen: Neue Bewerber können zwischen zwei Versionen von Arbeitsverträgen mit und ohne Klausel wählen, niemand werde gezwungen, diese mitzutragen. Viele VfL-Mitarbeitende machen das dennoch: Weil sie sich mit der darin verankerten Wertebasis des Klubs durchaus identifizieren, diese leben können - und sich abseits davon finanziell offenbar auch nicht schlechter stellen.
Wäre all dies nicht der Fall, hätte man angesichts rein formalrechtlicher Unsicherheiten sicher schon von Klagen gegen die Klausel gehört. Bis auf Weiteres gilt somit: Wo kein Kläger, da kein Richter. Diesen Grundsatz eines Rechtsstaates dürfte auch jeder Arbeitsrechtler kennen.“
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