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Landwirtschaft im Abi

Im Unterricht Bodenproben ziehen oder Unkräuter bestimmen – für ­Abiturientinnen und Abiturienten des Beruflichen Gymnasiums mit Schwerpunkt Agrarwirtschaft in Lingen ist das nichts Ungewöhnliches.

Der 16-jährige Marten Hüsing knetet die Grassilage in den Händen und riecht an ihr. Es ist Donnerstagvormittag. In der Stunde zuvor stand Mathematik auf dem Stundenplan. Im Unterricht untersucht der Schüler mit Lehrer Matthias Bruns an diesem Tag die Silage über seine Sinne. Mit der Nase prüft der Schüler die Grassilage auf Fehlgärung, Erwärmung, Hefen- und Schimmelbildung. Was auf den ersten Blick befremdlich erscheint, gehört an sieben beruflichen Gymnasien mit Schwerpunkt Agrarwirtschaft in Niedersachsen zum Alltag.

Viele Möglichkeiten

Marten Hüsing ist Anfang des Schuljahres in die elfte Klasse nach Lingen im Emsland gewechselt. Zulassungsvoraussetzung für das berufliche Gymnasium: ein erweiterter Realschulabschluss. Mit dem Abschluss in der Tasche hat der Jugendliche diese Voraussetzung erfüllt. In etwa drei Jahren steht ihm die Abiturprüfung bevor. Marten Hüsing kommt von einem Milchviehbetrieb aus dem rund 20 km entfernten Freren an der Grenze zu NRW. Schon sein Bruder hat das Abitur im Fachbereich Agrar gemacht. Besonders wichtig für den Schüler: Das „Agrar-Abi“ verleiht den Absolventen die allgemeine Hochschulreife. Trotz der Spezialisierung können die Abiturienten damit ein Studium in jedem beliebigen Fachbereich an der Uni oder Hochschule aufnehmen. Theoretisch ist sogar ein Jura- oder Medizin-Studium möglich.

Hauptprüfungsfach Agrar

Neben Kernfächern wie Deutsch, Mathematik oder Englisch ist in Lingen das Fach ­Agrar- und Umwelttechnologie mit vier Wochenstunden eines der drei Hauptprüfungsfächer im Abitur. Nach einem Monat Schule ist für Marten Hüsing klar: „Ich freue mich immer auf die Tage, an denen wir Agrar- und Umwelttechnologie haben.“ Behandelt werden hier Themen wie Bodenfruchtbarkeit, Tierhaltungssysteme oder Natur- und Landschaftsschutz. „Wir waren auch schon draußen und haben den Trockensubstanzgehalt im Mais bestimmt“, sagt der Schüler. Für Praxiseinheiten treffen sich er und seine Klassenkameraden auf Feldern rund um die Schule. Mit den Landwirten vor Ort ist das abgesprochen.

Der größte Teil des Unterrichts findet aber in dem Klassenraum statt. Die Jahrgänge des Schwerpunktes Agrarwirtschaft bestehen meist aus acht bis zwölf Jugendlichen. Von den kleinen Gruppen in den Agrar-Fächern profitieren die Schüler im Unterricht. Andere Fächer, zu denen auch BWL/VWL, Informatik und Religion zählen, haben die Abiturienten des Schwerpunktes Agrarwirtschaft gemeinsam mit Schülern aus dem Profil Sozialpädagogik. Je nach Unterrichtsinhalt und Lehrer kann auch in diesen Fächern Landwirtschaft Thema sein. „In BWL werden auch Beispiele vom Hof gebracht. Da kann ich mich dann gut einbringen und mit diskutieren“, sagt die Schülerin Alexa Gebbeken. Außerdem haben die Abiturienten einmal die Woche Fachunterricht. Hier geht es anfangs vor allem um praktische Inhalte, wie das Untersuchen der Grassilage oder unterschiedliche Arbeiten in der Werkstatt. In der zwölften Klasse erarbeiten die Schüler innerhalb von mehreren Wochen ein Projekt. Die Ergebnisse stellen sie in einer öffentlichen Präsentation vor. Themen sind unter anderem „Der Wert der Milch“ oder „Fairtrade auf dem Prüfstand“.

Abi und Ausbildung

Neben dem fachbezogenen Abitur haben die Schüler in Lingen seit 2013 die Möglichkeit, in Kombination mit dem Schulabschluss die landwirtschaftliche Ausbildung zu absolvieren. Sie erlangen damit eine Doppelqualifikation in etwas mehr als vier Jahren. Alexa Gebbeken und ihre Mitschülerin Theresa Dühnen haben sich für diesen Weg entschieden. Die Abiturientinnen stehen kurz vor der landwirtschaftlichen Abschlussprüfung ihrer Ausbildung. Das Abitur haben beide bereits hinter sich. „Im Prinzip machen wir erst mal ganz normal das Abitur mit unseren Mitschülern“, erklärt Alexa Gebbeken. Danach geht es dann in die 15-monatige Praxisphase auf dem landwirtschaftlichen Ausbildungsbetrieb. Doch das ist nicht alles, ergänzt sie: „Während der drei Jahre Schulzeit müssen wir insgesamt zehn Wochen überfachliche Lehrgänge und Praktika in den Ferien machen. Lehrgänge finden zum Beispiel an der Deula zum Thema Landtechnik statt. Die Praktika hat Theresa Dühnen auf unterschiedlichen Betrieben gemacht, um den Umgang und die Haltung verschiedener Nutztierarten zu lernen.

Hohe Motivation

Ob mit oder ohne Doppelqualifikation, der Unterricht in Lingen macht den Schülern Spaß. Die Klassengemeinschaft ist etwas Besonderes, berichtet Theresa: „Wir haben alle einen ähnlichen Hintergrund. Die Lehrer sind ziemlich locker und persönlich“, findet sie. „Dafür erwarten sie aber, das wir selbstständig mitarbeiten“, schränkt ihre Mitschülerin Alexa ein.

Der praktische Bezug in einigen Fächern fördert das Interesse der Schüler. Vielen fällt der Unterricht so leichter. So auch Marten Hüsing: „Ich lerne etwas für unseren eigenen Betrieb“, sagt der 16-Jährige und betrachtet die Grassilage in seiner Hand. „Die habe ich von zu Hause mitgebracht.“

Den Beitrag lesen Sie im Wochenblatt, Folge 39/2018 ab Seite 94.