Für die einen ist es eine klimaschonende Energie, die unendlich vorhanden scheint. Für die anderen birgt sie kaum zu kalkulierende Risiken und hat kein Endlager des Abfalls. Die Debatte zur Kernkraft begleitet die Bundesrepublik schon fast seit ihrer Gründung. Eine Wanderausstellung des Landschaftsverbandes Westfalen (LWL) geht der Frage nach, wie das Atomzeitalter Westfalen geprägt hat. Zurzeit ist sie im Bauernhausmuseum in Bielefeld zu sehen.
Kreislauf des Brennstoffs
Die Ausstellung „Das Atomzeitalter in Westfalen. Von der Zukunft zur Geschichte“ möchte sich laut Hauke-Hendrik Kutscher vom LWL nicht auf eine der beiden Seiten stellen. Sie nähert sich dem Thema aus historischer und gesellschaftlicher Sicht. „In Westfalen findet sich der komplette Brennstoffkreislauf. Nur der Abbau von Uran fehlt“, sagt Hauke-Hendrik Kutscher. In Gronau im Kreis Borken steht seit 1985 die einzige Urananreicherungsanlage der Republik. Hier wird Uranerz fürs Kraftwerk aufbereitet.
In Beverungen-Würgassen im Kreis Höxter erzeugte von 1971 bis 1994 ein konventioneller Siedewasserreaktor Strom. Das Kraftwerk gehörte zur ersten Generation der Atomkraftwerke in Deutschland. Aufgrund technischer Probleme konnte der Reaktor mehr als ein Jahrzehnt nur mit 80 % Leistung laufen. Dort entzündet sich früh der erste überregionale Protest. Er stammte nicht nur aus dem linken Lager, wie später in Brokdorf. Neben bürgerlichen und bäuerlichen Gruppen protestierte auch der rechtsextreme „Weltbund zum Schutz des Lebens“. Seine Pamphlete sehen Gäste in der Schau.
In Hamm-Uentrop entstand in den 1980er-Jahren ein Thorium-Hoch-Temperatur-Reaktor-300 oder „der heißeste Reaktor der Welt“, wie die Ausstellung titelt. Das Brennmaterial steckte in kleinen Graphitkugeln. Angeblich sollte das eine mögliche Kernschmelze verhindern. Der Kugelhaufenreaktor wurde 1989 vor allem aus wirtschaftlichen Gründen vom Netz genommen. Außerdem verschärfte sich der Protest nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl im April 1986.
Protestiert wird immer noch am Brennelemente-Zwischenlager in Ahaus. Dort lagern seit Anfang der 1990er-Jahre abgebrannte Brennstäbe.
Zwischen 2066 und 2088 möchte die Bundespolitik ein Endlager einrichten. Die Suche läuft noch. Eine Karte zeigt, dass geologisch auch Gebiete in Westfalen geeignet wären.
Unterhose und Behälter
Zahlreiche, zum Teil private Leihgaben, die im Zusammenhang mit den vier Standorten stehen, lassen sich entdecken. Die Exponate stammen von Initiativen und Personen der Anti-AKW-Bewegung, aus der Nuklearbranche, aber auch aus Politik und Verwaltung. Präsentiert werden die Unterwäsche für den Kontrollbereich, die Atomkraftwerk-Dampfmaschine R200 der Lüdenscheider Firma Wilesco – Loriot lässt grüßen – und ein Bergebehälter für kontaminiertes Material der Feuerwehr Münster. Hinzukommen Fotos des Fotografen Bernard Ludweg. Er hat zahlreiche Stätten der Atomkraft in Deutschland aufgesucht. Wer die Ausstellung betritt, lernt an Hörstationen drei Akteure des Atomzeitalters kennen. Sie berichten über die Arbeit im und den Protesten vor den Kraftwerken.
Wieder aktuell
Klimawandel, verlängerte Laufzeiten und der Angriff auf das ukrainische Kraftwerk Saporischschja – diese aktuellen Debatten stehen am Ende der Ausstellung im Fokus. Welche Auswirkungen haben sie auf die Menschen und ihre Haltung? Dazu können sich die Gäste in der Ausstellung äußern. Außerdem geht es um die Frage, was von der Geschichte der Kernenergie in Deutschland bleibt.
In Westfalen könnte das ein „ewiges Zwischenlager“ am ehemaligen Standort Würgassen sein. Das Bundesumweltministerium möchte dort ein zentrales Bereitstellungslager für schwach- und mittelradioaktiven Müll errichten. Die Entscheidung darüber ist noch nicht gefallen. Die Geschichte der Atomkraft in Westfalen ist also noch nicht zu Ende – und auch noch nicht zu Ende erzählt.
Heute hier, morgen dort
Ort: Bis zum 23. Dezember ist die Ausstellung im Bauernhausmuseum in Bielefeld zu sehen. Dornberger Straße 82, 33619 Bielefeld.
Eintritt: 4 €, ermäßigt 2 €.
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag 10 bis 18 Uhr; Samstag, Sonntag und Feiertag 11 bis 18 Uhr.
Die Schau wandert weiter:
Vom 13. Januar bis 10. März 2024 ist sie im Mindener Museum zu sehen.
Danach vom 17. März bis zum 12. Mai 2024 im Stadtmuseum Lippstadt.
Anschließend vom 19. Mai bis zum 14. Juli 2024 im Stadtmuseum Brakel.
Vom 21. Juli bis zum 15. September 2024 ist sie im Museum Wendener Hütte zu sehen.
Und zu guter Letzt vom 22. September bis 17. November 2024 im Museum Bünde.
Zur Schau gibt es einen etwa 150-seitigen Katalog mit zahlreichen Abbildungen und weiterführenden Textbeiträgen.
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