Auf dem Hof liegen Plakate vom Hoffest, das am Wochenende stattgefunden hat. Im Haus stapeln sich Kartons mit Decken aus hofeigener Alpakawolle und ständig klingelt das Telefon. Marianne Albersmeier aus Lippetal-Hüttinghausen hat alle Hände voll zu tun. Sie wirkt müde und abgeschlagen. Das Hoffest hat sie viel Kraft gekostet. Dennoch nimmt sie sich Zeit, um mit uns zu reden. Darüber, wie sie alkoholkrank geworden ist, wie sie etwa 20 Jahre lang als Alkoholikerin gelebt hat und wie sie es geschafft hat, vor fünf Jahren aus dem Sumpf der Sucht herauszukommen. Es ist ihr wichtig, darüber zu sprechen, denn Alkoholsucht ist noch immer ein Tabuthema. Doch der Reihe nach.
Alkohol war im Leben von Marianne Albersmeier immer präsent. Als sie noch ein Kleinkind ist, pachtete ihr Vater eine Kneipe und „stellte meine Mutter hinter die Theke“, wie sie sagt. Sie und ihre Geschwister müssen zurückstecken, die Kneipe geht vor. Heute ist sie davon überzeugt, dass ihr Vater und vermutlich auch ihre Mutter alkoholkrank waren. Sie selbst hat aber erst mit 18 Jahren ihr erstes Bier getrunken.
Irgendwann lernt sie einen Mann kennen, sie wird schwanger, es wird geheiratet. Glücklich ist sie nicht. „Wir haben uns nicht gutgetan“, sagt sie, mehr will sie darüber nicht erzählen.
Alkohol als Retter
In dieser Zeit wird Alkohol zu ihrem Retter. In der Öffentlichkeit trinkt sie kaum Alkohol, aber sie beginnt, heimlich zu trinken, abends allein zu Hause. Niemand bekommt etwas davon mit.
Als ihre drei Kinder erwachsen sind, trennt sie sich von ihrem Mann. Einige Zeit später lernt sie Klaus Albersmeier kennen. „Wir haben uns gesucht und gefunden“, sagt sie, er ist die Liebe ihres Lebens. Dabei treffen Gegensätze aufeinander: Sie als Grüne und er als Landwirt und CDU-Mann. Aber es gelingt ihnen, das Beste aus dieser Kombination zu machen. Nach und nach bauen sie den Betrieb um. Die Mastschweine stehen heute auf Stroh, Ibericofleisch wird direkt vermarktet und Esel und Alpakas ziehen auf dem Hof ein. Heute ist die Landfrau glücklich. Doch bis dahin war es ein steiniger Weg.
Nachdem sie Klaus kennengelernt hat, schafft es Marianne Albersmeier zunächst, zwei Jahre nicht zu trinken. Aber der Alkohol lässt sie nicht los. Nach einem für sie schwierigen Ereignis fängt sie wieder an zu trinken. „Ich dachte, ich hätte das im Griff“, sagt sie. Das war ein Trugschluss. Wieder trinkt sie heimlich, sodass Klaus über Jahre nichts merkt. Ihm fallen nur ihre Stimmungsschwankungen auf.
Ein Leben voller Lügen
Doch ihre Kinder wissen Bescheid, und sie erzählen ihm von den Alkoholproblemen ihrer Mutter. Klaus Albersmeier fällt es schwer, das zu begreifen. „Du kannst doch aufhören“, sagt er, als es Silvester 2012 zu einer Aussprache zwischen den beiden kommt. Tatsächlich fängt sie eine ambulante Therapie an. Aber sie schafft es nicht, trinkt heimlich weiter – und belügt ihren Mann und die Therapeutin. „Ich habe mich vor dem Alkohol geekelt, ihn aber trotzdem getrunken. Ich konnte nicht anders. Ich habe mich dafür geschämt“, gibt sie zu. Aber der Alkohol hat die Macht über ihr Leben übernommen.
Perfekt organisierte Alkoholikerin
Es folgen fünf sehr schwere Jahre. Es ist die Zeit, in der sie gemeinsam den Betrieb umstellen und viele neue Projekte umsetzen. Das alles kostet Marianne Albersmeier viel Kraft. Und doch betreibt sie zusätzlich einen enormen Aufwand, um ihre Alkoholsucht zu organisieren. Niemand soll merken, wie sie den Alkohol beschafft, wo sie ihn versteckt, wann sie ihn trinkt und dass sie getrunken hat. „Ich war eine funktionierende Alkoholikerin“, sagt die 63-Jährige.
Im Herbst 2017 stellt ihr Mann sie zur Rede. „Ich werde dich nicht verlassen. Aber du machst das kaputt, was wir uns aufgebaut haben“, sagt er. Das wirkt. Noch im November sucht sie Hilfe bei ihrem Hausarzt, der sich sofort auf die Suche nach einer geeigneten Klinik macht. Im März 2018 wird sie in die Median Klinik Tönisstein in Bad Neuenahr aufgenommen.
Es ist eine Krankheit, nicht der Charakter
In der ersten Woche darf sie keinen Kontakt nach außen haben. Sie muss sich nur mit ihrer Situation und ihrer Sucht auseinandersetzen. „Ich fühlte mich schrecklich, war voller Scham“, sagt sie. Dennoch weiß sie heute, dass dieser Aufenthalt das Beste war, was ihr passieren konnte. „Ich habe hier gemerkt, dass ich nicht alleine bin, dass andere das gleiche Problem haben wie ich. Und ich habe verstanden, dass es eine Krankheit ist, nicht mein Charakter.“
Marianne Albersmeier nutzt die Zeit in der Klinik, um sich intensiv mit der Alkoholkrankheit auseinanderzusetzen. „Ich habe viel darüber gelesen und hatte dabei viele Aha-Erlebnisse.“ In dieser Zeit reift auch ihr Entschluss, sich nicht mehr zu verstecken. Auch ihr Mann soll offen mit ihrer Alkoholkrankheit umgehen. „Du sollst nicht mehr für mich lügen“, sagt sie ihm.
Meiden, was an Alkohol erinnert
Am 11. Mai 2018 kann sie die Klinik verlassen – und gilt seitdem als trocken. Alkohol und alles, was sie daran erinnert, meidet sie. „Ich trinke nicht aus Gläsern, aus denen ich früher Alkohol getrunken habe“, nennt sie ein Beispiel. An Festen wie Familienfeiern oder Schützenfesten nimmt sie zwar trotz ihrer Alkoholkrankheit meistens teil. Für den Fall, dass es ihr zu viel wird, hat sie mit ihrem Mann aber ein Codewort vereinbart. Er weiß dann Bescheid, dass sie gehen möchte. Als problematisch empfindet sie Weihnachtsmärkte. „Da liegt permanent der Geruch von Alkohol in der Luft“, begründet sie. Deshalb ist sie auf solchen Veranstaltungen eher selten zu finden.
Dass Alkohol im öffentlichen Leben ganz selbstverständlich ständig präsent ist, ärgert sie. „Alkohol ist das einzige Suchtmittel, bei dem man sich entschuldigen muss, wenn man es nicht konsumiert“, sagt Marianne Albersmeier.
Ihr Hof ist streng alkoholfrei. Wenn ihr jemand als Präsent etwas Alkoholisches mitbringt, erklärt sie, dass sie alkoholkrank ist und derjenige das Geschenk bitte wieder mitnehmen soll.
Nach vorn schauen
Im Anschluss an den Klinikaufenthalt begibt sich die Landfrau noch für drei Jahre in eine ambulante Therapie. Inzwischen kommt sie aber ohne diese Unterstützung aus. „Ich habe gelernt, mich meinen Ängsten zu stellen, auch ohne Alkohol.“
Das Thema Alkohol hat sie für sich abgehakt. „Ich habe meine Krankheit akzeptiert, kämpfe gegen das Tabu und habe keinen Grund, mich zu schämen“, sagt sie.
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