Cannabis in der Schmerzbehandlung

Cannabis kann Schmerzen lindern

Unter bestimmten Bedingungen können Menschen mit ­schwerwiegenden ­Erkrankungen medizinisches Cannabis erhalten. Einige von ihnen profitieren davon, so wie der Schmerzpatient in unserem Beispiel.

Rainer Hansen-Jähn hat starke Schmerzen und das schon seit vielen Jahren. Die Liste seiner Erkrankungen und Beschwerden ist lang – ebenso wie die der Therapien. Bandscheibenvorfälle und eine Spinalkanal­stenose in den Wirbeln stehen als Ursache im Vordergrund für seine chronischen Rückenschmerzen. Sie rauben dem 58-Jährigen aus Wesel den Schlaf, lassen ihn am normalen Leben nicht mehr teilhaben.

Bisherige konservative Behandlungsmethoden und Operationen kommen aufgrund weiterer Erkrankungen nicht infrage, wie er berichtet. Opioide vertrage er nicht. „Davon wird mir übel und ich reagiere völlig verzögert. Ich bin dann benommen und völlig strubbelig im Kopf“, sagt der gelernte Friseur. Weitere ambulante Maßnahmen wie Physiotherapie lindern seine Schmerzen nur unzureichend.Nach einem Reha-Aufenthalt heißt es: „Wir können nichts mehr für sie tun.“

2019 sucht der 58-Jährige die Schmerzambulanz in der Klinik Blankenstein in Hattingen auf. Die Klinik hat sich auf die ganzheitliche Behandlung von Rückenschmerzen, Bandscheibenvorfällen und anhaltenden Schmerzen nach einer Operation am Rücken spezialisiert. Hier wird ihm ge­holfen, unter anderem mithilfe von Wirkstoffen aus der Cannabispflanze.

Seitdem Ärzte Cannabisblüten oder Cannabisextrakte verordnen dürfen, ist die Behandlung mit medizi­nischem Cannabis eine Therapieoption für Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen, die auf eine herkömmliche Therapie nicht ansprechen. „Hinweise für positive Wirkungen von Cannabis gibt es zum Beispiel bei chronischen Schmerzerkrankungen, Spastiken bei Multipler Sklerose, Chemotherapie-induzierter Übelkeit und Erbrechen sowie krankheitsbedingter Appetitlosigkeit“, informiert Dr. Dirk Neveling, Leiter der Schmerzambulanz in der Klinik Blankenstein.

Cannabis ergänzt die Schmerztherapie

Für Patienten mit chronischen Rücken­schmerzen bietet die Klinik im Ennepe-Ruhr-Kreis auch ein stationäres Schmerztherapiekonzept an. „Basierend auf dem Schmerzprofil des Patienten stellen ein Team aus Fachärzten, Physio- und Psychotherapeuten sowie einem schmerztherapeutischen Pflegeteam einen Behandlungsplan zusammen“, erläutert Dr. Dirk Neveling, Anästhesist mit Zusatzqualifikation Spezielle Schmerztherapie, Naturheilverfahren und Akupunktur. Behandelt wird nicht nur mit Medikamenten.

Zum Konzept der multimodalen Schmerztherapie gehören beispielsweise verschiedene Entspannungsverfahren, Akupunktur, Ernährungsberatung, Elektro- und physikalische Therapien, Schmerzbehandlung mit Ultraschall, Hyperthermie oder die Stoßwellentherapie. Verhelfen herkömmliche Therapieformen nicht zum gewünschten Erfolg, kann unter bestimmten Voraus­setzungen auch medizinisches Cannabis ergänzend zur Basis­therapie oder als Therapie­option verordnet werden.

Cannabis ist kein Wundermittel

„Cannabis bereichert das therapeutische Spektrum“, sagt Schmerzspezialist Neveling. Ein Wundermittel sei Cannabis aber nicht. Bislang fehlen Studien, die den eindeutigen Nachweis des medizinischen Nutzens von Cannabis belegen. Und die Therapie ist teuer. Auch aus diesem Grund schauen Krankenkassen genau hin, wenn sie die Kosten für eine Therapie mit medizinischem Cannabis übernehmen sollen.

Eine Kostenübernahme muss vor Beginn der Therapie beantragt werden. Um abzuschätzen, ob bei der vorliegenden Erkrankung eine Behandlung mit Cannabis sinnvoll ist, bietet Dr. Dirk Neveling auch eine Cannabis-Sprechstunde an.

Für einen besseren Schlaf und ein schmerzfreieres Leben musste Rainer Hansen-Jähn über viele Monate tief in die Tasche greifen. Die Krankenkasse übernahm die Therapiekosten erst nach einem Widerspruchsverfahren. Rund 230 € monatlich kostete ihn die Therapie mit Dronabinol.

Besser bekannt ist der Wirkstoff aus der Cannabispflanze als THC – Tetrahydrocannabiol. „THC kann schmerzlindernd, muskelentspannend, appetitanregend wirken und Spastiken verringern“, erklärt Dr. Anke ­Farber, Oberärztin der Schmerzambulanz in der Klinik Blankenstein. Die Substanz sei aber auch für die suchterzeugende, psychoaktive Wirkung verantwortlich.

Therapie mit Cannabis eignet sich nicht für jeden

Nicht jeder Patient kann mit Cannabinoiden behandelt werden. „Beispielsweise sollten Suchtkranke, Menschen mit Allergien gegen Hanfinhaltstoffe, mit schweren Herzerkrankungen, mit psy­chiatrischen Erkrankungen sowie Schwangere keine Cannabinoide erhalten“, sagt Anästhesistin Anke Faber. Außerdem seien Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten wie speziellen Antibiotika, Antipilzmittel oder Johanniskraut zu beachten.

Unter Umständen kommt es bei der Therapie mit Cannabinoiden zu Nebenwirkungen. Möglich sind unter anderem Übelkeit, Müdigkeit und Mundtrockenheit sowie Herz­rasen, Blutdruckveränderungen und Schwindel.

Auch können die Wahrnehmung und das Denkvermögen so beeinträchtigt sein, dass die Fahrtauglichkeit eingeschränkt ist. „Nebenwirkungen wie diese sind jedoch meist zu vernachlässigen. Viele bestehen nur während der Aufdosierung und gehen bei regelmäßiger Einnahme wieder zurück“, sagt Dr. Dirk Neveling. Bei medizinischer Verordnung und optimaler Dosierung könne auch davon ausgegangen werden, dass die Therapie mit Cannabinoiden nicht abhängig mache. „Wir starten immer mit niedrigen Dosen und steigern diese, bis die Symptome ausreichend gelindert werden“, erklärt Dr. Dirk Neveling.

Cannabis-Extrakte wirken unterschiedlich

Rainer Hansen-Jähn nimmt Dronabinol als ölige Tropfen morgens und abends zu sich. Damit kommt er eine Zeit lang gut zurecht. „Ich kam endlich wieder von der Couch hoch und konnte am Leben teilnehmen“, sagt er. Am Rollator habe er wieder längere Strecken laufen und mit seinem dreirädrigen Liegerad sogar viele Kilometer fahren können.

Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) sind die Hauptwirkstoffe des Cannabis. Sie werden inhaliert oder als Tropfen, Sprays bzw. Kapseln verabreicht. (Bildquelle: Elroi/stock.adobe.com)

Doch dann schwellen plötzlich seine Finger- und Handgelenke entzündlich an und schmerzen. Auch der Rücken macht wieder verstärkt Probleme. Rainer Hansen-Jähn sucht erneut die Schmerzklink auf. Hier wird er unter anderem auf ein Vollspektrumextrakt aus Cannabisblüten eingestellt. „Der Vorteil ist, dass dieses nicht nur schmerzlinderndes THC enthält, sondern auch Cannabidiol (CBD)“, erklärt Dr. Anke Faber.

CBD wirke nicht nur entzündungshemmend, sondern mindere auch die psychoaktive Wirkungen des THC. Rainer Hansen-Jähn ist nun guter Hoffnung, dass die Wirkung der multimodalen Therapie und die Umstellung auf ein anderes Cannabinoid lange anhalten.

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