Familienerbstücke sind so eine Sache. Wenn Möbel Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte überdauert haben, sind mit ihnen viele Erinnerungen verknüpft. Doch was tun, wenn die schweren Möbel auf den ersten Blick nicht zu eigenen modernen Stücken passen? „Ein Anstrich ist oft die Lösung“, sagt Anna von Ketteler. Damit meint die Farbdesignerin meistens die Wände, manchmal aber auch die Möbel selbst.
Wie das funktionieren kann, zeigt sie im Haus ihrer Eltern in Holzhausen, einem Ortsteil von Nieheim im Kreis Höxter. Der große Schrank in der Küche ist in verschiedenen Blau- und Grautönen gefasst. Die alten Holzstühle in ihrem Atelier im benachbarten Fachwerkhaus hat sie vor Kurzem in einem Rotton gestrichen. Dazu finden sich Wände in Grau-, Blau- und Grünschattierungen. „Dunkle Möbel vor weißen Wänden, das ist oft ein zu harter Kontrast“, sagt die 38-Jährige. Farben dagegen ließen viele Hölzer wärmer wirken und schafften eine Verbindung.
Inspiration aus England
Die Leidenschaft für Farben, insbesondere für matte Kreidefarben, hat Anna von Ketteler aus England mitgebracht. Nach dem Studienabschluss in Geschichte und Kunstgeschichte besuchte sie dort Designkurse und absolvierte Praktika bei Annie Sloan, die als Erfinderin der Kreidefarben gilt. Wieder zu Hause experimentierte sie weiter, strich Böden und Wände, Möbel und Treppengeländer – und machte sich schließlich selbstständig. Das Unternehmen firmiert bis heute unter ihrem Mädchennamen „Anna von Mangoldt“.
Kreide- und Mineralfarben
Der Begriff „Kreidefarben“ klingt selbsterklärend. Tatsächlich gibt es aber keine feste Definition. Mit dem Etikett schmücken sich verschiedene matte Farben auf Wasserbasis. Für Anna von Ketteler sind Kreidefarben „einfach anzuwendende, fertig angemischte, matte, cremige, nicht stinkende Möbel- und Wandfarben“. Enthalten sind Kreiden, Porzellanerde, Pigmente und Bindemittel, aber keine Lösemittel.
Kreidefarben funktionieren auf verschiedenen Untergründen wie Tapete, Gipsputz oder Holz. Feste Anstriche können überstrichen werden. Trotz des Namens „kreidet“ ein Anstrich aus Kreidefarben nicht ab. Die enthaltenen Bindemittel machen die Verarbeitung leichter, aber auch die Wand dichter. Bei einem diffusionsoffenen Wandaufbau sind sie deshalb nicht zu empfehlen.
Bei einem Untergrund aus Kalk-, Lehm- oder Kalkzementputz eignen sich am besten Mineralfarben. Basis ist oft eine Silikatfarbe, aber es zählen auch Qualitäten wie Lehm- oder Kaseinfarben zu den Mineralfarben. Sie sind schwerer gleichmäßig zu streichen als Kreidefarben, aber hoch diffusionsoffen.
Sieben Mitarbeiterinnen kümmern sich in der Manufaktur in Warburg darum, dass Rohware und eigene Farbpigment-Mischungen zusammenkommen. Auf rund 180 Farbtöne und sechs Farbarten ist die Palette inzwischen gewachsen.
Dunkle Räume aufhellen
Oft haben Kundinnen und Kunden ähnlich gelagerte Fragen. Deshalb hat Anna von Ketteler viele Tipps.
Egal, ob langer Flur oder verschattetes Wohnzimmer: Mehr Licht ist der Wunsch vieler. Anna von Ketteler empfiehlt – neben einer guten Beleuchtung –, in solchen Räumen die Fußböden hell zu halten. Das kann ein heller Holz- oder Natursteinboden sein. Oder ein heller Läufer, der das Licht nicht schluckt, sondern reflektiert. Für die Wände empfiehlt sie helle, pastellige Töne. Wichtig zu wissen: „Farben bekommen in dunkleren Zimmern einen Grauschleier.“ Hartes Weiß kann zu kühl wirken. Einen großen Effekt kann ein neuer Anstrich für Holztüren und Fußleisten bringen. Auch Holzbalken und -decken hat Anna von Ketteler schon weiß gestrichen. „Sie drücken sonst häufig.“
Draußen wirkt alles heller
Genau andersherum sind die Herausforderungen draußen. „Dort wirken alle Töne heller.“ Eine Farbe, die drinnen funktioniert, kann dann schnell grell oder blass wirken. Bevor alle Tore und Türen oder die ganze Fassade einen neuen Anstrich bekommen, sollte man deshalb in einer „Probeecke“ testen.
Kreidefarben eignen sich nicht für draußen. Dort sind aushärtende Lacke oder Wetterschutzfarben angesagt. Letztere bildet eine elastischere Oberfläche. Das ist zum Beispiel wichtig, wenn Holz arbeitet oder starken Temperaturschwankungen ausgesetzt ist.
Tipps und Tricks
Mit Geduld und Zeit: Anna von Ketteler empfiehlt, sich Zeit für die Wahl des richtigen Farbtons zu nehmen. Die Farben mindestens in DIN-A4-Größe auf der Wand testen und die Wirkung zu unterschiedlichen Tageszeiten prüfen.
Dunkle Möbel aufhellen: Wer das Aussehen eines alten Vitrinenschranks oder eines großen Regals nicht komplett verändern möchte, kann ihn von innen in einem helleren oder leuchtenden Ton streichen. Das nimmt die Schwere.
Mut zur Wiederholung: Der Ton der Wände darf sich in Möbeln oder Wohntextilien wiederfinden. Das macht den Gesamteindruck harmonisch.
Brückenschlag ins Grüne: Besonders vielfältig einsetzbar sind Grau-Grün-Töne. Sie harmonieren rund ums Jahr mit dem Grün vor der Haustür und rahmen so gut den Blick in den Garten oder die Landschaft.
Möbel richtig streichen
Holzoberflächen und lackierte oder furnierte Möbel gut anschleifen, mit Spüliwasser Schmutz und Fette entfernen, mit klarem Wasser nachwischen und gut trocknen lassen. Vor allem bei unbehandeltem Holz und einem geplanten hellen Anstrich einen Sperrgrund auftragen, damit Harze, Öle oder Gerbsäuren nicht „durchschlagen“. Anschließend zweimal mit Kreidefarbe streichen, zwischendurch anschleifen. Zum Schutz einen Möbelwachs auftragen.
Als Alternative für Türen und andere strapazierte Möbel – auch im Kinderzimmer – empfiehlt Anna von Ketteler die Versiegelung mit Klarlack oder direkt einen Lack zu wählen. Tipp: Wenn Sie auf großen Flächen, zum Beispiel einem Tisch, eine Pinselstruktur erhalten möchten, die Farbe mit einer Rolle auftragen und anschließend mit einem breiten Pinsel bahnenweise durchziehen.
Wie eine dritte Haut
Für Anna von Ketteler sind Wände wie eine dritte Haut, nach der Kleidung als zweiter Haut. Sie sollten einen Hintergrund für die Möbel bilden und eine Umgebung schaffen, in der sich die Bewohnerinnen und Bewohner wohlfühlen. Dabei rät sie zu mehr Experimentierfreude. „Es ist ein deutsches Phänomen, dass wir immer Zweifel am eigenen Geschmack haben“, findet sie. „Das Schöne an Farbe ist, dass man sie auch wieder überstreichen kann.“ Das sagt sie sich selbst, wenn sie unsicher ist und hat auch eine Empfehlung für ein Experimentierfeld. „Das Gäste-WC darf man ruhig etwas dramatischer gestalten.“
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