Wer den Ursachen für Schwanz- und Ohrenbeißen auf die Schliche kommen will, muss die Schweine genau beobachten. Denn das Tierverhalten liefert wertvolle Hinweise auf ungünstige Haltungsbedingungen, Stressfaktoren oder gar gesundheitliche Probleme.
Allerdings verhalten sich die Schweine während des Stallrundgangs anders als im „ruhenden Stall“. Falls es unterschwellige Probleme gibt, sind diese nicht unbedingt zu erkennen und nur selten wird ein akutes Beißgeschehen beobachtet.
Technik kann helfen
Hier kann die Technik helfen, erklärte Tierarzt Dr. Franz Lappe von der Geseker Praxis vivet beim jüngsten Baulehrschautag des Landesbetriebes Landwirtschaft Hessen (LLH) und der Arbeitsgemeinschaft für Rationalisierung, Landtechnik und Bauwesen in der Landwirtschaft (ALB) in Bad Hersfeld. Dieser drehte sich um Automatisierung und Digitalisierung in der Schweinehaltung und darum, wo und wie sich die moderne Technik sinnvoll einsetzen lässt, um beispielsweise menschliche Arbeitszeit einzusparen.
Beim Einsatz der Videokamera zur Ursachenforschung von Schwanzbeißproblemen steht der Arbeitszeitaspekt indessen nicht an erster Stelle. Hier liefert die Technik Erkenntnisse bzw. Bilder, die ohne sie aus den oben beschriebenen Gründen nicht gewonnen würden.
Und aus diesem Videomaterial kann Franz Lappe dank mehrjähriger Erfahrung mit dem Verfahren oftmals Schlussfolgerungen ziehen und Problembereiche eingrenzen:
- Die häufigste Form der Caudophagie ist nach Beobachtung des Tierarztes das plötzliche und gewaltsame Beißen wegen zu knapper Ressourcen. Das können zu wenig Fressplätze, zu knapp eingestellte Futterautomaten oder zu niedrige Trockensubstanzgehalte im Fließfutter sein. Einzelne Tiere werden dann nicht richtig satt und lassen ihren Frust an den Buchtengenossen ab.
- Gleiches gilt, wenn die Liegeplätze knapp sind. Dazu muss noch nicht einmal die Buchtenfläche insgesamt zu gering sein: Es reicht häufig schon, wenn manche Liegebereiche attraktiver sind als andere, weil es dort im Sommer kühler ist, aber keine Zugluft herrscht.
- Auch der Platz direkt am Fenster ist bei starker Sonneneinstrahlung wenig beliebt, weil es den Tieren zu warm wird. Können sie nicht ausweichen, muss man sich über Schwanzbeißattacken nicht wundern.
- Etwas anders liegt der Fall beim sogenannten obsessiven Beißen: Hierbei handelt es sich um das Fehlverhalten einzelner, oftmals schwächerer Tiere mit gesundheitlichen Störungen. Auch diese Schweine können mit der Videokamera überführt und separiert bzw. behandelt werden.
Die digitale Technik liefert somit einen wertvollen Beitrag zum Tierwohl, so Lappe.
Digitale Frühwarnsysteme
Weitere Unterstützung ist in Arbeit, wie Ulrich Hartmann von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen berichtete. So läuft an der Versuchsstation für Schweinehaltung in Wehnen seit einiger Zeit das Projekt „DigiSchwein“. Im Stall ist reichlich Sensortechnik verbaut, die Daten sammelt.
Diese werden (automatisch) ausgewertet, um daraus im Idealfall ein Frühwarnsystem zu entwickeln, das die tägliche Arbeit erleichtert: Zum Beispiel wird der Tränkwasserverbrauch der einzelnen, mit elektronischen Ohrmarken gekennzeichneten Schweine erfasst. Säuft ein Tier ungewöhnlich viel oder wenig, könnte es krank sein.
Weil die Tränenkanäle beim Schwein die höchste Korrelation zur Körpertemperatur besitzen, werden Augen und Ohren der Tiere beim Gang zur Tränke mit einer Wärmebildkamera erfasst. Der Vergleich mit der konventionell erfassten Rektaltemperatur soll zeigen, ob die Kamera das Thermometer künftig eventuell ersetzen kann.
Digitale Hilfe erhoffen sich die Forscher auch von der Videoüberwachung der Sau im geburtsnahen Zeitraum. In Kombination mit dem Wasserverbrauch der Tiere und ihrem Bewegungsverhalten lassen sich womöglich Rückschlüsse auf den genauen Start der Geburt und etwaige Komplikationen ziehen.
Die Automatisierung und Digitalisierung bietet jedenfalls große Potenziale – auch wenn noch viel geforscht und getüftelt werden muss, bis die Technik in der Praxis ankommt.
Lesen Sie mehr: