Kathrin Vorbrink ist seit 35 Jahren Hebamme. Sieben Jahre davon war sie im St. Franziskushospital in Ahlen fest angestellt. 1997 wechselte sie in die Freiberuflichkeit mit eigener Praxis. Sie gab Kurse zur Geburtsvorbereitung, Rückbildung, Babymassage und war in der Nachsorge der Mütter im Wochenbett im Einsatz. Als Beleghebamme blieb sie der Geburtsabteilung des Krankenhauses im Kreis Warendorf erhalten und begleitete Schwangere bei der stationären Geburt in der Klinik.
{{::tip::standard::Hebammenverbände, Kliniken und Krankenkassen halten Listen mit Kontakten zu Hebammen vor. Allerdings ist oft nicht erkennbar, ob die Hebamme zur gewünschten Zeit verfügbar ist. Auf der bundesweiten Buchungsplattform für Hebammen „Ammely“ dagegen können Schwangere ihren voraussichtlichen Entbindungstermin, ihren Wohnort und die gesuchte Leistung der Hebamme angeben. Anschließend werden diese Daten mit verfügbaren Zeiten von Hebammen abgeglichen und angezeigt. https://www.ammely.de::}}
Etwa 3200 Babys hat sie als Geburtshelferin auf die Welt verholfen. „In Spitzenzeiten habe ich 120 Geburten im Jahr begleitet, da hatte ich fast jeden dritten Tag eine Geburt und war ständig in Abrufbereitschaft“, berichtet Kathrin Vorbrink. Mit dieser hohen Schlagzahl an Geburten ist jetzt Schluss. Sukzessive hat die 55-Jährige ihr Arbeitspensum und ihr Angebot für Schwangere und junge Mütter zurückgeschraubt und dafür gibt es viele Gründe.
Als Hebamme muss sie stets abrufbereit sein
Kinder halten sich weder an errechnete Geburtstermine noch an Wochenenden oder Urlaubszeiten. „Als freiberufliche Hebamme mit eigener Praxis ist man immer auf Stand-by und muss abrufbereit sein“, sagt sie. Oft gehe das auf Kosten des eigenen Familienlebens. Lange Jahre sei das für sie, ihren Mann und die beiden mittlerweile erwachsenen Kinder akzeptabel gewesen.
Doch Arbeitsbedingungen sowie Lebensumstände und -bedürfnisse änderten sich. „Mir wurde das alles zu viel. Ich möchte wieder mehr Zeit für mich und meine Familie haben“, sagt die Geburtshelferin.
Freiberufliche Hebamme zahlt viel für Haftpflicht
Neben schlechten Arbeitszeiten spiele auch der finanzielle Aspekt eine Rolle. Wie alle rund 15 000 freiberuflichen Hebammen in Deutschland muss sich Kathrin Vorbrink über eine Berufshaftpflichtversicherung absichern. Unterläuft bei einer Geburt ein Fehler und das Kind ist schwer geschädigt, leistet dann der Versicherer für den aufkommenden Schaden.
{{::tip::standard::Wer Hebamme werden möchte, muss seit 2020 ein Bachelorstudium absolvieren. Einige Universitäten und Fachhochschulen bieten bereits einen Studiengang an, wie beispielsweise die Hochschule für Gesundheit (HSG) in Bochum. Die Westfälische Wilhelms-Universität (WWU) in Münster will ab dem Wintersemester 2021/22 einen Hebammenkunde-Studiengang anbieten. Die Katholische Hochschule (KatHO) in Köln bietet einen Studiengang für bereits ausgebildete Hebammen an. Unter folgendem Link sind Studiengänge für Hebammenkunde in NRW zu finden: [Link auf https://www.hebammenverband.de/beruf-hebamme/studium/studienorte/nordrhein-westfalen/]::}}
In den vergangenen Jahren sind die Beiträge dafür stetig gestiegen. Der Deutsche Hebammenverband (DHV) hat seinen Mitgliedern zwar einen Versicherungsschutz für derzeit rund 9000 € im Jahr organisiert. Doch das Geld müssen freiberufliche Geburtshelferinnen erst einmal verdienen.
„Mit meiner eigenen Praxis in Ahlen hatte ich durchschnittlich laufende Kosten von monatlich mehreren Tausend Euro“, erzählt Kathrin Vorbrink. Neben der Miete für die Praxisräume und der Beiträge für die Haftpflichtversicherung muss sie sich selbst kranken- und rentenversichern. Um das alles zu finanzieren, muss sie sehr viel arbeiten. Denn für die einzelnen Leistungen, die sie als Hebamme erbringt, kann sie mit den gesetzlichen Krankenkassen in der Regel nur pauschal und nicht nach tatsächlichem Zeitaufwand abrechnen.
Für eine normale Entbindung als Beleghebamme erhält sie pauschal etwa 196 € brutto. „Das umfasst die Hilfe für die Dauer von bis zu einer Stunde vor der Geburt des Kindes und die Hilfe für die Dauer von bis zu drei Stunden danach einschließlich aller damit verbundenen Leistungen und Dokumentationen“, erklärt Kathrin Vorbrink.
Für einen Besuch am Wochenbett erhalte sie 38,46 € brutto. Dafür müsse sie Nabelheilung, Entwicklung und Gewicht des Säuglings kontrollieren. Und auch die Mutter hat die Hebamme bei den Hausbesuchen im Blick. Sie gibt Tipps zum Stillen, unterstützt bei der Babypflege und kontrolliert die Rückbildung der Gebärmutter.
Die pauschale Vergütung plus Fahrtkosten sei für die veranschlagten 30 Minuten wirtschaftlich okay. Doch die Realität sehe häufig anders aus. „Meist dauern die Besuche viel länger. Vor allem Erstgebärende haben oft viele Fragen“, sagt Kathrin Vorbrink.
Vorgaben für Hebamme oft unrealistisch
Hinzu kommen immer häufiger Probleme mit dem Stillen. Im Jahr 2000 blieb eine Frau laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich 5,5 Tage in der Geburtsklinik. „Wenn dann zwischen dem zweiten und vierten Tag nach der Geburt die Milch einschließt, konnte das in der Klinik noch gut betreut werden“, erklärt Kathrin Vorbrink.
{{::tip::standard::Deutschlandweit klagen immer mehr Geburtsstationen über personelle Engpässe oder sie werden gar ganz geschlossen. Um diese Entwicklung zu stoppen, hat der Deutsche Landfrauenverband die Petition „Geburtshilfe. Im ländlichen Raum. Jetzt!“ ins Leben gerufen. Wer die Forderungen mit seiner Unterschrift unterstützen möchte, hat dazu die Möglichkeit unter www.change.org/Geburtshilfe-im-ländlichen-Raum::}}
Doch heute verbleiben Mutter und Kind nach einer unkomplizierten vaginalen Geburt nur noch zwei Nächte in der Klinik. Mehr sieht der Fallpauschalen-Katalog des Abrechnungssystems stationärer Krankenhausleistungen nicht vor.
Mit Problemen beim Milcheinschuss und Stillen sind die Mütter dann meist allein zu Hause. Hinzu kommen Hormonschwankungen und die neuen Gegebenheiten mit einem Säugling – eine schwierige Situation, in der eine Hebamme oft erste Ansprechpartnerin ist. „In 30 Minuten ist ein Hausbesuch dann nicht zu machen“, kritisiert Kathrin Vorbrink.
Immer mehr Hebammen ziehen Konsequenzen
Die finanziellen und zeitlichen Rahmenbedingungen für Hebammen stimmen schon lange nicht mehr, findet die Geburtshelferin. Kathrin Vorbrink hat für sich die Konsequenzen gezogen. Das Angebot an Kursen, etwa zur Geburtsvorbereitung, hat sie im Jahr 2019 komplett auslaufen lassen. In die Klinik begleitet sie nur noch Schwangere, die schon einmal bei ihr entbunden haben.
Die angemieteten Praxisräume hat sie im vergangenen November aufgegeben und dafür einen Raum in ihrem Haus eingerichtet. Hier bietet sie Schwangeren, die sie betreut, abseits von Geburtsvorbereitungskursen ihre Hilfe bei Beschwerden an. Und nach wie vor betreut sie Mütter im Wochenbett. Damit sei sie ausreichend ausgelastet: „Ich habe lange genug am Limit gearbeitet.“
Zahlen und Fakten zur Situation in der Geburtshilfe
Das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) führt jährlich Repräsentativbefragungen in Krankenhäusern zu gesundheits- und krankenhauspolitischen Themen durch. 2020 wurden deutschlandweit 438 Akutkrankenhäuser unter anderem zur Situation in den Abteilungen der Geburtshilfe befragt. Die Ergebnisse sind im „Krankenhaus Barometer 2020“ veröffentlicht (www.dki.de).
- Fast die Hälfte aller Krankenhäuser (48%) mit einer geburtshilflichen Abteilung hat Probleme, offene Stellen für festangestellte Hebammen zu besetzen. 2014 waren es noch 20 %.
- Die Zahl der Beleghebammen sinkt. In nur noch 38 % der geburtshilflichen Abteilungen sind freiberufliche Hebammen tätig. In großen Einrichtungen ab 600 Betten ist nur noch gut jede vierte Geburtsabteilung mit Beleghebammen besetzt.
- Jede zehnte Einrichtung mit einer geburtshilflichen Abteilung sucht derzeit Beleghebammen.
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