Im Sommer 1914 putzte Minden sich heraus. Die preußische Garnisons- und Verwaltungsstadt wollte sich als eine moderne Industriestadt präsentieren. Was passte da besser als eine Gewerbeschau.
Doch ein Programmpunkt verstört aus heutiger Sicht: eine „Völkerschau“. In einem Bereich der Expo wurde ein sogenanntes Somali-Dorf errichtet, in dem Darsteller aus Nordafrika lebten und sich betrachten lassen mussten wie im Zoo.
Mehr dazu erfahren Gäste im Preußenmuseum in Minden. Die Ausstellung „Schwarz weiß. Preußen und Kolonialismus“ lädt noch bis zum 4. Juni 2023 zum Besuch ein. Dazu haben 20 Studierende des historischen Seminars der Uni Bielefeld Material rund um die preußische Kolonialgeschichte recherchiert.
Groß Friedrichsburg
Das Deutsche Kaiserreich verfügte um 1900 unter anderem über Gebiete im heutigen Kamerun, Togo und Namibia, aber auch in der Südsee zum Beispiel im heutigen Papua-Neuguinea.
Preußen, der einflussreichste Teilstaat des Kaiserreichs, hatte aber auch schon vor der Reichseinigung im Jahr 1871, seine Fühler nach Afrika ausgestreckt. Den Anfang machte eine Festung im heutigen Ghana: Von 1683 bis 1717 existierte der brandenburgische Stützpunkt Groß Friedrichsburg, von dem Händler Sklaven verschifften.
Im 19. Jahrhundert wurde das Fort als erste deutsche Kolonie glorifiziert. Dieser Mythos sollte für das Deutsche Kaiserreich eine lange Kolonialgeschichte konstruieren. Die Verhältnisse vor Ort waren aber durch eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen den wenigen Preußen und der einheimischen Bevölkerung geprägt – daher ist es fraglich, ob es sich schon um eine Kolonie mit dem typisch einseitigen Machtverhältnis handelte.
Für den Besuch
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 10 bis 18 Uhr
Eintrittspreise: Erwachsene 6 €, ermäßigt 3 €
Adresse: Simeonsplatz 12, 32427 Minden
Telefon: (05 71) 83 72 83-0
www.lwl-preussenmuseum.de
Während in der Zeit vor allem die Königreiche Frankreich und Großbritannien zu Kolonialmächten aufstiegen, beteiligten sich preußische Kaufleute am Überseehandel mit Waren und Menschen. Im 19. Jahrhundert schloss auch das Königreich Preußen sowohl mit europäischen Kolonialmächten als auch mit außereuropäischen Staaten Handelsverträge.
Mit dem Beginn des Deutschen Kaiserreichs drängten vor allem Handelsfamilien aus Hamburg und anderen Hafenstädten auf den Erwerb von Kolonien. Es gründeten sich Vereine und Gesellschaften, die Propaganda für eine aktivere Kolonialpolitik machten. Sie argumentierten mit möglichen Absatzmärkten ihrer Waren und Siedlungsraum für Deutsche.
Das Jahr 1884 markiert den eigentlichen Eintritt des Deutschen Kaiserreiches ins koloniale Rennen. Flächenmäßig wurde nach dem britischen und französischen das drittgrößte Kolonialreich geschaffen. Bismarck, der dem Kolonialismus aus außenpolitischer Sicht eher skeptisch gegenüberstand, knickte ein und stellte mehrere Besitzungen deutscher Kaufleute unter den Schutz des Deutschen Reichs.
Massaker an Einheimischen
Weitere Landnahmen erreichte das Kaiserreich durch militärische Gewalt. Das deutsche Kolonialmilitär wurde offiziell als „Schutztruppe“ bezeichnet. Mit Härte versuchten die Soldaten die kolonialen Interessen durchzusetzen und schreckten vor Massakern bis hin zum Völkermord nicht zurück.
1904 begann der Aufstand der Herero und Nama im heutigen Namibia. Gegen sie führten die deutschen Truppen einen Vernichtungskrieg, bei dem von 80 000 Herero nur 10 000 überlebten. Auf deutscher Seite starben 200 Personen. Von späteren Generationen wurde die sogenannte Schutztruppe romantisiert, ihre Verbrechen aber verschwiegen.
Afrikaner in Preußen
Die Ausstellung zeigt Biografien junger Afrikaner, die den Weg in die damalige preußische Provinz Westfalen fanden. Die Gäste lernen Paul Mavanzilla kennen. Im Jahr 1873 kam er im Grenzgebiet des heutigen Kongo und Angola zur Welt. 1881 wurde er an den Afrikareisenden Major von Mechow übergeben.
Über Umwege gelangte der junge Mann nach Gütersloh und besuchte dort das Gymnasium. Später war er Lehrer in einer Missionsstation in einem Stadtteil von Kapstadt. Anhand von Aufzeichnungen werden die Diskriminierungen deutlich, die er im Alltag spüren musste.
Die Ausstellung zieht Parallelen zur Gegenwart und thematisiert den Alltagsrassismus. Jeder Gast soll sich fragen, inwiefern er heute rassistischen Klischees im Alltag begegnet, und kann sie anonym zu Papier bringen. Zudem zeichnet die Ausstellung Spuren der Kolonialgeschichte in der Gegenwart nach und mischte sich so in die aktuelle Debatte um das koloniale Erbe ein.
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