Brigitte Laarmann: Bäcker kommen kaum zum Backen. Krankenschwestern füllen Listen aus statt Spritzen auf. Windenergie-Planer brauchen zehn Jahre bis zur Baugenehmigung. Da läuft was schief. Ich sympathisiere mit dem Zentralverband des Handwerks. Er lud Politiker zu einem Krisengipfel ein und konfrontierte sie mit dem Vorwurf: „Der betriebliche Burnout – Wenn Gesetze zum Stillstand führen“. Das trifft die Erfahrung vieler Menschen – Bürokratie bremst aus und blockiert Unternehmer.
Verkompliziert Bürokratie unser Leben?
Katrin Quinckhardt: Dabei war Bürokratie ursprünglich ja als etwas Gutes gedacht: Sie sollte verlässliche Regeln für alle schaffen. Obwohl das Kunstwort „Bürokratie“ sinngemäß übersetzt „Herrschaft der Verwaltung“ bedeutet, ist sie doch viel mehr. Gerade im Hinblick auf die öffentlich-staatlichen Leistungen in Deutschland. Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser oder auch die Polizei sind ein Teil der Bürokratie und Verwaltung. Sie gehören zur demokratischen Infrastruktur und halten unsere Gesellschaft zusammen. Und dennoch empfinden wir es nicht selten so, als verselbstständige sich die Administration und verkompliziere unser Leben.
Laarmann: Beispiele dafür gibt es ja auch zu Genüge. Andererseits finde ich es gut, dass es für viele Lebensbereiche klare Regeln gibt: Die Nachbarn können nicht ungebremst an der Grenze zu meinem Grundstück bauen. Lebensmittel durchlaufen zig Qualitätskontrollen, ehe ich sie im Supermarkt kaufen kann. Selbst den Bänkern wird inzwischen genau auf die Finger geschaut, damit sie Kleinanlegerinnen wie mich nicht übervorteilen. Bei allem, was mich schützt und absichert, will ich strikte Regeln und Kontrollen. Das ist die gute Seite der Bürokratie. Sie legt über viele Vorgänge ein standardisiertes Prüfraster.
Quinckhardt: Und doch kommt manchmal das Gefühl auf, die Macher von Gesetzen und Verordnungen schössen über das Ziel hinaus. Bürokratie wird immer komplexer. Von außen betrachtet wirken die Vorgänge meist unstrukturiert und zeitintensiv. 2015 beschloss die Bundesregierung die Entlastung mittelständischer Betriebe von der Bürokratie. Seitdem gilt die Regel „One in one out“. „Eine rein, eine raus“ meint, dass für jede neue Belastung auch eine andere abgebaut werden muss. Das Ganze wird sogar berechnet. Dazu wurde der Bürokratiekostenindex entwickelt, den das Statistische Bundesamt monatlich veröffentlicht. Demnach ist der Aufwand für den klassischen Papierkram, wie Anträge, Meldungen oder Statistiken, von 99,46 % (2015) auf 99,26 % (2019) gesunken. Mit ihm sanken die Betriebskosten für Meldungen zu den verschiedenen Statistiken sanken von rund 359 Mio. € auf etwa 343 Mio. €. Also 4 % in vier Jahren.
Laarmann: Du weißt ja: Traue keiner Statistik … Aber was wäre eine einfachere Lösung? Das Gegenteil von Bürokratie ist Selbstregulierung. Umgesetzt wird sie durch verbindliche Regeln, die sich eine Branche oder ein Kreis von Akteuren selbst auferlegt. Das klappt aber oft nicht, sagen Verwaltungswissenschaftler. Wir erleben das regelmäßig. Drei Beispiele: Verpackungsmüll sparen, neue Mobilitätskonzepte entwickeln, den Zuckergehalt in Lebensmitteln senken – da passiert freiwillig in der Wirtschaft zu wenig. So weisen Verbraucherschützer regelmäßig darauf hin, dass bei brancheninternen Absprachen über Produktionsstandards die Interessen Schwächerer zu wenig gewahrt werden. Das gilt sehr stark für den Umwelt- und Gesundheitsschutz. Vergessen wird auch, dass viele Vorschriften helfen, den internationalen Warenverkehr zu regeln. Diese Vorteile nehmen Unternehmer als selbstverständlich hin. Dahinter steht aber ein komplexes Regelwerk.
Zukünftig noch mehr Bürokratie?
Quinckhardt: Die Bürokratie hat demnach auch ihre „gute“ Seite. Dennoch bleibt die Frage: Wird es trotz aller Bemühungen doch noch mehr Bürokratie geben?
Laarmann: Es scheint so, weil so viele Interessen abzuwägen sind, wenn es um unser Wirtschaften und Zusammenleben geht. Wo Bürokratie absurd oder schädlich wirkt, regt sich Widerstand der Betroffenen. Im besten Fall wird irgendwann nachgebessert. Ich hoffe weiterhin, dass unsere politischen Vertreter genügend Mumm haben, nötige Regeln einzuhalten und Ballast, den sie oft selbst verursacht haben, auszumisten.
Quinckhardt: Das wäre schön. Sonst bewahrheitet sich eines Tages doch noch die Meldung, die die Satire-Zeitung „Der Postillion“ einst brachte. Sie kündigten einen neuen James-Bond-Film an. Der Streifen sollte dem Alltag eines echten Geheimagenten möglichst nahekommen. Das hieß für Bond, dass er 90 % des Filmes am Schreibtisch verbringt, wo er sich um „Papierkram“ kümmert. Weite Teile des zweistündigen Films verbringt er damit, seine Lizenz zum Töten zu verlängern – leider vergeblich. Denn das Unterfangen ist bereits deswegen zum Scheitern verurteilt, weil der Super-Bösewicht des Films, der Nerd Greg aus der Buchhaltung, alles unternimmt, um Bond das Leben schwer zu machen. Ob James Bond es schaffen würde, die „Ketten der Bürokratie“ zu zerschneiden? Vielleicht bräuchte er dafür auch erst noch eine Genehmigung. Welch Glück, dass es sich bei der Filmidee nur um Fiktion handelt.
Lesen Sie mehr: