Die Inzidenzwerte sinken, die Zahl der Geimpften nimmt zu und schon wird der Ruf nach weiteren Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen laut. Im Sommer, wenn die Temperaturen hoch sind und sich die Menschen viel draußen aufhalten, ist die Gefahr einer Infektion bei den derzeit niedrigen Infektionsraten tatsächlich gering. Aber wie sieht das mit Blick auf den Herbst aus?
Wenn alle Corona-bedingten Abstands- und Hygiene-Maßnahmen und auch die Maskenpflicht aufgehoben werden, sind diejenigen, die weder geimpft sind noch eine Corona-Infektion durchgemacht haben, ungeschützt, warnt Prof. Dr. Melanie Brinkmann, Virologin am Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. Die Gefahr ist groß, dass sich beispielsweise viele Schüler infizieren, wenn sie nach den Sommerferien ohne Masken in vollen Klassenräumen sitzen.
Große Herausforderung für die Medizin
Die besondere Gefahr des SARS-CoV-2-Virus ist in seinen spezifischen Eigenschaften begründet. Es ist nicht nur sehr leicht übertragbar. Hinzu kommt, dass Infizierte das Virus bereits übertragen können, bevor die Symptome auftreten. Sogar Infizierte, die selbst gar keine Symptome entwickeln, können das Virus übertragen.
Zunächst waren Mediziner davon ausgegangen, dass es sich bei Covid-19 um eine reine Atemwegserkrankung handelt. Es stellte sich aber heraus, dass bei dieser Krankheit viele Organe betroffen sein können. Auch Gerinnungsstörungen werden beobachtet, erklärt Prof. Brinkmann während einer Informationsveranstaltung des Deutschen Landfrauenverbands.
Eine weitere Herausforderung sind Spätfolgen der Krankheit, als Long-Covid bezeichnet. Sie treten vor allem bei Infizierten auf, die in der akuten Krankheitsphase einen milden Verlauf hatten. Etwa 13 bis 15 % dieser Patienten sind betroffen, vor allem jüngere und mittlere Jahrgänge sowie Frauen. Die Symptome zeigen sich nach ein bis vier Monaten. Betroffene klagen insbesondere über Erschöpfung und Muskelschwäche. Manche leiden auch unter Schmerzen, Schlafstörungen, Depressionen, Haarverlust oder Geruchsstörungen. Auch deshalb sollte die Krankheit auf keinen Fall unterschätzt werden.
Sorge wegen Delta-Variante
Ein Blick nach Großbritannien zeigt, dass wir trotz sinkender Inzidenzen nicht leichtsinnig werden dürfen. Dort steigen die Zahlen, obwohl mehr Menschen geimpft sind als in Deutschland. Verantwortlich dafür ist die Ausbreitung der Delta-Variante. Inzwischen sind 90 % der Neuinfektionen auf diesen Virus-Typ zurückzuführen. In Deutschland ist die Variante noch nicht so verbreitet. Nach Einschätzung von Prof. Brinkmann war sie bis Mitte Juni für etwa 10 % der Neuinfektionen verantwortlich.
Gefährlicher ist die Delta-Variante, weil sie ansteckender ist als die bislang vorherrschenden Coronaviren. Ob sie auch schwerere Erkrankungen verursacht, lässt sich noch nicht sagen. Ein großes Problem ist aber, dass sogar eine erste Corona-Impfung keinen sicheren Schutz bietet. Jedoch zeigen Untersuchungen, dass Menschen, die zweimal mit einem Impfstoff von Biontec oder Astrazeneca geimpft wurden, auch vor der Delta-Variante geschützt sind. Deshalb ist es so wichtig, das die Menschen sich unbedingt zweimal gegen Corona impfen lassen, betont Prof. Melanie Brinkmann.
Impfung auch für Kinder
Die Virologin empfiehlt die Impfung auch für Kinder ab zwölf Jahren. Die dreifache Mutter werde ihre Kinder auf jeden Fall impfen lassen, sagte sie den Landfrauen. Die STIKO hingegen empfiehlt die Impfung nur für Kinder mit bestimmten Vorerkrankungen. Prof. Brinkmann räumte ein, dass Kinder bei einer SARS-CoV-2-Infektion zwar selten unter Atemwegserkrankungen leiden. Einige würden jedoch ein multi-inflammatorisches Syndrom, auch PIMS genannt, entwickeln. Unbehandelt kann die Erkrankung zu schweren Herz-Kreislauf-Störungen und neurologischen Ausfällen führen und sogar tödlich sein. Das Syndrom ist mit Medikamenten gut behandelbar. Dennoch möchte Prof. Brinkmann ihre Kinder diesem Risiko nicht aussetzen.