Wir haben mit Prof. Dr. Alexandra Philipsen, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn, darüber gesprochen, wie sich ADHS bei Erwachsenen bemerkbar macht und was Betroffenen hilft, ihren Alltag zu meistern.
Wie viele Erwachsene leiden an ADS bzw. ADHS?
Experten gehen davon aus, dass 2 bis 2,5 % der Bevölkerung unter ADHS leiden, wobei viele nichts davon wissen. Es ist davon auszugehen, dass sie alle auch schon im Kindesalter ADHS hatten. Nicht immer wurde das aber diagnostiziert. Nur in seltenen Fällen gibt es sekundäre ADHS-Formen, die zum Beispiel nach Unfällen mit Hirnverletzungen im erwachsenen Alter entstehen können.
Wie bei Kindern wird auch bei Erwachsenen zwischen ADS und ADHS unterschieden, je nachdem, ob eine Hyperaktivität vorliegt. Allerdings ist das nicht immer klar abzugrenzen. Bei ca. 60 % liegt eine kombinierte Form vor, bei 30 % überwiegt die Unaufmerksamkeit und 5 bis 10 % haben überwiegend hyperaktive Ausprägungen.
Wie verändern sich die Symptome im Erwachsenenalter?
Hyperaktivität und Impulsivität nehmen bei Erwachsenen etwas ab. Wenn jedoch ein Kind bereits stark unter ADHS und unter starken Stimmungsschwankungen leidet, besteht die Erkrankung meist im Erwachsenenalter fort.
Bedeutsamer werden die Folgen der Krankheit. Dazu zählen zum Beispiel Probleme am Arbeitsplatz durch desorganisiertes Verhalten, verpasste Termine und Fristen, Beziehungsschwierigkeiten oder ungewollte Schwangerschaften.
Woran ist zu erkennen, dass eine erwachsene Person möglicherweise an ADHS leidet?
Wenn jemand große Schwierigkeiten hat, sich auf für ihn oder sie relevante Dinge zu fokussieren und zu Ende zu bringen. Betroffene haben zum Beispiel Probleme, ihren Haushalt zu organisieren oder eine Steuererklärung zu machen. Sie sind erschöpft, weil sie ständig etwas machen, ihre Dinge aber trotzdem nicht geregelt kriegen. Dafür kann es viele Ursachen geben, aber eine kann ADHS sein.
Es gibt aber auch positive Merkmale: Manchmal sind gerade das sehr kreative Menschen und Ideengeber.
An wen können sich Erwachsene wenden, wenn sie den Verdacht haben, an ADHS zu leiden?
Studierende können sich an die Studienberatungsstelle wenden. Ansonsten ist der Hausarzt ein erster Ansprechpartner. Mit etwas Glück ist dieser über das Thema informiert und offen dafür. Das sind nicht alle. Weitere Ansprechpartner sind Spezialambulanzen, niedergelassene Psychiater oder auch Psychotherapeuten. Es ist nur sehr schwer, dort einen Termin zu bekommen.
Wann muss behandelt werden und wie wird behandelt?
Ist die Diagnose gestellt, wird der Patient über die Erkrankung aufgeklärt und bekommt Strategien und Tipps zum Umgang damit. Das wird als Edukation bezeichnet. Diese sollte verhaltenstherapeutisch ausgerichtet sein. Dabei gilt es herauszufinden, was dem Betroffenen hilft, seine Stimmung zu stabilisieren und den Alltag zu strukturieren.
Die weitere Behandlung hängt davon ab, wie stark die Beeinträchtigungen sind. Bei Bedarf kommt auch eine medikamentöse Therapie in Betracht. Dabei kommen annähernd die gleichen Wirkstoffe zum Einsatz wie in der Behandlung von Kindern, zum Beispiel Amphetamine, Methylphenidat und Atomoxetin. Auf die Medikamente sprechen etwa 70 % der Patienten gut an. Sie werden in der Regel gut vertragen, haben aber auch unerwünschte Wirkungen. Mögliche Nebenwirkungen sind im Erwachsenenalter vor allem Bluthochdruck sowie Appetitminderung.
Sind Menschen mit ADHS eher suchtgefährdet?
ADHS ist ein Risikofaktor für frühen Substanzkonsum, wie Nikotin, Cannabis oder Alkohol. Doch auch für nicht Substanz-gebundene Süchte besteht ein erhöhtes Risiko. Wird die ADHS behandelt, fällt es den Betroffenen leichter, von der Sucht wegzukommen. Allerdings wirken die ADHS-Medikamente bei Menschen, die an einer Sucht leiden, oftmals weniger gut und es werden höhere Dosierungen benötigt.
Betroffene sind außerdem stärker gefährdet, Depressionen oder Angststörungen zu entwickeln. Das ist zum einen genetisch bedingt. Zum anderen kann es daran liegen, dass diese Menschen hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben.
Wie können Angehörige oder Freunde den Betroffenen helfen?
Der Umgang mit einem Menschen mit ADHS wird immer etwas chaotisch sein. Deshalb sollte man sich ein wenig Humor und Toleranz bewahren. Wichtig ist aber: ADHS ist eine Erklärung, keine Entschuldigung und kein Freibrief für den Betroffenen. Wer beispielsweise beim Einkauf nicht an alles denkt, sollte sich eine Einkaufsliste schreiben. Erkrankte sollte zumindest versuchen, Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen.
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