An die Nacht vom 15. auf den 16. Juni 2021 erinnert sich Wolfgang Büscher noch genau. Deutschland hatte bei der Fußball-Europameisterschaft im Gruppenspiel gegen Frankreich verloren. Zu Hause in Gronau, Kreis Borken, schaute der Inhaber einer Recycling- und Betonbaufirma noch mal kurz in sein Mail-Postfach. Ein Absender ließ ihn aufmerken: das Deutsche Institut für Bautechnik. Ein Mitarbeiter teilte mit, dass die aus Recyclingbeton gegossenen Wände der Firma die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung bekommen werden.
Das klingt nüchtern, für Wolfgang und Hans-Jürgen Büscher bedeutete das einen Meilenstein. Denn wer baut, kann den Baustoff jetzt ohne extra Genehmigung einfach einsetzen. „Da bin ich mit einer Flasche Sekt nochmal zu meinem Bruder zurückgefahren und wir haben gefeiert“, erinnert sich der 54-Jährige.
Mehr machen aus Schutt
Gemeinsam mit seinem drei Jahre älteren Bruder führt er ein Unternehmen, das ihr Vater Hans 1961 als Betonwerk gegründet hatte und 1984 um einen Containerdienst erweiterte. Als der alte Sitz in Gronau zu klein wurde, zogen sie ins benachbarte Heek. Heute liefern sie vor allem Betonteile für Industriebauten, Brücken, Trafostationen und andere Infrastrukturprojekte. 40.000 t Bauschutt lagern regelmäßig auf dem Hof der Firma. Baustoffbrecher und Siebanlagen zerkleinern und sortieren die Bestandteile. 70 Mitarbeiter gehören zum festen Stamm. Viele von ihnen waren auch an der Entwicklung der neuen Ideen beteiligt.
An der bissen sich die Büschers vor ungefähr zehn Jahren fest: Aus dem zerkleinerten und zermahlenen Schutt müsste sich doch mehr machen lassen als Unterbau für Autobahnen. Bei ihren „Blocksteinen“ aus Beton, die als Baustellenabgrenzungen dienen, klappt das. Aber bei Wänden für den Hochbau?
Komplett ohne Kies
Die Büschers setzten sich ein ehrgeiziges Ziel. Sie wollten Kies und Sand komplett ersetzen und nicht wie andere nur zum Teil. Normalerweise machen die mittlerweile schwindenden Ressourcen nämlich 80 % des Betons aus. 50 % entfallen auf Kies, 30 % auf Sand. Beton mit rund einem Viertel Recyclinganteil hatte schon die Zulassung geschafft. Aber die Mischung war vielen Herstellern zu kompliziert, deshalb blieb der Durchbruch aus.
„Betontechnologen haben uns gesagt, dass es nicht funktionieren wird“, sagt Wolfgang Büscher. Die Brüder, der eine Maurer- und Betonbaumeister, der andere Groß- und Außenhandelskaufmann, und ihr Team machten trotzdem weiter. Sie experimentierten mit unterschiedlichen Rezepturen und holten Fachleute verschiedener Hochschulen ins Boot. Insgesamt 1,5 Mio. € steckten sie bis Ende vergangenen Jahres in ihr Projekt. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt mit Sitz in Osnabrück förderte die Entwicklung mit 400.000 €.
Kooperation mit Universitäten
Den Durchbruch brachte schließlich die Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Kaiserslautern und der Universität Duisburg- Essen. Im Jahr 2016 stand die Rezeptur. Neben dem gebrochenen und gemahlenen Schutt enthält der Beton 14 % Zement, 5 % Wasser und 1 % weitere Zusätze, vor allem Bauchemie wie Fließmittel. Die Büschers verarbeiten gemischten Bauschutt (für Fachleute: ähnlich Typ 3). Vorsichtig sind sie bei gipshaltigen Abfällen, denn der ist zu weich, um daraus Beton zu machen.
Rund vier Jahre dauerte der Prüfprozess. In Labors testeten Gutachter Festigkeit und Haltbarkeit der Wände, dazu Kriech- und Schwindwerte des Materials und vieles mehr. Immer wieder musste das Unternehmen Musterwände liefern und kleine Änderungen an der Rezeptur vornehmen.
Ein beispielhaftes Haus
Die Büschers trommeln jetzt für ihren neuen Baustoff. Und weil das am besten geht, wenn es auch etwas zu zeigen gibt, bauten sie ein Haus. Das steht mitten in Heek, da wo es in einem älteren Baugebiet einst eine Lücke gab. Alle Innenwände – tragende wie nichttragende – bestehen aus dem frisch zugelassenen Recyclingbeton. Nur Bodenplatte, Decken und Vorsatzschalen der Außenwände sind aus normalem Beton. „Auf Dauer wollen wir die auch aus dem neuen Material herstellen können“, betont Wolfgang Büscher. Beim Pilotprojekt wurden etwa 95 m3 Recyclingbeton eingesetzt. Das Unternehmen hat ausgerechnet, dass so 155 t primäre Rohstoffe, also Sand und Kies, gespart wurden.
Die beiden Wohnungen im Erdgeschoss sind jeweils 88 m2 groß, das Penthouse oben kommt auf 120 m2. Auf dem Dach gibt es einen Photovoltaikanlage und im Technikraum Batteriespeicher. Das Haus erfüllt den Standard KfW 40plus und wird mit einer Luftwärmepumpe beheizt. Am 10. Oktober vergangenen Jahres standen die ersten Wände, Ende Januar sind die ersten Mieter eingezogen.
Seriell bauen
Neben der Schnelligkeit beim Bau sehen die Büschers Vorteile vor allem in der seriellen Fertigung. So ließen sich schnell und mit überschaubarem Personaleinsatz Wohnungen schaffen. „Schließlich haben wir Fachkräftemangel“, sagt Hans-Jürgen Büscher. Und die Nachteile beim CO2-Fußabdruck, die Beton sonst hat, könne der Einsatz von schon einmal verwendeten Materialien reduzieren. Die Kosten für die Wände mit Recyclingbaustoffen liegen nach ihren Angaben deutlich unter denen einer normalen Stahlbetonwand.
Inzwischen haben die Brüder deutsche und europäische Patente auf die „Büscher-Wand“ angemeldet. Und sie forschen weiter. Langfristig streben sie nicht nur die Zulassung für alle Bauteile an, auch beim Zement wollen sie weiter arbeiten. Bisher dürfen sie Portlandzement und Portlandzementkomposite einsetzen. Die haben allerdings von allen Zementarten den größten CO2-Fußabdruck. Hochofenzement soll als nächster Schritt folgen.
Partner gesucht
„Zurück für die Zukunft“, ist heute das Motto der Büscher-Brüder. In ganz Deutschland und darüber hinaus klappern sie für ihre Idee. Das Musterhaus haben sich schon viele angeschaut. Sogar Bundesbauministerin Klara Geywitz kam in Heek vorbei. Aktuell ist das Unternehmen auf der Suche nach Partnern, zum Beispiel Betonwerken und Recyclingunternehmen, die ihre Rezeptur auch einsetzen wollen. Wolfgang Büscher: „Dass wir selbst nach München Fertigteile liefern, wäre CO2-mäßig dumm.“
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