Corona hat Eva-Maria Lüers den entscheidenden Schubs gegeben. Ihr Job als Regieassistentin im Theater dümpelte zwischen den Lockdowns. Und dann zeichnete sich noch ab, dass ein neuer Intendant kommen würde. „Dann werden in der Regel drei Viertel der künstlerischen Mitarbeiter entlassen“, erklärt sie.
Fast 15 Jahre hatte Eva-Maria Lüers, die auf einem Bauernhof im Oldenburger Münsterland aufgewachsen ist, mit dieser Unsicherheit gelebt. Sie hatte sich mit anstrengenden Arbeitszeiten, immer wieder befristeten Verträgen und Urlaub nur während der Theaterferien im Sommer arrangiert. Doch dann dachte sie: „Das macht irgendwie keinen Spaß mehr.“
Verkürzte Ausbildung
Zwei Jahre später steht sie in der großen Werkstatt der Tischlerei Hagemann in Münster-Roxel. Dort ist sie nach dem Abschluss im Sommer als Gesellin übernommen worden, zunächst befristet. „Anders bekommen wir das leider nicht hin“, sagt Christina Knappe-Quante, die sich im Betrieb um Kommunikation und Organisation kümmert. „Wir müssen reagieren können, wenn sich die Auftragslage verschlechtert.“ Aktuell hat der Betrieb 31 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eva-Maria Lüers repariert gerade ein Bett, das Kunden gebracht haben. „Ansonsten bin ich in der Fertigung. Dinge, die zugeschnitten und gefräst wurden, baue ich zusammen.“
Und dann den Meister
Während der verkürzten Ausbildung hat Eva-Maria Lüers auch schon Teile der Meisterprüfung absolviert. Die weiteren will sie ab dem nächsten Jahr angehen. Vom Biss, mit dem die Gesellin ihren Weg geht, ist Christina Knappe-Quante beeindruckt. „Abiturienten sind nach der Ausbildung meistens direkt weg, bei Älteren ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie im Beruf bleiben. Sie wissen, wo sie hinwollen.“
Auch deshalb gaben sie und ihr Ehemann Jörg Knappe, der die Tischlerei führt, Eva-Maria Lüers eine Chance, als sie Anfang dieses Jahres bei ihnen anklopfte. Nach der Insolvenz ihres ersten Ausbildungsbetriebs suchte sie ein Unternehmen für die verbliebenen Monate bis zur Prüfung. „Wir finden den Weg, den sie eingeschlagen hat, wirklich mutig“, sagt Christina Knappe-Quante. „So jemanden darf man nicht hängen lassen.“
Vertagter Traum
Mit einer Tischlerlehre hatte Eva-Maria Lüers schon als Abiturientin geliebäugelt. Aber dann klappte es doch mit dem Studienplatz. In Köln studierte sie Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Germanistik und Pädagogik. Nach einem halben Jahr in Los Angeles gelang zügig der Berufseinstieg am Theater. Auf zwei Stationen in Münster folgte der Wechsel nach Osnabrück. Akkuschrauber oder Stichsäge hatte sie da auch mal in der Hand. „Gerade an kleinen Theatern muss man auch mal anpacken.“
Finanziell herausfordernd
Dass sie das kann, bewies sie auch beim Probearbeiten für ihren Ausbildungsplatz. Im Sommer 2021 startete sie in einer Tischlerei in Warendorf in die Ausbildung. Was die größte Herausforderung neben dem Praktischen war? „Man muss aushalten können, dass man wieder unten anfängt und dass Jüngere viel mehr Erfahrung haben.“ Auch finanziell war die Ausbildung herausfordernd. Von 550 € netto im ersten Lehrjahr und 700 € im zweiten lässt sich der Lebensunterhalt nicht bestreiten. „Das hat nur geklappt, weil meine Partnerin die Miete übernommen hat.“
Möglichkeiten zur Unterstützung gibt es zwar. Viele kamen für Eva-Maria Lüers allerdings nicht infrage, weil sie ihren alten Job von sich aus und ohne Absprache mit der Agentur für Arbeit gekündigt hatte. „Das würde ich heute anders machen.“
Beratung ist Pflicht
Petra König ist Pressesprecherin der Arbeitsagenturen im Münsterland. Ihr zentraler Rat: „Nehmen Sie erst die Qualifizierungsberatung in Anspruch, bevor sie etwas tun.“ Denn der Anspruch auf Förderung ist schnell verwirkt. Zum Beispiel, wenn jemand selbst kündigt und eine neue Ausbildung startet. Auch spielt eine Rolle, ob eine Umschulung aus Sicht der Agentur für Arbeit sinnvoll ist. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn es ein hohes Risiko gibt, immer wieder arbeitslos zu werden. Förderung gibt’s auch für den Wechsel in Mangelberufe. Anlaufstelle ist die Berufsberatung für Erwachsene, die es in jeder Arbeitsagentur gibt.
Sport im Verein
Trotzdem ist sie im Reinen mit dem Weg, der hinter ihr liegt. Der Abschied vom Theater bedeutet für sie vor allem mehr Lebensqualität. „Ich kann jetzt endlich wieder Sport im Verein machen“, berichtet sie. In Münster hat sie sich einer Softball-Mannschaft angeschlossen. Und das, was sie an Können dazugewonnen hat, sieht sie jeden Tag in ihrer Küche. Dort steht ihr Gesellenstück, ein Esstisch im Stil der 1950er-Jahre.
Umschulung: Diese Wege und Förderungen gibt’s
Wer eine Umschulung macht, erwirbt einen neuen Berufsabschluss. Das heißt: Am Ende stehen dieselben Prüfungen, die auch Auszubildende im „normalen“ Azubi-Alter absolvieren. Es gibt vor allem zwei Wege.
Umschulung im Betrieb: Sie ist der Klassiker und dauert in der Regel zwei statt der üblichen drei Jahre. Sie ist auch in Teilzeit möglich, zum Beispiel für Menschen mit kleinen Kindern oder Angehörigen, die Pflege benötigen.
Umschulung bei einem Bildungsträger: Auf Prüfungen für manche Berufe bereiten sich Auszubildende in Vollzeit an einer Schule vor. Das ist dann auch bei Umschulungen so. Auch in machen anderen Berufen gibt es diese Alternative.
Das normale Azubi-Gehalt reicht nicht, um den kompletten Lebensunterhalt zu bestreiten oder gar eine Familie über Wasser zu halten. Deshalb gibt es verschiedene Möglichkeiten zur Aufstockung.
Arbeitslosengeld: Ist die betriebliche Umschulung mit der Agentur für Arbeit abgestimmt und wird sie von ihr gefördert, können Umschüler zusätzlich zur Ausbildungsvergütung Arbeitslosengeld erhalten. Unter bestimmten Bedingungen übernimmt die Arbeitsagentur auch Lernmittel, Fahrtkosten oder die Kosten für die Kinderbetreuung. Bei schulischen Ausbildungen kann die Agentur die Kosten übernehmen und zusätzlich Arbeitslosengeld zahlen.
Weitere Möglichkeiten: Ist eine Weiterbildung oder Umschulung aus gesundheitlichen oder behinderungsbedingten Gründen notwendig, kann eine Finanzierung durch den zuständigen Rehabilitationsträger in Betracht kommen. Dieser übernimmt die entstehenden Kosten und zahlt unter bestimmten Voraussetzungen Übergangsgeld.
Sonstiges: Es gibt auch weitere Möglichkeiten der Förderung. Für einige Umschüler lohnt es sich zum Beispiel, Wohngeld zu beantragen.
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