Mitarbeiter tragen ihre Stunden in eine Datei in der Cloud ein. Bei Investitionsentscheidungen hilft eine App. Statt eines Posteingangskästchens gibt es zwölf. Seit Michael Tacken (29) nicht nur in der Landwirtschaft und Direktvermarktung, sondern auch im Büro voll mit eingestiegen ist, hat sich auf dem Seilerhof in Brilon-Alme, Hochsauerlandkreis, einiges geändert. „Das Agrarbüro ist der Dreh- und Angelpunkt des Betriebs“, ist er überzeugt. Nur wenn hier alles optimal läuft, kann das Unternehmen erfolgreich sein.
Das Team vom Seilerhof
Die Familie bewirtschaftet einen Betrieb mit 100 Kühen samt Nachzucht und 400 Hühnern in zwei Mobilställen. Die Eier und einen Teil ihrer Milch sowie zugekaufte Produkte vermarkten Tackens über sechs Automaten. Michael und seine Eltern Reinhild und Jürgen Tacken werden dabei von einer Herdenmanagerin, einem Auszubildenden und vier Aushilfskräften unterstützt. Bruder Alexander kümmert sich mit seinem Lohnunternehmen „Agrarservice Tacken“ um die Feldarbeit. Kristin Becker, eine Bekannte von Michael Tacken, unterstützt das Team mit ihrem Fachwissen als Social Media Beraterin in der Agrarbranche. Mitarbeiter der Behindertenwerkstatt des Josefsheims übernehmen Zuarbeiten für die Direktvermarktung.
Früher alles falsch gemacht?
Als Michael Tacken erste Verbesserungsvorschläge fürs Agrarbüro vorbrachte, musste seine Mutter Reinhild (59) anfangs schlucken. Früher hatte es in der Familie die klassische Aufteilung gegeben: Ihr Mann Jürgen kümmerte sich um die Landwirtschaft, sie managte das Agrarbüro. Sie war stolz darauf, dass es ihr in den vergangenen drei Jahrzehnten neben Haushalt und Kinderbetreuung gelungen war, im Büro alles im Griff zu haben. Und plötzlich sollte alles anders werden? Hieß das nicht im Umkehrschluss, dass sie bislang alles falsch gemacht hatte? Nein. Die Bäuerin sagt selbstbewusst und reflektiert: „Auf meine Leistung kann ich immer noch stolz sein. Die Zeiten haben sich eben geändert.“ Dass ihr Sohn die große Bedeutung des Agrarbüros sieht, ist eine Aufwertung der Arbeit, die sie bislang „mal eben so nebenbei“ erledigt hat. Außerdem ist es eine Entlastung, die Verantwortung dafür nicht mehr allein zu tragen.
Mutter und Sohn verbringen jeweils etwa 15 Stunden pro Woche im Büro. Während Michael Tacken auf feste Zeiten setzt, war es Reinhild Tacken wichtig, ihre Flexibilität zu behalten. Wer das etwa 10 m2 große Büro betritt, dem fallen drei Dinge besonders ins Auge:
- gut sortierte Regale mit einheitlich beschrifteten Aktenordnern,
- insgesamt zwölf Postkästchen zwischen den zwei Arbeitsplätzen,
- und das Organigramm des Hofs an der Wand.
Diskussion um Aktenplan
„Früher war ich die einzige, die genau wusste, wo alle Akten liegen“, erinnert sich Reinhild Tacken. Jetzt möchte auch Michael Tacken jede Akte auf Anhieb finden können. Daher stand fest: Es musste ein detaillierter Aktenplan her. „Den Plan zu erstellen, hat mehrere Tage gedauert. Hier im Büro sah es chaotisch aus“, erinnert sich Michael. Der Prozess war für beide ein Kraftakt. Denn vermeintlich sachliche Fragen wie „Gehören die Kfz-Versicherungen in den Ordner ,Fahrzeuge‘ oder zu ,Versicherungen‘“? konnten durchaus zu Diskussionen führen.
„In einigen Punkten habe ich eingesehen, dass Michaels Vorschlag sinnvoller war als meiner,“ erzählt Reinhild Tacken. „In anderen Punkten konnte ich argumentieren, warum eine bestimmte Zuordnung nicht praktikabel wäre.“ Waren die Diskussionen festgefahren, haben die beiden die Entscheidung vertagt. „Grundsätzlich habe ich aber versucht, in die zweite Reihe zu gehen. Schließlich wird Michael mit den Strukturen länger arbeiten als ich“, erklärt die Bäuerin. Rückblickend sind beide überzeugt: Den Plan gemeinsam zu erarbeiten, war jede Minute wert.
Eigenes Hof-Organigramm
Ein gut strukturierter Aktenplan ist nichts Außergewöhnliches. Ein Organigramm hingegen schon. Um mögliche Verbesserungspotenziale zu erkennen, nahm die Familie auf Initiative von Michael Tacken an verschiedenen Seminaren teil. „Ich wollte unseren Horizont erweitern. Daher habe ich mich bewusst für Anbieter außerhalb der Landwirtschaft entschieden“, erzählt er. „Schon zum ersten Seminar bei einem Beratungsunternehmen für Prozessoptimierung und Strategie sollten wir ein Organigramm mitbringen“, erinnert sich der Landwirt. Er und seine Eltern mussten passen. „Natürlich wusste jeder grob, wer welche Aufgaben erledigt. Doch konkret besprochen oder gar schriftlich festgehalten hatten wir die Aufteilung bislang noch nie.“ Im Laufe der Schulung merkte die Familie jedoch schnell: Nur wenn Zuständigkeiten klar geregelt sind, lassen sich Absprachen und Abläufe verbessern. Und so holten sie sich Unterstützung von einer Unternehmensberatung, um ihr Organigramm zu entwickeln. Die Familie formulierte fünf Hauptarbeitsbereiche – Landwirtschaft, Facility-Management, Direktvermarktung, Marketing/Vertrieb und Administration – mit je zwei bis fünf Unterbereichen. Unter jeden Aufgabenbereich schrieben Tackens, wer das Sagen hat, und wer dieser Person ggf. zuarbeitet. „Für viele dieser Punkte auf dem Organigramm haben wir eine eigene Stellenbeschreibung erarbeitet. Da merkt man erst mal, was man alles im Kopf hat“, berichtet Michael Tacken von einem der Aha-Effekte.
Erst wenige Wochen alt ist die neue Struktur des Postsystems. „Früher hatten wir hier einen einzigen Posteingangskorb stehen, in dem sich die Briefe türmten. Jetzt sind daraus zwölf geworden.“ So lassen sich Missverständnisse durch Zurufe zwischen Tür und Angel vermeiden. Ob sie eine Rechnung nur überweisen oder erst noch einmal prüfen soll, erkennt Reinhild Tacken nun daran, in welchem Fach sie liegt. Aufschriften weiterer Fächerlauten „Lieferscheine“, „Direktvermarktung“, „Personelles“, „Werbung“ oder „Rückfragen an Michael“.
Achtsamer Umgang
Damit nichts untergeht, müssen alle Fächer einmal in der Woche abgearbeitet sein. Reinhild Tacken musste sich an diesen festen Turnus zunächst gewöhnen. Da sie und ihr Sohn sich auf den Montag als Stichtag einigen konnten, kann sie jedoch weiterhin einen Großteil ihrer Arbeit am Wochenende erledigen. So sind beide Seiten sich entgegengekommen. Denn eins ist Mutter und Sohn wichtig: Achtsam miteinander umzugehen und gemeinsam zu schauen, was der jeweils andere braucht, um innerhalb des Teams einen guten Job zu machen.
Wenn Emotionen hochkochen
Michael und Reinhild Tacken haben schon weitere Verbesserungsideen im Kopf. Zurzeit überlegen sie, wie sie das digitale Posteingangssystem optimieren können. Mutter und Sohn ist klar: Auch in Zukunft wird es bei derartigen Projekten immer mal zu Diskussionen kommen. „So sehr wir uns bemühen, uns auf die Sache zu konzentrieren: Jeder von uns hat Punkte, die einen einfach triggern, und bei denen der Geduldsfaden reißt“, sagt Michael Tacken offen. Seine Mutter ergänzt: „Als Mutter und Sohn kennen wir gegenseitig unsere Macken. Micheal sage ich ganz klar, dass er es aushalten muss, wenn bei mir die Emotionen hochkochen. Ich wiederum muss es aushalten, wenn er damit anfängt, mir sehr ausführlich den Sachverhalt zu erläutern.“ Die beiden haben gemerkt: Eine neutrale Person im Raum hilft ihnen dabei, sachlich zu bleiben. Und das muss nicht immer ein Profi sein, sagt Reinhild Tacken. „Einmal hat meine Mutter diesen Part übernommen. Sie hat sich einfach mit uns in den Besprechungsraum gesetzt und uns die Post-its gereicht, auf denen wir unsere Ideen notiert haben. Mehr war nicht notwendig.“
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