Es gab wenige Überraschungen, als Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) am Dienstagmorgen seine Eckpunkte für die Einführung einer verpflichtenden staatlichen Tierhaltungskennzeichnung öffentlich vorstellte. Das Konzept konzentriert sich auf die schon durchgesickerten fünf Haltungsformen. Sie beziehen sich zunächst nur auf die Schweinemast.
Fünf Haltungsformen
- Haltungsform Stall: Die Haltung während der Mast erfolgt entsprechend der gesetzlichen Mindestanforderungen.
- Haltungsform Stall + Platz: Den Schweinen steht mindestens 20 % mehr Platz im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard zur Verfügung. Die Buchten sind durch verschiedene Maßnahmen strukturiert. Dies können etwa Trennwände, unterschiedliche Ebenen, verschiedene Temperatur- oder Lichtbereiche sein.
- Haltungsform Frischluftstall: Den Schweinen wird innerhalb des Stalls ein dauerhafter Kontakt zum Außenklima ermöglicht. Dies wird erreicht, indem mindestens eine Seite des Stalls offen ist, sodass die Tiere Umwelteindrücke wie Sonne, Wind und Regen wahrnehmen können. Zudem steht ihnen mindestens 46 % mehr Platz im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard zur Verfügung.
- Haltungsform Auslauf/Freiland: Den Schweinen steht ganztägig, mindestens jedoch acht Stunden pro Tag, ein Auslauf zur Verfügung bzw. sie werden in diesem Zeitraum im Freien ohne festes Stallgebäude gehalten. Zudem steht ihnen mindestens 86 % mehr Platz im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard zur Verfügung.
- Haltungsform Bio: Die Lebensmittel wurden nach den Anforderungen der EU-Ökoverordnung (EU) 2018/848 erzeugt. Das bedeutet für die Tiere eine noch größere Auslauffläche und noch mehr Platz im Stall gegenüber den anderen Haltungsformen.
„Wir machen das jetzt!“, gab sich Özdemir entschlossen. Die Tierhaltungskennzeichnung könne nicht länger warten. Er wünsche sich, „dass gutes Fleisch aus Deutschland auf unsere Tische kommt“, sagte er. Ihm sei eine Zukunft für die Tierhaltung in Deutschland und eine Perspektive für Hofnachfolger wichtig.
Schon beim Zeitplan zeigt sich, dass bis zur Einführung noch Zeit vergehen wird. Vor der Sommerpause soll ein entsprechender Gesetzentwurf in die Abstimmung zwischen den Ministerien. Bis Ende des Jahres soll der Bundestag zumindest in erster Lesung über das Gesetz beraten, im Laufe des Jahres 2023 soll die Kennzeichnung im Handel eingeführt werden. Einen Entwurf für die grafische Darstellung will Özdemir wohl noch vor dem Sommer mit dem Gesetzentwurf vorstellen.
Finanz-Streit mit der FDP
Offen bleibt die Finanzierung für einen Umbau der Tierhaltung hin zu höheren Haltungsformen. Außer 1 Mrd. € für die Stallinvestitionen für die nächsten vier Jahre hat Özdemir nichts vorzuweisen. „Innerhalb der Koalition gibt es noch Klärungsbedarf“, sagte er zum Streit mit der FDP über ein Finanzierungsmodell für höhere laufende Tierwohlkosten. Er sei weiter „zuversichtlich“, dass es noch eine gemeinsame Lösung geben könne. Der FDP riet er, „nicht zu hoch auf den Baum“ zu klettern, damit diese in der Frage der Finanzierung auch wieder herunterkäme. „Wenn jemand zu allem Nein sagt, sagt er auch Nein zur Tierhaltung in Deutschland“, so Özdemir.
Vom Handel habe er die Zusage, dass dieser die Haltungsform 2 „Stall + Platz“ wie bisher über die Initiative Tierwohl finanzieren wolle. Damit trage der Handel dazu bei, dass der Staat weniger Geld und nur welches für die höheren Haltungsformen beisteuern müsse.
Vorerst unbeantwortet bleibt auch die Frage, wie sich der gesetzliche Mindeststandard mit dem Konzept entwickeln will. Özdemir wollte erste Überlegungen, die Haltungsform 2 im Jahr 2028 zum gesetzlichen Mindeststandard zu machen, nicht bestätigen. „Die Frage stellt sich jetzt nicht“, sagte er. Für die Erweiterung des gesetzlichen Mindeststandards werde sich das BMEL die wirtschaftliche Entwicklung anschauen. Die Borchert-Kommission hatte in ihrem Konzept eine Erhöhung des gesetzlichen Mindeststandards auf das Tierwohl Einstiegsniveau für 2030 und für 2040 eine weitere Anhebung des Mindeststandards auf ein Niveau mit Außenklima anvisiert.
Keine Preiserhöhung
Für die Verbraucher ändere sich zunächst gar nicht so viel, so Özdemir. Der Gesetzentwurf werde sich nicht unmittelbar auf die Preise auswirken, weil die Kennzeichnung „erst in ein paar Jahren“ im Handel für alle Tierarten eingeführt sein werde. „Bis wir eine Marktdurchdringung haben, werden Jahre vergehen“, sagte Özdemir. Zudem wird die Haltungskennzeichnung zunächst auch nur im Einzelhandel, im Fachhandel an Bedientheken, im Onlinehandel sowie auf dem Wochenmarkt eingeführt. Die Gastronomie und die Außer-Haus-Verpflegung sollen erst später folgen.
Özdemir bekräftigte, dass er eine Verzahnung mit einer Herkunftskennzeichnung anstrebt. Fleisch aus dem Ausland könne freiwillig am Kennzeichnungssystem teilnehmen. Eine Verpflichtung sei aufgrund des EU-Rechtes nicht möglich.
Stroheinstreu und Ringelschwanz?
Neben der Finanzierungsfrage streitet die Ampelkoalition auch über die genauen Kriterien, die die Landwirte bei einem staatlichen Tierwohllabel umsetzen sollen. Wie aus einem internen Arbeitspapier des BMEL hervorgeht, sollen neben den Kriterien in puncto Stallbau – 20 % mehr Platz pro Tier in Haltungsform Strukturstall, Trennwände, unterschiedliche Ebenen usw. – auch Kriterien wie Stroheinstreu und intakter Ringelschwanz (bis zur Schlachtung) verbindlich vorgeschrieben werden. Wie im Papier steht, soll der Anforderungskatalog neben „Merkmalen einer tiergerechten Wirtschaftsweise“ (etwa Stroheinstreu) auch „Merkmale, die direkt am Tier ansetzen“ (etwa Ringelschwanz) enthalten.
Für Diskussionen dürfte auch die Tatsache sorgen, dass das BMEL den Förderbedarf geringer als die Borchert-Kommission ansetzt. Im Bereich der Mastschweine werden vom BMEL je nach Förderintensität ca. 1 bis 2 Mrd. € bis 2027 veranschlagt. Würden alle wesentlichen Nutztierarten gefördert, rechnet das BMEL abhängig von der Förderintensität und der Umbaumotivation mit einem jährlichen Förderbedarf von 1,8 bis 3,2 Mrd. €. Die Borchert-Kommission war von 3 bis 4 Mrd. € pro Jahr ausgegangen.
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