Direkt zu Anfang der Verhandlung stellte Richter Dr. Benno Willms in Richtung des Landesbetriebs Straßen NRW fest: „Wir haben hier ein Problem.“ Was er damit meinte: Die Beamten hatten bei der Auswahl der Ausgleichsflächen für den Bau der Straße B 508/neu nur den Naturschutz, nicht aber den Schutz des Eigentums im Blick. Und das ist nicht zulässig, wie das Oberverwaltungsgericht Münster am 5. Februar 2021 entschied.
Was war passiert? Schon lange war bekannt, dass Straßen NRW eine 2,5 km lange Ortsumgehung für Kreuztal plant. Die soll direkt vorbei an der schon seit 1967 bestehenden Reitanlage des Reitvereins Kindelsberg mit inzwischen 435 Mitgliedern, 19ha Eigentumsfläche und 60 Pferdeboxen führen. „Dass wir wegen des Straßenlärms Mitglieder verlieren werden, war schnell klar. Zudem schneidet uns die Straße von den Reitwegen ab, die dann nur noch über eine Brücke zu erreichen sind“, so Vereinsvorstand Dr. Gert Bültermann.
6 ha für Ausgleichsmaßnahmen
Dann der Schock: Der Planfeststellungsbeschluss vom 3. November 2017 besagte: Nicht nur rund einen Hektar für die Straße, sondern auch 6 ha für Ausgleichsmaßnahmen soll der Verein zur Verfügung stellen. Kein Problem, wie der Sachverständige des Landesbetriebs in der Gerichtsverhandlung versicherte. Schließlich könne der Verein die Flächen unter Auflagen weiter nutzen. Zudem sei der Verein sowieso nicht existenzfähig und könne folglich nicht erst durch den Entzug der Flächen in seiner Existenz gefährdet werden.
Dem trat Vorstand Bültermann entschieden entgegen: Der Verband sei sehr wohl existenzfähig, habe immer sämtliche Zins- und Tilgungsverbindlichkeiten bedient und gerade erst 165000 € in die Sanierung der Reithalle investiert. Die Behörde habe für ihre Beurteilung veraltete Buchwerte statt der Verkehrswerte genutzt.
Maximal zwei Pferde pro Hektar
Auch die Annahme, eine Beweidung sei weiter möglich, stimme nicht. Dafür seien die Auflagen zu streng: Maximal zwei Pferde pro Hektar, Mähen frühestens Ende Juni, keine mechanischen Pflegemaßnahmen, Nachsaat, Spritzmittel oder Düngung sowie die Anlage von Dornenhecken. „Auf solchen Flächen lassen unsere Einsteller ihre Pferde nicht weiden“, meint Bültermann. Dann wären über die Hälfte der verfügbaren Weideflächen auf einen Schlag weg. Daher klagte der Verein am 2.3.2018 gegen den von der Bezirksregierung Arnsberg erlassenen Planfeststellungsbeschluss, nachdem alle Gespräche mit den Behörden erfolglos geblieben waren.
Gefahr durch Giftpflanzen
Doch Straßen NRW zeigt weiterhin keinerlei Einsicht. Noch in der Gerichtsverhandlung führten Sachverständige aus, dass sich Naturschutz und Pferdehaltung auf der Fläche perfekt ergänzten. „Das Futter einer extensiven Weide ist für Pferde eh gesünder“, merkte die Sachverständige Frau Dr. Müller an. Dass auf so spät und selten gemähten Weiden giftige Pflanzen wie Jakobskreuzkraut oder Ginster wachsen, sei kein Problem. Schließlich würden Pferde giftige Kräuter und auch die anzupflanzenden Dornenhecken meiden.
Doch die Behörde verkenne das Problem, machte Dr. Bültermann in der Verhandlung schon fast verzweifelt deutlich: „Das Argument, dass Pferde selektiv fressen, zieht nicht. Man muss die Psychologie der Einsteller verstehen. Die würden uns vorwerfen, dass wir ihre Pferde mit den Giftpflanzen gefährden.“ Auch müsse der Verein für gesundheitliche Schäden voll haften. Wenn sich giftige Pflanzen einmal ansiedelten, wären sie bei den Auflagen kaum wieder wegzubekommen. Und andere Flächen, die sich als Pferdeweide eignen, habe der Verein nicht. Zudem gehe es nicht nur um den Verlust der Weideflächen. Vielmehr funktioniere dann die komplette Bewirtschaftung der Vereinsflächen nicht mehr. „Unser Pächter pflegt all unsere Flächen und macht auch sonst viel für den Verein. Das aber auch nur, weil er den ersten Schnitt der betroffenen Vereinsflächen für die Kühe seines Hofes nutzen darf. Das aber ginge dann nicht mehr.“
Wertverlust der Flächen
Auf noch etwas wies der Rechtsanwalt des Vereins, Dr. Frank Niederstadt, hin: Die Flächen, die sogar noch Ackerstatus haben, verlieren als Ausgleichsflächen massiv an Wert und können nicht mehr in dem Maße für die Finanzierung von Krediten herangezogen werden, zum Beispiel für den geplanten weiteren Ausbau der Reitanlage. Enteignung unzulässig Über das Vorgehen von Straßen NRW kann der Anwalt nur den Kopf schütteln: Zum Nachweis der zu schützenden Arten wie etwa des Neuntöters wurde keine Kartierung vorgenommen. Es wurde nur angenommen, dass er da ist. Ist das tatsächlich der Fall, könnten auch andere Ersatzflächen im gleichen Naturraum gefunden werden, in diesem Falle im gesamten Siegerland. Stattdessen versuche die Behörde, den Verein zu enteignen. Das sei nicht angemessen.
Eigentumsrechte nicht hinreichend berücksichtigt
Ähnlich sahen das die Richter des Oberverwaltungsgerichts Münster: Der Landesbetrieb habe bei der Festlegung der Ausgleichsmaßnahmen die Eigentumsrechte des Vereins nicht hinreichend berücksichtigt. Stattdessen habe er sich unzulässigerweise nur von naturschutzfachlichen Erwägungen leiten lassen. Er habe vor allem nicht ausreichend geprüft, ob die Ausgleichsmaßnahmen nicht weiter entfernt ohne Beanspruchung der Vereinflächen erfolgen könnten. Damit ist der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig. Die Straße wird zwar sehr wahrscheinlich auch weiterhin gebaut, wenn auch etwas später. Allerdings muss die Behörde umplanen – mindestens hinsichtlich der Ausgleichsmaßnahmen. Eine riesige Erleichterung für den Reitverein, der schon jetzt 40000 € für Gutachter und Anwälte schultern musste.
Die Richter ließen keine Revision zu. Der Landesbetrieb könnte jetzt nur noch Nichtzulassungsbeschwerde erheben und vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen (Az. 11 D 13/18.AK).