Schon vor der Corona-Pandemie war in Deutschland jedes siebte Kind übergewichtig oder adipös. Das zeigt die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland „Welle 2“ des Robert Koch-Instituts. Seit der Corona-Pandemie hat das Problem noch einmal zugenommen, stellt Dr. Matthias Kaminski fest. Er ist ärztlicher Leiter der Kinderfachklinik Bad Sassendorf, in der auch Kinder und Jugendliche mit Adipositas behandelt werden.
Plötzlich kein Sport mehr
Während des Lockdowns verbrachten die Kinder viel Zeit zu Hause, oft vor dem Bildschirm sitzend. „Wir haben in der Zeit viele Kinder behandelt, die vorher sehr sportlich waren“, schildert der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde. Der Stoffwechsel dieser Kinder habe sich nicht so schnell auf die neuen Gegebenheiten eingestellt, deshalb nahmen sie zu. Da Sport jetzt wieder möglich ist, nimmt dieser Trend langsam ab. Doch nicht alle Kinder haben in den Sport zurückgefunden. Durch die Corona-Pandemie hätten manche ihre Tagesstruktur verloren, sagt Dr. Kaminski.
Beschäftigung lenkt vom Essen ab
Alles auf die Pandemie zu schieben, wäre aber zu einfach. Adipositas bei Minderjährigen hat vielfältige Ursachen. Übergewichtige Kinder gibt es zwar in allen gesellschaftlichen Schichten. „Oft kommen sie jedoch aus sozial schwächeren Familien“, stellt Dr. Matthias Kaminski fest. In puncto Gesundheitswissen stellt er große Defizite fest. Statt Gemüse würden Light-Produkte als besonders gesunde Nahrungsmittel angesehen werden, nennt er ein Beispiel.
Die Ernährung sollte aber nicht zu viel Raum einnehmen. Wichtiger sei eine gute Tagesstruktur und viel Beschäftigung. „Wer beschäftigt ist, denkt nicht ans Essen“, begründet er.
Eltern sind Vorbilder
Und: Eltern haben Vorbildcharakter.“ Sie sollten ihren eigenen Lebensstil hinterfragen und selbst mehr Wert auf Bewegung und ein gesundes Essverhalten legen. Dann haben auch die Kinder gute Chancen auf ein normales Körpergewicht.
Maßnahmen gegen den Trend
Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen zu vermeiden bzw. zu behandeln, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der neben den Eltern die Politik, die Lebensmittelindustrie, die Gesundheitswirtschaft, Krankenkassen, aber auch Kitas und Schulen sowie Sportvereine gefordert sind. Mögliche Maßnahmen sind beispielsweise:
- Ein Verbot für an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Gehalt an Zucker, Fett und Salz. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist ein solches Verbot vorgesehen.
- Eine Zuckersteuer auf zuckerhaltige Getränke. Gute Erfolge wurden damit zum Beispiel in Großbritannien erzielt, wo es seit 2018 eine solche Zuckersteuer gibt.
- Die Produzenten reduzierten daraufhin den Zuckeranteil in den Getränken um 15 % und mehr.
- Die Vermittlung von Ernährungskompetenzen an Kitas und Schulen.
- Sportangebote für Kinder, die bisher wenig Sport getrieben haben. Ohne Leistungsdruck sollte Freude am Sport geweckt werden.
- Ein flächendeckendes Angebot spezieller Sprechstunden für Kinder mit Adipositas sowie ein einfacher Zugang zu einem therapeutischen Schulungsprogramm.
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