Rentiere, Huskys, Lagerfeuer und ein Übernachtungszelt inmitten der Tiere – nein, wir sind nicht in Skandinavien oder Alaska, sondern in Silberborn im südniedersächsischen Landkreis Holzminden. Dort bietet der ausgebildete Trekkingguide sowie Wildnis-, Erlebnis- und Umweltpädagoge Axel Winter seit drei Jahren professionell begleitete Auszeiten inmitten der Natur an.
Auf dem alten Sportplatzgelände zwischen Jugendherberge und Hochseilgarten hat der hauptberufliche Jugend- und Familienhelfer sich einen Traum erfüllt und seine Wildnisfarm namens „Wildguide“ aufgebaut. Derzeit gibt es dort sieben Rentiere, 16 Schlittenhunde sowie zwei Wüstenbussarde, denn Winter ist auch Jäger und Falkner.
Die Weite der Natur
„Die Weite und Schönheit der Natur hat mich schon immer fasziniert“, erklärt der 40-jährige Einbecker: Vor allem Landschaft, Tiere und Klima des Nordens haben es ihm angetan. So reiste Axel Winter nach seiner Schulzeit mehrfach nach Skandinavien, um die dortige Flora und Fauna zu beobachten. Später ging er sogar für neun Monate nach Alaska, um zu Fuß und mit dem Kanu das Land zu erkunden. Den Winter verbrachte der ehemalige Zeitsoldat der Bundeswehr dort im Denali-Nationalpark auf einer Huskyfarm mit 54 Hunden. Dort konnte er sich ein kleines Blockhaus bauen und man erlaubte ihm, die jungen Hunde zu trainieren, die noch nicht mit auf den Schlittenfahrten unterwegs waren.
„Dieses Schlüsselerlebnis hat mich nachhaltig beeindruckt und verändert“, blickt der Natur- und Outdoorliebhaber begeistert auf die Zeit zurück. Damals reifte in ihm der Gedanke, das Gefühl von Weite und Freiheit sowie den Umgang mit den Tieren, auch für andere Menschen erlebbar zu machen: „Das kann gerade in unserer schnelllebigen, hektischen Welt für viele Mitbürger ein wichtiger Ausgleich sein“, ist er überzeugt.
Erst Huskys, dann Rentiere
Nun ist Südniedersachsen weder Nordamerika, noch Skandinavien. Aber für kleinere Auszeiten ohne großen Reiseaufwand eignen sich die heimischen Wiesen und Wälder im Hochsolling allemal.
Axel Winter hatte jedenfalls seit Alaska einen Plan: Er erwarb nach und nach seine ersten Huskys. Auch eine eigene Rentierzucht stand auf dem „Wunschzettel“. Das war aber gar nicht so einfach, denn in ganz Deutschland gibt es nur etwa 150 Tiere der nordischen Hirschart und eine Handvoll Züchter. Rentiere sind hierzulande selten, da sie nicht einfach zu halten sind und spezielle Bedürfnisse haben. Die eigene Rentierzucht blieb also zunächst ein Traum.
Rentiere: Bitte nicht füttern!
Auf seiner Wildguide-Farm im Solling hält Axel Winter zurzeit sieben Rentiere. Ein weiterer Hirschbulle ist an den Osnabrücker Zoo ausgeliehen. Zielgröße für die Herde sind etwa zwölf Tiere. Die Zucht bzw. Vermehrung der etwa 1,30 m großen Polarhirsche ist aber nicht einfach, die Kälbersterblichkeit ist hoch und liegt in der Natur im ersten Jahr bei 90 %.
Zudem haben Rentiere einen empfindlichen Pansen und brauchen vielfältige, nicht zu graslastige Nahrung. Die Selektiv-Äser fressen am liebsten Kräuter, Blätter, Moose und Flechten. In Silberborn erhalten sie daher neben Weidegras und zugekauftem Heu spezielle Pellets und getrocknete Flechten. Diese lässt Winter extra aus Schweden kommen, um seine Rentiere artgerecht zu ernähren.
In diesem Sommer hat der Rentierhalter zwei Tiere verloren – vermutlich durch Stoffwechselkollaps bzw. Verdauungsprobleme. Auch wenn das wahrscheinlich gut gemeint ist, dürfen die Hirsche nämlich keinesfalls ohne Aufsicht von Fremden gefüttert werden: Ins Gehege geworfene Äpfel, Salate, Butterbrote oder auch Kastanien sind für die Tiere lebensgefährlich, warnt Axel Winter. Auch sonst ist die Rentierhaltung etwas für Fachleute. Es hat daher länger gedauert, bis Winter einen Tierarzt gefunden hat, der die Exoten betreuen wollte. Die Hirsche werden zweimal jährlich gegen Clostridien geimpft und nach Bedarf entwurmt. Sie sind sehr anfällig gegenüber Parasiten, Zecken und Mücken und somit für Krankheiten wie Anaplasmose. Erschwerend kommt hinzu, dass die üblichen Parasitenmittel nicht eingesetzt werden können: Eine Pour-on-Applikation beispielsweise, bei der das Mittel auf den Rücken dosiert wird, funktioniert nicht.
Auch was das Geweih angeht, sind Rentiere etwas Besonderes: Im Gegensatz zu anderen Hirscharten tragen bei ihnen beide Geschlechter einen jährlich neu heranwachsenden „Kopfschmuck“. Axel Winter hat beobachtet, dass die Bullen diesen zumeist bis Weihnachten verlieren, während die Geweihstangen bei den Weibchen bis zum Frühjahr fest bleiben. Damit haben sie in der Endträchtigkeit bis zur Geburt des Hirschkalbes einen Wettbewerbsvorteil bei der Futtersuche: Die Natur hat viele Sachen eben pfiffig geregelt.
Rentiere aus Brandenburg
Im Sommer 2017 ging es dann plötzlich ganz schnell: Ein Züchter aus Brandenburg wollte die Rentierhaltung aufgeben und bot Axel Winter seine komplette, aus 14 Tieren bestehende Herde an. Doch wohin jetzt mit den Hirschen? „Zum Glück konnte ich die Tiere spontan im Wisentgehege Springe bei Hannover unterbringen“, erklärt der Erlebnispädagoge. Dort lebten die Rentiere dann etwa zwei Jahre lang in Nachbarschaft mit Wildrindern, Wölfen, Bären, Schwarzwild und anderen Wildpark-Tieren.
In Kooperation mit dem Wisentgehege organisierte der Pädagoge später auch die ersten Mensch-Wildtier-Begegnungen. Diese Erlebnisangebote wie Rentier-Wandern oder -Campen im Sami-Zeltlager wurden gut angenommen und entwickelten sich zu einer regelmäßigen Nebentätigkeit für den Niedersachsen.
Um öfter bei den Tieren zu sein und das Angebot an Naturerlebnissen ausweiten zu können, suchte Axel Winter jedoch einen Standort in der Nähe seines Wohnortes.
Umzug nach Silberborn
Deshalb freute er sich sehr, als ihm 2019 das ehemalige Sportplatzgelände in Silberborn zur Nutzung angeboten wurde. Inklusive einer angrenzenden Naturschutzfläche stehen den Tieren dort seit dem Umzug im Winter 2020/21 etwa 2,4 ha Weide zur Verfügung. Und mit der Kombination aus Wiesen und Sträuchern bzw. Bäumen ist das ein Paradies für die Rentiere, aber auch für die Schlittenhunde, die seit 2019 ebenfalls in Winters Wildguide-Camp leben.
Aus der Sportplatzzeit gibt es dort noch eine Remise aus Holz, in welcher Futter und Gerätschaften lagern und die als Büro dient. Etwas entfernt davon sind die Hunde in großzügigen Zwingern untergebracht und im südlichen Bereich der Wildnisfarm hat Winter ein Glampingzelt aufgestellt. Dort können Besucher inmitten der Tiere und Natur in einem möblierten Zelt komfortabel übernachten – mit Rentierkontakt und Lagerfeuer. „Das kommt bei den Gästen sehr gut an“, erklärt Axel Winter: „Sie machen gewissermaßen Outdoor-Urlaub in Skandinavien, ohne dafür tausende Kilometer verreisen zu müssen.“
Was noch geplant ist
Um das Angebot im Wildguide-Camp auf Dauer weiter ausbauen zu können, hat Axel Winter bereits einige Pläne. Er möchte weitere Gebäude und Anlagen auf dem Gelände errichten. Dazu gehört beispielsweise ein Blockhaus als zentrale Anlaufstelle, ein Offenstall für die Rentiere und eine Futterküche für die Hunde. Aber auch ein neuer Sanitärtrakt wäre schön und eventuell eine Fass-Sauna für die Gäste.
„Das Wildguide-Angebot wird jedenfalls gut nachgefragt“, berichtet Axel Winter: „Die Erwachsenen können Stress und Alltagsdruck hinter sich lassen. Die Kinder erfreuen sich an den Tieren.“ Der Erlebnispädagoge kann sich deshalb gut vorstellen, die Husky- und Rentiererlebnisse in einigen Jahren hauptberuflich anzubieten. Genug Arbeit dafür wäre jedenfalls im Wildguide Silberborn vorhanden.
Trekking, Schlittenfahrten, Outdoorkurse
Die Wildlife-Angebote bei Axel Winter sind vielfältig und richten sich an eine breite Zielgruppe. Es gibt unter anderem geführte Erlebnistouren mit den Huskys und Rentieren zu Fuß, auf Rädern oder Kufen, aber auch Kindergeburtstage mit Rentierfütterung und Lagerfeuer plus Stockbrot. Wer möchte, kann Survival-Kurse verschiedener Schwierigkeitsgrade buchen oder einfach eine Auszeit im Glampingzelt genießen.
Das Angebot ist ein Stück weit von der Jahreszeit abhängig: Für Schlittenfahrten benötigt man natürlich Schnee. Mit dem von ein bis zwei Hunden gezogenen Dogscooter – einem Tretroller auf Mountainbikebasis – lässt sich der Naturpark Solling/Vogler dagegen auch im Herbst gut erkunden. Zu warm darf es für die Fahrten jedoch nicht sein, denn die Huskys haben oberhalb von 15 °C bei anstrengender Arbeit Mühe, ihre Stoffwechselwärme loszuwerden. Ihr Fell ist eben für nordische Verhältnisse gemacht. Im Sommer sind daher eher Trekkingtouren mit den Tieren eine gefragte Alternative.
www.wildguide.de
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