Die heimischen Landwirte besamen immer mehr Färsen und Kühe mit genetisch hornlosen Bullen. In Hessen beispielsweise waren unter den acht beliebtesten schwarzbunten Besamungsbullen der vergangenen Saison sechs homozygot hornlose Vererber (Genstatus PP). Die Liste der am häufigsten eingesetzten rotbunten Holsteinbullen wird von drei PP-Bullen angeführt und auch beim Fleckvieh stehen ausnahmslos hornlose Bullen auf dem „Siegertreppchen“.
Das zeigt, wie dynamisch sich das Thema entwickelt, erklärten Jost Grünhaupt vom Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen sowie Qnetics-Geschäftsführer Ronald Bialek in der vergangenen Woche in Frankenberg-Geismar. Dort informierten sie bei der Bezirksversammlung gemeinsam mit den Qnetics-Geschäftsführern Dr. Sonja Kleinhans und Jens Kirch über Trends und Entwicklungen in der Rinderzucht.
Auf´s Enthornen verzichten
Bei den Praktikern sind vor allem reinerbige PP-Bullen gefragt. Aus diesen Anpaarungen werden garantiert hornlose Kälber geboren und die Landwirte können auf das ungeliebte Enthornen der Kälber verzichten – zumal diese Arbeit künftig auch bei etlichen Bullenkälbern ansteht, wenn diese wegen der gesetzlichen Transportregeln länger auf den Milchviehbetrieben bleiben müssen.
Die Rinderzüchter profitieren jedenfalls davon, dass ihre Zuchtorganisationen das Thema seit Jahren intensiv bearbeitet haben und inzwischen ein ausreichend breit gefächertes und leistungsstarkes Angebot an PP-Besamungsbullen zur Verfügung steht. Dass die Hornlosbullen im Schnitt nach wie vor einige Zuchtwertschätzungspunkte hinter den behornten Spitzenvererbern zurückbleiben, nehmen viele Betriebe in Kauf.
Für die Milcherzeuger überwiegen die Vorteile der Hornloszucht.Trotzdem müssen der Inzuchtgrad und die Linienvielfalt im Auge behalten werden, mahnte Grünhaupt. Deshalb sollten die Züchter einen Teil ihrer hornlosen weiblichen Tiere auch künftig gezielt mit erstklassigen behornten Bullen belegen, um am internationalen Zuchtfortschritt teilzuhaben, riet der LLH-Experte: In Nordamerika beispielsweise spielt die Hornloszucht nämlich fast keine Rolle.
Bislang ist den Landwirten in Waldeck-Frankenberg die Zuchtarbeit indessen ganz gut gelungen, wie die Leistungszahlen aus 2022 zeigen: 213 Milchleistungsprüfungsbetriebe (–10) hielten im vergangenen Jahr insgesamt 21.146 Kühe (–187). Diese erreichten im Mittel 9810 kg Milch je Kontrollkuh. Das waren fast 900 kg mehr als im hessischen Landesdurchschnitt.
Erfreulich ist zudem, dass die Nutzungsdauer der Milchkühe weiter gestiegen ist. Wie Dr. Kleinhans berichtete, hat diese sich in den vergangenen Jahren um mehr als einen Monat auf nunmehr 37,7 Monate erhöht. Außerdem haben allein im Zuchtbezirk Frankenberg im vergangenen Jahr mehr als 40 Kühe die Lebensleistungsschwelle von mindestens 100 000 kg überschritten. Das zeigt, wie ernst es die Landwirte mit dem praktischen Tierwohl nehmen.
200 Kühe im Tierwohlstall
Wie Kuhkomfort in der Praxis aussehen kann, zeigte der traditionelle Betriebsbesuch am Nachmittag der Winterversammlung. Diesmal ging es zu Hartmut, Susanne und Björn Ochse nach Dörnholzhausen. Die Familie hat vor einigen Jahren im Außenbereich einen Boxenlaufstall für 200 Milchkühe mit eingestreuten Tierwohl-Liegeboxen sowie insgesamt viel Platz, Licht und Luft gebaut.
Gemolken und gefüttert wird automatisch. Das gibt Freiraum für andere Arbeiten wie die Tierbetreuung und schlägt sich in hohen Leistungen von fast 12 000 kg abgelieferter Milch je Kuh und Jahr nieder.
Für die aktive Zucht nutzt Familie Ochse gezielt die besten Kühe. Von diesen erhofft sie sich vermehrt weiblichen Nachwuchs. Deshalb wird häufig mit gesextem Sperma besamt und das Verfahren Embryotransfer genutzt.
Im Gegenzug werden die leistungsschwächeren 40 % der Kühe mit Fleischrindersperma belegt, wobei aktuell vorzugsweise Angusbullen genutzt werden: „Das bietet Vorteile beim Kalbeverhalten“, erklärte Björn Ochse.
Und da diese Kälber überwiegend direkt an Mäster in der Region vermarktet werden, ist die farbliche Zuordnung der Tiere kein Problem, die ansonsten bei Anguskreuzungen schon mal zu Diskussionen führt.
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