Mit gelber Farbe bemalen neun Kinder vor dem Feuerwehrgerätehaus in Borgentreich-Lütgeneder Flaschen aus Plastik. Sie erinnern an Atemschutzflaschen. „Die tragen Feuerwehrleute im Einsatz“, weiß der neunjährige Benjamin Dierkes. Im Anschluss kommen die bemalten Flaschen auf ein Holzbrett mit Riemen. Fertig ist das kleine Atemschutzgerät.
Denn die Mitglieder der Kinderfeuerwehr Borgentreich haben etwas vor: Sie besuchen bald die Feuer- und Rettungsleitstelle des Kreises Höxter in Brakel. Dort krabbeln sie dann wie die großen Feuerwehrmänner und -frauen durch den verdunkelten Atemschutz-Parcours und schultern ihr Gerät Marke Eigenbau.
Spontane Gründung
Der Besuch in der Leitstelle ist dieses Jahr ein Höhepunkt für die Gruppe. Schon jetzt drehen sich die Gespräche der Kleinen in ihren gelbroten Westen und blauen Kappen um diesen Tag.
Seit etwas mehr als einem Jahr gibt es die Kinderfeuerwehr Borgentreich. Sie bietet Mädchen und Jungen im Alter von sechs bis zehn Jahren einen Einstieg in die Feuerwehr. Motor dahinter ist André Brinkmann aus Körbecke. Der gelernte Landwirt verantwortet den Ackerbau auf dem Biohof Jacobi.
Sein Sohn Hannes erlag schon früh der Faszination Blaulicht, erinnert sich der zweifache Vater. Bücher und Spielzeug reichten irgendwann nicht mehr. Für die Jugendfeuerwehr – Eintrittsalter zehn Jahre – war das Grundschulkind aber noch zu klein. In anderen Gemeinden im Kreis Höxter gab es schon Kinderfeuerwehren. Doch da hätte Hannes höchstens Platz auf einer Warteliste erhalten. Hinzu wäre die Fahrerei gekommen. So suchte sich sein Vater André Gleichgesinnte in Körbecke und im Nachbarort Bühne und gründete die Kinderfeuerwehr Borgentreich. Im Mai 2022 gingen sie mit elf Kindern an den Start. Jetzt haben sie mittlerweile zwei Gruppen mit jeweils zehn Kindern. Sie treffen sich alle zwei Wochen für 90 Minuten.
„Unser Angebot ist eine Alternative für die Kinder. Sonst gibt es hier nur Fußball und Musikvereine“, sagt der Landwirt. Außerdem begeistern und binden er und seine Mitstreiter so schon die Kleinsten für die Freiwillige Feuerwehr. „In Körbecke sind wir zurzeit noch gut aufgestellt. In anderen Dörfern sieht es schwieriger aus“, beschreibt der Unterbrandmeister die Nachwuchssorgen der Rettungskräfte auf dem Land.
Betreuer an Bord
Vor dem Startschuss informierte André Brinkmann sich beim Verband der Feuerwehren in NRW. Seit 2016 gibt es die Möglichkeit, eine extra Kinderfeuerwehr zu gründen. Wichtig ist vor allem, ausreichend Betreuer zu haben. „Das müssen keine freiwilligen Feuerwehrleute sein. Am besten haben die Personen einen pädagogischen Hintergrund“, sagt der 36-Jährige.
Heute besteht das Betreuerteam aus Erzieherinnen, angehenden Kinderkrankenschwestern, Lehrern und Studierenden. Voraussetzung sind ein erweitertes Führungszeugnis und ein Erste-Hilfe-Kurs. Über den Verband können sie auch die Jugendleiter-Card – besser bekannt als Juleica – machen. Genau wie die Kinder treten sie in eine Unterabteilung der örtlichen Feuerwehr ein – allein schon der Versicherung wegen. Pro Gruppe hat die Kinderfeuerwehr Borgentreich nun etwa zehn Betreuer, die sich im Wechsel um die Kinder kümmern.
„Mein Partner ist freiwilliger Feuerwehrmann“, antwortet Betreuerin Melissa Wantula auf die Frage, wie sie dazukam. Sie lernt bei den Übungsnachmittagen selbst auch einiges rund um das Thema Brandschutz. Die Erzieherin aus Lütgeneder spielt mit den Kindern gerade eine Partie Völkerball. Ab und zu müssen die kleinen Feuerwehrleute sich austoben, wenn die Unruhe zu groß wird und der Schweigefuchs nicht mehr hilft. Spaß und Spiel sollen etwa 70 % der Treffen ausmachen. „Das ist Vorgabe vom Verband“, sagt André Brinkmann.
Beim vergangenen Treffen gab es eine kleine Schaumparty. Aus dem Schaumrohr, einem besonderen Strahlrohr, kam kein Löschschaum, sondern Badeschaum. „Spielerisch ließ sich so erklären, wann die Feuerwehr mit Schaum löscht“, erzählt Lars Schürer, Vater, Stellvertreter der Kinderfeuerwehr und freiwilliger Feuerwehrmann in einem. Dabei spielt der Teamgedanke eine große Rolle. „Wir halten in der Feuerwehr zusammen, egal woher wir kommen“, betont Lars Schürer einen Leitsatz der ehrenamtlichen Rettungskräfte.
Außerdem lässt sich ein Schlauch zu zweit viel leichter zusammenkuppeln als alleine. Das verinnerlichen schon die Kleinen. Der achtjährige Rasmus Riepen zählt nun Kinder zu seinen Freunden, die er vorher nicht kannte.
Wie gut die Kinder die Ausstattung eines Feuerwehrautos kennen, zeigen Hannes und Rasmus. Sie wissen die unterschiedlichen Schlauchgrößen und welches Strahlrohr auf welchen Schlauch passt. „Mit diesem Schlüssel öffne ich einen Unterflurhydranten“, sagt Rasmus und erklärt dem Laien fast beiläufig den Unterschied zwischen Unterflur- und Oberflurhydranten. Unter Aufsicht dürfen sie Geräte vom Feuerwehrauto nehmen.
Notruf absetzen
In einer Übungsstunde war auch die Verkehrswacht im Gerätehaus. Mit ihr haben die Kinder nicht nur die Verkehrszeichen gelernt, sondern auch ein Video zur Rettungsgasse geschaut. Im Anschluss stellten sie eine solche Gasse mit Fahrrädern und Trampeltreckern nach.
Im Januar haben Feuerwehrmänner ihnen vorgeführt, wie schnell ein Tannenbaum zu brennen beginnt. „Dabei legen wir Wert darauf, ihnen den nötigen Respekt vor dem Feuer zu vermitteln“, sagt André Brinkmann. Ihm ist bewusst, dass die lodernden Flammen eine eigene Faszination auf Kinder ausüben. Doch seine Schützlinge wissen, wie sie einen Notruf absetzen müssen. Die fünf Ws können sie herunterbeten:
- Wo ist das Ereignis?
- Wer ruft an?
- Was ist geschehen?
- Wie viele Betroffene?
- Warten auf Rückfragen!
„Wir möchten ihnen die Scheu nehmen, im Notfall wirklich die 112 zu rufen“, sagt Lars Schürer. Bald wird der Nachwuchs in der Leitstelle in Brakel sehen, wo die Anrufe eingehen. Bis dahin wächst weiter die Vorfreude.
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