Multiple Sklerose / Immuntherapien / Impfung

Multiple Sklerose: Alles ist individuell

Rund 280 000 Menschen sind in Deutschland an Multipler Sklerose (MS) erkrankt. Immuntherapien nehmen Einfluss auf die Aktivität der Erkrankung – nicht jedoch bei allen gleich gut.

Vorübergehende Sehstörungen auf einem Auge, Taubheitsgefühle, Kribbeln und Kraftlosigkeit in Beinen oder Armen sowie vermehrte Ermüdbarkeit sind häufige Anzeichen einer Multiplen Sklerose (MS) im Anfangsstadium. Im Verlauf können weitere Beschwerden hinzu kommen wie Gangstörungen, Spastiken, Konzentrationsschwierigkeiten oder Probleme mit der Blase. Bei schweren Krankheitsprozessen kann es zu bleibenden Einschränkungen mit Behinderung kommen.

Frauen sind bis zu dreimal häufiger von MS betroffen als Männer.

Ob die MS einen milden oder schweren Verlauf nehmen wird, ist schwer abzuschätzen. „Die Prognose ist immer individuell. Sie lässt sich bislang auch nicht aus laborchemischen Veränderungen oder bildgebende Verfahren ableiten“, sagt Prof. Jan Lünemann, Leiter der Ambulanz für Multiple Sklerose und Oberarzt der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Münster (UKM).

Immuntherapie ist wichtig

Zu heilen ist die MS derzeit noch nicht. Allerdings lässt sich der Verlauf der Erkrankung meist medikamentös gut kontrollieren. Eine zentrale Rolle in der Behandlung der MS nehmen Immuntherapien ein. Sie sollen der Entzündungsaktivität in Form von Krankheitsschüben vorbeugen und damit das Ausmaß der fortschreitenden Behinderung günstig beeinflussen. Die Therapien werden immer besser, doch es gibt Grenzen.

„Bis ins höhere Erwachsenenalter wird in der Regel allen MS-Patienten empfohlen eine Immuntherapie wahrzunehmen“, berichtet Prof. Jan Lünemann. Bei den Arzneien handele es sich um antientzündliche Medikamente, die dann am stärksten wirken, wenn auch die Entzündung am stärksten ist. Das sei in der Regel früh im Verlauf der schubförmig verlaufenen MS (RRMS) der Fall. Daher sollte man auch möglichst früh mit der Therapie beginnen.

Ein akuter Krankheitsschub wird in der Regel mit hoch dosiertem Kortison behandelt. In schweren Fällen wird auch eine Art Blutwäsche, die Plasmapherese, durchgeführt.

In der begleitenden Therapie kommen vornehmlich antientzündliche Medikamente zum Einsatz, die Einfluss auf das Immunsystem nehmen. „Mittlerweile stehen über 20 sehr effektiv wirksame Präparate zur Verfügung und weitere kommen hinzu“, informiert Prof. Jan Lünemann.

So wirken Immuntherapeutika

Immuntherapeutika wirken über verschiedene Mechanismen:
- Fingolimod, Siponimod und Ponesimod sind beispielsweise Wirkstoffe, die am Entzündungsprozess beteiligte Immunzellen in Lymphdrüsen aufgreifen und nicht auswandern lassen.
- Die Arznei Natalizumab zum Beispiel hält die Immunzellen aus dem zentralen Nervensystem heraus.
- Wirkstoffe wie Alemtuzumab, Ofatumumab und Ocrelizumab sind in der Lage, die Immunzellen zu beseitigen.

Als besonders erfolgreich haben sich in den vergangenen Jahren zum Beispiel B-Zell-Antikörper-Medikamente erwiesen. Sie sind in der Lage, eine Entwicklungsstufe der B-Zellen – eine Immunzellsubgruppe, die zu Entzündungen und Schädigungen im Gehirn führen können – abzutöten. „Unter Gabe dieser Medikamente hat der überwiegende Teil der MS- Patienten keine Krankheitsaktivität mehr“, sagt Prof. Jan Lünemann.

Die Behandlung ist stets individuell

Wichtig zu wissen: Welches Therapeutikum in der Langzeittherapie verabreicht wird, hängt unter anderem von der Diagnose, der Verlaufsform der MS, der Aktivität der Erkrankung, von möglichen Begleiterkrankungen und dem Alter des Patienten ab. Denn Immuntherapeutika sind nicht frei von Nebenwirkungen. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hat dazu eine Stufenschema entwickelt, das entsprechende Therapieempfehlungen gibt.

„Im späteren Verlauf der Erkrankung im Alter ab etwa 55 bis 60 Jahren kann es sein, dass die Entzündungen gar nicht mehr so ausgeprägt sind“, erklärt der Neurologe. Dann können eher Nebenwirkungen auftreten, die vorher gar nicht so relevant gewesen sind, wie Leber- und Nierenschäden, Bluthochdruck, Gürtelrose oder allergische Reaktionen.

Im Alter bestehe beispielsweise auch ein höheres Risiko für Infektionen oder Krebserkrankungen. Insbesondere dann sei die Einnahme der Medikamente kritisch zu hinterfragen und eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung besonders wichtig.
Hinzu komme, dass eine primär voranschreitend verlaufende MS (PPMS) ohnehin weniger gut auf eine Immuntherapie anspreche.

Wie sinnvoll Impfempfehlungen sein können

MS-Betroffene sind oft unsicher, ob sie sich impfen lassen sollen. Dabei sind Impfungen gegen verschiedene Erkrankungen sinnvoll, weil sie Risiken der MS-Behandlung mindern und das Risiko eines Krankheitsschubes durch Infektionen oft reduzieren können. Allerdings gilt es dabei zwischen Lebend- und Totimpfstoffen zu unterscheiden, wie Prof. Jan Lünemann, Leiter der Ambulanz für Multiple Sklerose am UKM, informiert.

  • Lebendimpfstoffe enthalten abgeschwächte Viren. Dazu zählen etwa Impfungen gegen Gelbfieber. Sie sollten bei MS-Patienten nur in strenger Nutzen-Risiko-Anwendung gegeben werden und dürfen nicht unter immunsuppressiver Therapie verabreicht werden.
  • Empfohlen werden dagegen Impfungen mit Totimpfstoffen wie Tetanus, Herpes Zoster, Diphtherie, Poliomyelitis, Keuchhusten, Hepatitis B, Influenza, Pneumokokken, Meningokokken, Covid-19 Impfung.

Unter kontinuierlicher Immuntherapie ist mit dem Arzt Rücksprache zu halten. Ansonsten sollte der Impfstatus überprüft und
- möglichst geimpft werden zum Zeitpunkt der Diagnose,
- spätestens vier bis sechs 6 Wochen vor Beginn einer Immuntherapie.

Näheres über Multiple Sklerose

In der Regel erkranken Menschen zwischen Mitte 20 und 40 Jahren an einer Multiplen Sklerose. Nach derzeitigem Kenntnisstand wird MS durch ein fehlgesteuertes Immunsystem verursacht, das irrtümlich die isolierende Schutzhülle der Nervenzellfortsätze (Myelin) im Gehirn, Rückenmark und den Sehnerven angreift. Es kommt zu akuten Entzündungsherden, die nach dem Abheilen Verhärtungen hinterlassen. Je nachdem an welcher Stelle die Entzündung auftritt, kommt es zu unterschiedlichen Krankheitszeichen und Verlaufsformen:
- In 85% der Fälle verläuft die Erkrankung schubweise und mit beschwerdefreien Intervallen zwischen den Krankheitsphasen (RRMS), die sich nach dem Schub vollständig oder teilweise zurückbilden.
- Nach mehreren Jahren kann sich die MS fortschreitend (SPMS) verschlechtern und einen chronischen Verlauf nehmen. Dann werden die Schübe seltener, aber die Symptome nehmen kontinuierlich zu. Zwischenzeitlich kann es auch zu einem Stillstand kommen.
- Verschlechtern sich Symptome und Einschränkungen kontinuierlich von Beginn der Erkrankung an, meist ohne dass Schübe zu erkennen sind, ist von einer PPMS die Rede. Auch hier kann die MS vorübergehend zum Stillstand kommen. Von dieser Verlaufsform sind häufiger Männer im Alter von über 50 Jahren betroffen.

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Multiple Sklerose (MS) ist bislang nicht heilbar. Moderne Therapien können jedoch den Verlauf der chronisch-entzündlichen Erkrankung positiv beeinflussen. Auch Impfungen spielen dabei eine Rolle.