In Polen waren wir sicher, dass ein militärischer Angriff auf die Ukraine niemals stattfinden würde. Denn es gab keine logischen Gründe dafür. Doch wieder einmal zeigt sich, wie naiv wir sind, wenn wir Logik erwarten.
Eigentlich hätten wir besser vorbereitet sein sollen. Unsere ewige Angst vor Russland war noch nie logisch begründet. Wir haben gesehen, wie der Westen Geschäfte machte, zu Konferenzen einlud und uns lief ein Schauer über den Rücken, als alle diplomatischen Versuche scheiterten, Konflikte zu lösen.
Den Ukrainern ging es genauso. Sie haben wie wir die ganze Zeit den bösen sowjetischen Geist gespürt. Seit sich etwa 1,5Mio. Ukrainer in Polen niedergelassen haben, verstehen wir, dass wir uns nicht unterscheiden. Wir treffen uns in Geschäften und Restaurants. Unsere Kinder gehen in dieselben Schulklassen. Wir haben gelernt, den weichen und wohlklingenden Akzent der Ukrainer in den polnischen Wörtern zu mögen.
Nun zittern wir. Zum Beispiel um unsere ukrainische Geschäftspartnerin, die wir bei vielen Gelegenheiten und Messen kennengelernt haben. Sie sollte inzwischen in Sicherheit sein. Jedoch schreibt sie uns, dass sie sich in einem Keller in Charkow versteckt hält. Da ist Sicherheit relativ.
Wir schauen zitternd in die weit aufgerissenen Augen einer jungen Familie, die einer unserer Mitarbeiter direkt an der Grenze aufgegriffen hat. Eltern und Kinder waren 72 Stunden unterwegs, nachdem sie kilometerweit zum Grenzübergang gelaufen waren und alles zurückgelassen hatten. Doch sie schlafen im Auto nicht ein. Die Eltern halten sich an ihren Kindern fest und können ihr Misstrauen nicht aufgeben.
Wir zittern auch um unser ukrainisches Familienmitglied, dessen Bruder noch im Osten der Ukraine ist. Wir sehen die Gesichter seiner Söhne in den Gesichtern unserer eigenen Kinder. Schrecklich: mit Waffe, in Uniform und in einem Kampf.
Schließlich zittern wir, dass noch mehr unlogische Entscheidungen getroffen werden. Dann könnte alles schiefgehen. Dann wären wir die nächsten ...
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