Das Haus mitten in Waltringen sticht heraus. Von der Straße fällt der Blick auf eine schwarze Holzfassade. Über zwei Vollgeschosse reckt sie sich 10,50 m in die Höhe. Die Fenster zur Straße sind schmal gehalten. Links schließt sich ein hell verkleideter Anbau an. Dazwischen führt eine Treppe ins Obergeschoss.
„Das wird unsere Höllentreppe“, erklärt Michael Nölle lachend. „Die wollen wir auch noch mit schwarzem Holz verkleiden und links und rechts beleuchten.“ Der 60-Jährige hat das Haus mit all seinen Finessen bei Gestaltung, Technik und Materialwahl erdacht und zieht es jetzt mit einem Freund aus Schultagen hoch.
Zum Studium nach Frankfurt und in die USA
Nölle ist mit vier Geschwistern auf einem Hof im Ort aufgewachsen, den jetzt sein jüngster Bruder führt. Er selbst studierte in Frankfurt und den USA Betriebswirtschaft und war bei Unternehmen in ganz Deutschland im Einsatz. Anfangs in Thüringen, dann in Baden-Württemberg, zuletzt als Geschäftsführer bei einem Autozulieferer im Schwarzwald. Dort lebt er auch mit seiner Familie. Aktuell stürzt er sich ganz auf das Thema Häuser, mit Kopf und Händen.
In wenigen Sätzen erklärt er sein Konzept. Aus dem 635 m2 großen, bisher unbebauten Grundstück wollte er möglichst viel herausholen und das nicht nur bei der vermietbaren Wohnfläche. „Energieautark, ökologisch und wohngesund“ sind die Schlagworte, unter die er das Projekt gestellt hat. Er wollte ein Haus bauen, das nahezu ausschließlich mit natürlichen Baustoffen auskommt. Das hat er Schritt für Schritt umgesetzt.
Fast ohne Beton
„Nahezu alles hier kann recycelt werden“, sagt er. Wo das schwierig ist, hat er sich für sparsamen Materialeinsatz entschieden. Der Bau ruht auf Streifenfundamenten aus Magerbeton. Wände und Boden sind aus 36 cm tiefen Holzrahmen gefertigt, die mit Stroh gefüllt sind.
Rund 850 kleine Bunde waren nötig. Sie kommen direkt von Feldern im Ort, die meisten hat Bruder Antonius selbst gepresst. Mit vereinten Kräften haben sie die Bunde in der Zimmerei „eingebaut“ und verdichtet und auch den ersten groben Lehmputz aufgetragen. So haben Insekten keine Chance.
Die Zwischendecke besteht aus Brettschichtholz. Das Dach ist mit Zellulose gedämmt. Die Wände sind außen zusätzlich mit einer 6 cm dicken Holzweichfaserplatte belegt und dann mit karbonisierten Holzbrettern oder Rhombusleisten aus Lärche verkleidet.
Immer Richtung Süden
Das Haus ist konsequent nach Süden ausgerichtet, um Licht und Wärme der Sonne optimal auszunutzen. Den unverbauten Blick ins Sauerland und das Ruhrtal gibt es gratis dazu. Auf der Südseite sind die beiden jeweils gut 100 m2 großen Wohnungen im dunklen Hauptbau komplett verglast. Auch die knapp 60 m2 große Wohnung im ebenerdigen Anbau öffnet sich in diese Richtung.
Auffällig ist der große, fast 3 m tiefe Dachüberstand. Dadurch ist nicht nur der Balkon überdacht. Michael Nölle hat vor allem an den sommerlichen Wärmeschutz gedacht. „Auch im Hochsommer scheint die Sonne so nicht direkt auf die Scheiben.“ Jalousien gibt es deshalb nicht.
PV-Module statt Dachziegel
Willkommen ist die Kraft der Sonne dagegen auf dem Satteldach, das nahezu komplett mit Photovoltaik-Modulen eingedeckt ist. Das spart Dachziegel und ermöglicht ein hohes Maß an Energieautarkie. 30 kWp schafft die Anlage. Im Technikraum stehen Batteriespeicher für insgesamt 23 kWh bereit. Sie speisen unter anderem die in Wänden und Decken verbauten Infrarotheizungen. Für die Erwärmung von Brauchwasser gibt es zusätzlich eine Luft-Wasser-Wärmepumpe.
Das Haus erfüllt den Energiestandard KfW 40 plus. Dadurch konnten die Bauherren Fördermittel in Anspruch nehmen, 37.500 € für jede Wohneinheit. Heute, nach Änderung der Förderrichtlinien, wäre es deutlich weniger.
„Die Baukosten liegen rund 5 % höher als bei vergleichbaren Gebäuden“, erklärt Michael Nölle. „Dafür ist die Wohnqualität auch höher.“
Prototyp für weitere Häuser
Im Februar 2022 hat der Aufbau des Hauses begonnen, inzwischen sind alle Wohnungen bezogen. „Planung ist das A und O“, sagt Michael Nölle. Vor 25 Jahren hat er erstmals ein Haus saniert, vor fünf Jahren in der Nähe von Freiburg zum ersten Mal mit Stroh und Lehm gebaut. Das neue Haus sieht er als Prototyp für weitere Projekte. „Ich möchte etwas machen, das gesellschaftliche Relevanz hat“, betont er. Nachhaltiges Bauen gehört für ihn dazu.
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