Eigentlich waren Archäologen 2017 auf der Suche nach einer römischen Siedlung nahe des Tagebaus im rheinischen Revier. Doch sie gruben einen olivgrünen Kasten aus. Er entpuppte sich als sowjetisches Agentenfunkgerät aus dem Jahr 1987 – ein Beweis dafür, dass die russische Spionage im Kalten Krieg deutlich aktiver im Westen der damaligen BRD war, als zunächst vermutet. Ganz in der Nähe war eine Pershing-Raketen-Basis.
Ausgestellt ist das Funkgerät in der Schau „Modern Times. Archäologische Funde der Moderne und ihre Geschichten“ im Westfälischen Landesmuseum in Herne bis zum 18. August 2024.
Woodstock und Weltkriege
Mehr als 100 Funde aus der Zeit zwischen 1800 und 2000 werden der Öffentlichkeit präsentiert. Manche Gegenstände wirken auf der ersten Blick wie Schrott oder Müll. Darunter sind Funde aus der jüngeren Vergangenheit wie aus dem Protestcamp „Republik Freies Wendland“ in Gorleben und vom Gelände des Woodstock-Festivals in den USA.
Auch Waffen, Maschinen und Flugzeugteile aus den beiden Weltkriegen gehören zur Ausstellung. Sie machen deutlich, wie gefährlich die Arbeit der Archäologen sein kann. Denn manche Munition behält ihre tödliche Wirkung auch nach Jahrzehnten.
Erst seit etwa 30 Jahren widmet sich die Archäologie den vergangenen beiden Jahrhunderten. Die Geschichtswissenschaft bietet mit ihren schriftlichen Quellen sowie dem Bild-, Ton- und Videomaterial bereits detailliertes Wissen über die jüngste Epoche.
Oft führen Grabungen aber auch zu dieser Zeit zu Überraschungen. International bekannt geworden sind die Ausgrabungen in der frühen Eisenindustrie-Anlage Steinhauser Hütte in Witten, aber auch die Untersuchungen an Orten des nationalsozialistischen Terrors wie in den Erschießungsplätzen bei Warstein und im ehemaligen Kriegsgefangenenlager Stalag 326, Schloss Holte-Stukenbrock. Sie wären nur aus schriftlichen Quellen so nicht rekonstruierbar gewesen. Dem Thema Erinnerung ist dazu in der Schau ein extra Raum gewidmet.
„Mumifizierte“ Nusstorte
Die archäologischen Objekte sind anhand von sechs Kategorien – Innovation, Gefühl, Zerstörung, Besonderes, Zweck und Erinnerung – ausgestellt. Die Kategorien mäandern in Form von Bändern durch die Ausstellungshalle. Daher braucht der Gast erst mal ein wenig, um sich zurechtzufinden.
Doch immer wieder stößt man auf Exponate, deren Geschichte man wissen möchte: Eine „mumifizierte“ Nusstorte stammt aus einem ausgebombten Haus in Lübeck. Britische Fliegerbomben hatten ihr im Jahr 1942 das Wasser entzogen und sie auf ein Drittel der Normalgröße geschmolzen. Sie wurde im Jahr 2021 ausgegraben. Daneben steht eine volle Champagnerflasche von 1840. Sie entdeckten Taucher auf dem Grund der Ostsee.
Innovation und Zerstörung
Per leihbares Tablet oder kostenfreier App auf dem Smartphone lassen sich die Geschichten zu den Gegenständen erfahren. Auf den Ausdruck und das Anbringen von Schrifttafeln wurde aus ökologischen Gründen verzichtet.
Der zeitliche Rahmen der Sonderausstellung reicht vom Beginn der Industrialisierung um 1800 bis zur Jahrtausendwende. Das wird an den Wänden abgebildet und ermöglicht eine historische Einordnung. Insgesamt sind rund 100 Geschichten rund um archäologische Objekte entstanden. Sie erzählen von der Innovationsbereitschaft der frühen Industriegesellschaft ebenso wie von der zerstörerischen Gewalt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Andere sind Beispiele dafür, dass in der Spätmoderne die Dinge zunehmend das Individuelle betonen.
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