Es gärt auf dem Land. „Der Frust ist groß, Existenzsorgen sind verbreitet, aber eine Hinwendung zum Rechtspopulismus ist bislang ausgeblieben.“ So lautet eines der Kernergebnisse einer aktuellen Umfrage unter den protestierenden Landwirten, die ein vierköpfiges Team von Sozialwissenschaftlern der Ruhr-Universität Bochum (Prof. Rolf G. Heinze) und der Fachhochschule Münster (Prof. Sebastian Kurtenbach) besonders in den Blick genommen hat.
Die protestierenden Bäuerinnen und Bauern sehen „ihre Existenz gefährdet“, ihre Sorgen seien „sehr ausgeprägt und weitreichend“, heißt es in der 24 Seiten umfassenden Auswertung mit dem Titel „Sorgen und Proteste auf dem Land – Ergebnisse einer empirischen Untersuchung aktueller Bauernproteste“. Sie wird in Kürze veröffentlicht und liegt dem Wochenblatt exklusiv vor.
Wer wurde befragt?
Die Untersuchung stützt sich auf die onlinegestützte Befragung von 396 Landwirtinnen und Landwirten im Voll- oder Nebenerwerb sowie von weiteren 96 Befragten, die eine Tätigkeit oder einen Beruf in Bezug zur Landwirtschaft ausüben. 94 % der Befragten betreiben konventionelle Landwirtschaft, 4,3 % Ökolandbau.
Die Erhebung fand von Mitte November bis Ende Dezember 2020 statt und zielte vor allem auf das Protestmilieu unter den Bäuerinnen und Bauern in Deutschland. Dazu wurde der über das Internet bereitgestellte Fragenkatalog gezielt über die einschlägigen digitalen Kanäle und Foren verbreitet, die dem Protestumfeld zuzuordnen sind.
Rabea Bieckmann, Ko-Autorin der Studie von der Ruhr-Universität Bochum, teilte mit, dass die Forschungsgruppe in den zurückliegenden Wochen noch einmal gezielt einige agrarische Veranstaltungen besucht habe. Bieckmann nennt unter anderem das „Zukunftsgespräch Landwirtschaft“, die Landwirtschaftstagung der Evangelischen Akadamie Loccum oder auch das vom Wochenblatt kürzlich veranstaltete „Branchengespräch Zukunftsbauer“ (Hier geht es zum Wochenblatt-Forum mit den Aufzeichnungen der Branchengespräche).
Auf den digitalen Fragebogen der Forscher hat im Dezember 2020 auch das Wochenblatt hingewiesen, unter anderem über seinen Newsletter. Auf diese Weise seien Personen erreicht worden, die nach Angaben der Forscher „nicht in den genannten Gruppen aktiv sind, aber trotzdem Sorgen und Forderungen äußern wollen“, heißt es in der zusammenfassenden Studie.
Große Sorgen, schwindendes Vertrauen
Einige Ergebnisse des Forscherteams:
- Die Befragten machen sich die größten Sorgen
– über „neue politische Vorgaben für die Landwirtschaft“ (87,9 %),
– über die „generelle Zukunft der Landwirtschaft“ (80 %) sowie
– über die persönliche wirtschaftliche Zukunft (68,6 %).
Eher auf den hinteren Rängen landeten Themen wie Hofnachfolge (28,9 %), Klimawandel (20,3 %) oder Umwelt /17,5 %). - Unter den Protestbefürwortern gibt es ein starkes Misstrauen gegenüber den staatlichen Institutionen. „Überhaupt kein Vertrauen“ haben
– 46,7 % der Befragten in die EU-Kommission,
– 37,9 % in das Agrarministerium und
– 27,9 % in die Bundesregierung.
Unter den staatlichen Einrichtungen genießt einzig die Polizei „großes Vertrauen" (43,3%) oder „sehr großes Vertrauen“ (24,5 %). - Starkes Misstrauen, ja Ablehnung schlägt von Seiten der protestierenden Landwirte den öffentlich-rechtlichen Medien wie ARD, ZDF oder WDR entgegen. Ihnen gegenüber haben 45,1 % der Befragten „überhaupt kein Vertrauen“, weitere 30,6 % ein “sehr geringes Vertrauen“.
- Welche Partei vertritt die Interessen der Landwirtschaft derzeit am ehesten?
– Auf diese Frage nennen 40 % der Befragten die FDP.
– Ein weiterer, fast gleichgroßer Block von 37 % sieht die Interessen „durch keine der Parteien vertreten“.
– Etwa halb so groß ist die Gruppe derer, die die CDU nennen (18,4 %).
– 3,9 % nennen die AfD.
Die Parteien SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und Die Linke spielten in den Antworten keine Rolle.
Gegen Rechtsextreme und Rechtspopulisten "bisher resistent"
Nach Angaben der Forscher haben AfD und selbsternannte „Querdenker“ versucht, in den letzten Wochen und Monaten unter den protestierenden Landwirten Einfluss zu gewinnen. Sie seien aber bislang gescheitert. Die Forscher aus Bochum und Münster weisen „ausdrücklich“ darauf hin, „dass die Bäuerinnen und Bauern gegenüber diesen rechten Strömungen bislang resistent sind und derartige Versuche im Protestmilieu abgelehnt wurden“.
Ein weiterer Befund des Forschungsteams: In den Bauerngruppen, die den Protest tragen, sei „die Unzufriedenheit mit der Demokratie deutlich erhöht“, die Demokratie werde aber nicht grundsätzlich abgelehnt.