„Die Anlagenbetreiber sind teilweise extrem verunsichert und frustriert“, sagt Manuel Maciejczyk, der als Geschäftsführer beim Fachverband Biogas verantwortlich ist für die Bereiche „Firmen, Sicherheit und Genehmigungen“.
„Im vergangenen Jahr schauten nach dem schrecklichen Angriff Russlands auf die Ukraine viele in Richtung Biogas. Etwa mit der Aufhebung der Höchstbemessungsleistung, also der höchstens erlaubten Produktionsmenge je Anlage, gab die Bundesregierung der Branche das Signal, mehr Biogas und damit mehr Strom zu produzieren und so nicht nur einen Teil der Erdgasimport aus Russland zu ersetzen, sondern auch dabei zu helfen, die Strompreise zu senken“, sagt er. Doch zu schnell folgte die Ernüchterung. Die Pläne zur Erlösabschöpfung hatten ein vollkommen anderes Vorzeichen: Sie drohten zwischenzeitlich gerade die bedarfsgerechte Stromerzeugung unwirtschaftlich zu machen und viele Anlagenbetreiber in die Verlustzone zu treiben. „Auch wenn wir mit dem schließlich geltenden Kompromiss zur Erlösabschöpfung leben können, hat das Vorgehen der Bundesregierung viele Betreiber verunsichert“, ergänzt Maciejczyk. Natürlich, so der Experte, sind nach wie vor viele Betreiber extrem motiviert.
Zeichen auf Gelb?
Dennoch ist die Zahl derer, die ans Aufhören denken, deutlich gestiegen. Denn nicht nur die deutsche Politik sendet immer wieder widersprüchliche Signale. Auch auf EU-Ebene stehen die Zeichen trotz RepowerEU nicht deutlich auf Grün. Vorschläge zur neuen europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III) etwa enthalten für Anlagen, die seit 15 Jahren und länger am Netz sind, Vorschriften zur Reduktion des Treibhausgasausstoßes um 80 %. Für viele Betreiber dieser Altanlagen wäre das technisch und wirtschaftlich nur schwer oder sogar gar nicht umsetzbar. Kämen die Vorschläge durch, so der Fachverband Biogas, wäre dies ein massiver Eingriff in den Bestands- und Vertrauensschutz und widerspräche sämtlichen Zielsetzungen der EU zur Steigerung der Biogaserzeugung.
„Den Anlagenbetreibern, der ganzen Branche, fehlen ganz einfach klare Signale aus der Politik, ob, in welchem Umfang und auch in welchen Bereichen Biogas eigentlich gewünscht ist“, sagt der Experte vom Fachverband Biogas. Dass Investitionen in die Weiterentwicklung einer Anlage durch viele bürokratische Vorschriften zusätzlich nicht nur extrem kompliziert, sondern häufig auch extrem teuer werden, ist vor diesem Hintergrund fast schon eine Lappalie.
Wohin will die Politik?
Was aber möchte die Politik denn nun von der Branche? Früher war das relativ einfach: Als im Jahr 2000 die erste Version des Erneuerbare-Energien-Gesetzes verabschiedet wurde, stand allein die Ausweitung der Produktion von erneuerbarem Strom im Mittelpunkt. Das galt für Biogas genauso wie für Windenergie und Photovoltaik. Entsprechend war das Fördersystem aufgebaut und entsprechend bauten Betreiber Anlagen, die in Grundlast Strom produzierten. Eine sinnvolle Verwendung der Wärme war ein Zubrot, für den wirtschaftlichen Betrieb einer Anlage aber nicht unbedingt erforderlich.
Doch diese Zeiten sind vorbei. Strom in Grundlast zu erzeugen ist (berechtigterweise) längst kein zukunftsfähiges Konzept mehr. Das hat die Politik erkannt, schon vor Jahren das EEG verändert und Instrumente wie zum Beispiel Flexibilitätsprämie bzw. Flexibilitätszuschlag eingeführt. Manch Anlagenbetreiber hat darauf reagiert und seine Anlage doppelt-, dreifach- oder noch mehr überbaut. So heißt es, wenn Betreiber mehr BHKW-Leistung installieren als nötig wäre, um die erzeugte Biogasmenge in Grundlast zu verstromen. Bei doppelter Überbauung sind zum Beispiel statt 500 kWel 1000 kWel installiert, bei dreifacher 1500 kWel usw. Entsprechend laufen die BHKW weniger Stunden pro Jahr.
Kritik muss sich an dieser Stelle sicher auch die Branche gefallen lassen. Denn auch wenn die Förderung nicht perfekt ausgestaltet war und betriebswirtschaftlich gesehen nicht zu allen Anlagen passt und passte, hätten sicher mehr Betreiber ihre Anlage flexibilisieren können und müssen. Denn ganz ehrlich: Die Speicherfunktion, die bedarfsgerechte, das Stromnetz stabilisierende Stromproduktion ist und bleibt das Hauptargument für Biogas. Für „einfach nur Strom“ ist Biogas, wie es etwa Jonas Böhm mit seinen Berechnungen zur Flächeneffizienz dargestellt hat, einfach zu ineffizient und teuer.
Dennoch bleibt die Frage: Wo sieht die aktuelle Bundesregierung Biogas? Eine konkrete Aussage gibt es (noch) nicht. Laut Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2021 soll „Bioenergie in Deutschland eine neue Zukunft haben“. Wie genau das aussehen kann, möchte die Bundesregierung mithilfe einer Nationalen Biomassestrategie (NABIS) erarbeiten. Zu dieser liegt bisher ein Eckpunkte-Papier vor. Die fertige Strategie wird Ende dieses Jahres erwartet.
Die wichtigsten Inhalte des Eckpunkte-Papieres: Biomasse ist weltweit eine zunehmend knappe Ressource. Um Kohlenstoff möglichst langfristig zu binden, soll die stoffliche Nutzung von Biomasse gefördert werden.
Jeder sagt was anderes
Das für Energie und damit auch für Biogas zuständige Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) verweist auf Nachfrage des Wochenblattes nach der zukünftigen Rolle von Biogas kurz und knapp auf die noch ausstehende NABIS. Etwas konkreter wird das Bundesumweltministerium (BMUV). Die Pressestelle schreibt: „Die Nutzung von Biomasse im Energiesektor soll nicht angereizt, sondern Bioenergie nur dort eingesetzt werden, wo sie unabdingbar für die Versorgung ist, keine strombasierten Alternativen zur Verfügung stehen oder Bioenergie als Produkt aus Kaskaden- oder Koppelnutzung gewonnen wird.“ Landwirtschaftliche Flächen sollten, so das BMUV weiter, in erster Linie für die Sicherung der Ernährung genutzt werden. Als Substrate für die Biogas- bzw. Biomethanerzeugung sollten „vorrangig Abfall- und Reststoffe verwendet werden, die nicht mehr stofflich genutzt werden können“.
Dem Anbau von Energiepflanzen steht das BMUV skeptisch gegenüber. Die Pressestelle schreibt, dass der Energiepflanzenbau als Teil der Intensivlandwirtschaft Umwelt- und Naturschutzprobleme verschärft hat und sich „Intensivkulturen wie Mais besonders negativ auf die Biodiversität auswirken“. Insgesamt könne Bioenergie aus Anbaubiomasse „nur in sehr begrenztem Maße zu einem nachhaltigen und weitgehend auf erneuerbaren Energien beruhenden Energiemix beitragen“. Eine „gut ausgeführte, verstärkte Vergärung ohnehin anfallender Wirtschaftsdünger“ könne allerdings „zu reduzierter Emission bestimmter Schadstoffe bzw. Klimagase insbesondere Methan und Ammoniak führen“.
"Biogasfreundlich"
Ausführlicher und biogasfreundlicher lesen sich die Antworten der Pressestelle des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL). Einige Auszüge:
- „Biogas kann einen wichtigen Beitrag leisten, um die dringend nötige Stärkung unserer Eigenversorgung mit Energie zu beschleunigen und die Wärmewende im ländlichen Raum zu erleichtern.“
- „Das BMEL unterstützt die Biogasanlagenbetreiber dabei, ihre Anlagen zu Spitzenlast- und Speicheranlage zu flexibilisieren. Bei konsequenter Flexibilisierung aller Biogasanlagen könnte die gasbasierte flexible Stromerzeugung fast zur Hälfte aus Biogas erfolgen.“
- „Das BMEL ist sich der großen Bedeutung von Bioenergie für den ländlichen Raum bewusst.“ Dazu gehören zusätzliche Einkommen für landwirtschaftliche Betriebe, Wertschöpfung und Arbeitsplätze für den ländlichen Raum sowie Biogasanlagen als Grundlage für Nahwärmenetze und die Dekarbonisierung des Wärmesektors im ländlichen Raum.
- Die Vergärung von Wirtschaftsdünger sieht das BMEL als „die derzeit einzige, technisch verfügbare Option, um gleichzeitig alle Emissionen der Wirtschaftsdüngerlagerung zu adressieren.“ Eine Ausweitung der Wirtschaftsdüngervergärung auf 100 % des technischen Potenzials, das entspricht rund 70 % der vorhandenen Güllemenge, könnte zusätzlich Emissionen in Höhe von bis zu 4,8 Mio. t CO2äq einsparen. „Durch die zusätzliche Güllevergärung könnten so etwa 34 % der im Klimaschutzplan festgeschriebenen Klimaschutzziele für die Landwirtschaft erreicht werden. Insgesamt beträgt das THG-Einsparpotenzial bei einer Erschließung des gesamten Güllepotenzials für eine energetische Nutzung jährlich rund 8,7 bis 10,1 Mio. t CO2äq.“
Auf die Frage, welche Rolle der Energieträger Biomasse spielen kann bzw. muss, um die Ziele der Bundesregierung im Bereich Energiewende zu erreichen, verweist auch das BMEL auf die NABIS. Im Zusammenhang mit der Biomassestrategie, so ein Sprecher des Ministeriums, werde auch der zukünftige Beitrag von Biogasanlagen bewertet. Der Fokus bei den Substraten werde auf landwirtschaftlichen Nebenprodukten und biogenen Abfällen liegen.
Silphie, Paludi, Wildpflanzen
Um den Substratwechsel weg von Energiepflanzen in Hauptkultur wie etwa Silomais hin zu Rest- und Abfallstoffen besser hinzubekommen, um die Biodiversität zu fördern und zur Bodenverbesserung kann sich das BMEL mittelfristig einen verstärkten Anbau von Zwischenfrüchten und die Nutzung des Aufwuchses von Biodiversitätsflächen, von ökologischen Dauerkulturen zum Beispiel Durchwachsene Silphie, Paludikulturen oder Energiegräsern vorstellen. Mit Wildpflanzenmischungen und Silphie, so der BMEL-Sprecher, stünden praxisreife alternative Energiepflanzen zur Verfügung, die nachweislich die Artenvielfalt fördern. Denkbar seien auch Kulturen wie Mais-Bohnen-Gemenge, Sorghum-Blühpflanzen-Mischanbau oder Steinklee. Hier bestehe allerdings noch Forschungs- und Entwicklungsbedarf.
Doch leider haben die alternativen Energiepflanzen einen Nachteil: Die Erträge sind niedriger als bei der Referenzfrucht Mais. Damit steigt der Flächenbedarf und es entsteht ein Zielkonflikt zwischen der gewünschten Förderung der Biodiversität und der unerwünscht höheren Flächeninanspruchnahme. Laut BMEL-Sprecher könne die energetische Nutzung dieser Pflanzen aber Einkommen für die Bewirtschafter der Flächen bringen. So ließen sich Naturschutzmaßnahmen besser refinanzieren und die Wertschöpfung in ländlichen Regionen verbessern.
Doch der Einsatz der alternativen Energiepflanzen erhöht nicht nur den Flächenbedarf. Auch wenn sich die Pflanzen gut vergären lassen, ist ihr Einsatz nicht ohne Weiteres möglich. Das hat mehrere Gründe: Zum einen sind in der Genehmigung der Anlage bestimmte Substrate festgeschrieben. Wer wechseln möchte, muss die Genehmigung zumindest anpassen. Das verursacht nicht nur Aufwand und Kosten, sondern kann auch zu neuen Auflagen führen. Zum anderen besitzen die alternativen Pflanzen in der Regel eine geringere Energiedichte. Gleiche Einsatzmenge bedeutet weniger Biogas. Für die gleiche Menge Biogas müssten mehr m3 Silage durch die Anlage wandern. Mehr Substrat braucht aber mehr Platz in Fermenter und Gärrestlager. Auch das kostet.
Wie es genau mit Biogas weitergehen wird und welchen Rahmen die Bundesregierung vorgeben wird, ist also derzeit noch nicht bekannt. Auch die Biogasbranche erwartet die Nationale Biomassestrategie deshalb mit Spannung. „Das ist für die nächsten Jahre eine der wegweisendsten Entscheidungen, die die Politik triff und wird Grundlage für die nächste EEG-Novelle sein“, sagt Biogas-Experte Maciejczyk.
Konkrete Pläne für Gettorf
Währendessen hat Martin Laß seinen Plan für die Zukunft längst geschmiedet. Zusammen mit zwei anderen Biogasanlagenbetreibern und der Gemeindeverwaltung möchte er die Wärmeversorgung des gesamten Ortes Gettorf, von Wohnhäusern, Schule, Verwaltungsgebäuden, aber auch Gewerbe- und Industriebetrieben auf erneuerbare Beine stellen.
Dazu sollen nicht nur neue Standorte von Satelliten-BHKW und Wärmespeichern entstehen. Nutzen möchten die Beteiligten alle vorhandenen Wärmequellen: Etwa auch die Abwärme von Industriebetrieben oder die Wärme des Gettorfer Abwassers, das mithilfe einer Wärmepumpe ganzjährig 1 kWh Strom in 3 bis 4 kWh Wärme verwandeln kann.
Ein weiteres Standbein ist die Umwandlung von überschüssigem Wind- und Solarstrom mithilfe von Power-to-Heat (PtH) zu Wärme. Dabei sind PtH-Anlagen nichts anderes als große Tauchsieder, die elektrische Energie in Wärme umwandeln. Große Erdbecken am Ortsrand mit einem Fassungsvermögen von 50 000 m3 und mehr sollen die Wärme speichern.
Hilfreich, wenn auch in Gettorf (bisher) nicht konkret angedacht, können große Geothermieanlagen und Elektrolyseure sein. Elektrolyseure erzeugen mithilfe von Wind- und PV-Überschuss-Strom Wasserstoff. Dieser lässt sich direkt nutzen oder auch unter Hinzunahme von CO2 aus dem Biogasprozess bzw. aus dem Abgas der BHKW zu Methan „umbauen“. Eine weitere Möglichkeit, Strom zu speichern.
Autark bis 2040
Bis spätestens zum Jahr 2040 soll die 8000-Einwohner-Gemeinde Gettorf strom- und wärmeautark sein. Die notwendigen Investitionen dafür liegen bei 70 bis 80 Mio. €. Dagegen stehen eine sichere, unabhängige, CO2-neutrale und in den laufenden Kosten günstige Energieversorgung. Gerade für Eigentümer von schlecht dämmbaren Altbauten ein hohes Gut. Die Aufgabe von Biogas beschreibt Laß dabei folgendermaßen: „Biogas liefert nur einen Teil der Energie. Es braucht den Mix mit Sonne und Wind. Aber Biogas ist jederzeit bereit. Es liefert die dringend benötigte Flexibilität und den Speicher für die Zeiten der Dunkelflaute.“ Gerade für ländliche Gemeinden mit 3000 bis 12 000 Einwohner ist Biogas für Laß damit ein wichtiger Baustein für die Wärme-, die Strom- und damit auch für die Verkehrswende.
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