Dr. Nicole Steenfatt ist Koloproktologin und Ernährungsmedizinerin an der Darmgesundheitspraxis in Bad Oeynhausen.
Leaky Gut heißt übersetzt „durchlässiger Darm“. Was bedeutet das? Ist der Darm nicht immer durchlässig für bestimmte Stoffe?
Im gesunden Darm bilden die Zellen der Darmwand einen dichten Zellverband. Sie werden von sogenannten Verschlussleisten, den Tight junctions, miteinander verbunden und abgedichtet. Die Tight junctions bestehen aus spezialisierten Proteinen. Sie entscheiden, welche Stoffe durch die Darmwand Zugang in die Blutbahn erhalten und welche nicht.
Normalerweise machen sie einen guten Job: Sämtliche Stoffe, die unserem Darm und unserer Gesundheit schaden, werden nicht reingelassen. Werden die Tight junctions zerstört, entsteht das Leaky-Gut- Syndrom. Das bedeutet, dass krank machende und giftige Substanzen teilweise unkontrolliert in die Darmwand und in den Blutkreislauf gelangen können.
Wie entsteht ein Leaky-Gut- Syndrom?
Stress, industriell veränderte Nahrungsmittel und Umweltgifte bringen das Ökosystem der Darmbakterien in ein Ungleichgewicht. Weitere mögliche Ursachen sind Medikamente, wie Antibiotika, Chemotherapeutika und Antiphlogistika, das sind entzündungshemmende Medikamente. Eine große Rolle spielt auch eine ungesunde Ernährung, die zu Fettstoffwechselstörungen, Insulinresistenz und Übergewicht führt. Vor allem zu viel Zucker und Kohlenhydrate, insbesondere Weizenprodukte, wirken sich schädlich aus.
Die Symptome des Leaky-Gut- Syndroms ähneln denen einer Nahrungsmittelallergie. Gibt es einen Zusammenhang?
Es wird vermutet, dass es sich beim Leaky-Gut-Syndrom um eine allergische Reaktion auf bestimmte Nahrungsbestandteile, wie Gluten oder Laktose, handelt, bei dem Immunkomplexe entstehen. Diese heften sich an die Darmwand an. Es kommt zu einer Entzündung, die das Gewebe schädigt. Dadurch wird der Darm durchlässig. Bakterien und deren Giftstoffe sowie unverdaute Nahrungsbestandteile können durch die Darmwand ins Blut eindringen und dort erneut Entzündungen auslösen.
Wie äußert sich das Leaky- Gut-Syndrom?
Typische Symptome sind:
- Müdigkeit und Leistungsabfall,
- depressive Verstimmungen,
- Magen-Darm-Beschwerden, wie Durchfall, Verstopfung, Blähungen und chronische Magenschleimhautentzündung,
- Mangelerscheinungen durch verringerte Nährstoffaufnahme oder erhöhte Nährstoffverluste,
- Fehlregulationen des Immunsystems, wie Infektanfälligkeit, Allergien, Unverträglichkeiten und Autoimmunerkrankungen.
Welche Möglichkeiten der Therapie gibt es?
Betroffene Menschen sollten auf unverträgliche Nahrungsmittel verzichten, bis die Symptome abgeklungen sind. Auch Heilfasten kann dabei helfen, eine Besserung der Symptome in Gang zu bringen.
Im Vordergrund muss aber die schulmedizinische Abklärung stehen, beispielsweise in Form von Ultraschall des Bauchs und gegebenenfalls Magen- bzw. Darmspiegelung. Als Therapie eignet sich auch eine Darmsymbioselenkung. Sie hat zum Ziel, eine gesunde Darmflora herzustellen. Das geschieht zum Beispiel durch Ernährungsumstellung, Entgiftung und Einnahme sogenannter Leitkeime, die die Darmflora wieder in den Normalzustand versetzen sollen.
Wichtig ist außerdem, Stress zu reduzieren. Dabei kann ein Achtsamkeitstraining helfen.
Worauf müssen Betroffene bei der Ernährung achten?
Sofern keine Unverträglichkeiten bestehen, sind folgende Lebensmittel günstig:
- Gute L-Glutamin-Lieferanten, wie Fisch, Rüben, Kartoffeln, Spinat oder Petersilie. Die Aminosäure L-Glutamin spielt eine zentrale Rolle bei der Regeneration der Darmschleimhaut;
- Lebensmittel, die viel Omega-3-Fettsäuren enthalten. Dazu gehören Raps-, Hanf-, Lein- und Walnussöl sowie Fisch, vor allem Thunfisch, Makrele und Lachs, Nüsse und Samen, aber auch Gemüse, wie Avocado;
- probiotische Lebensmittel, wie Joghurt, fermentiertes Gemüse und fermentierter Tee (Kombucha);
- präbiotische Lebensmittel, wie Buchweizen, Hirse, Chicorée, Topinambur, Schwarzwurzeln und nicht zu reife Bananen.
Kann die Erkrankung Ursache weiterer Erkrankungen sein?
Davon gehen aktuelle wissenschaftliche Studien aus. Erkrankungen, die mit dem Syndrom in Verbindung stehen könnten, sind:
- Autoimmunerkrankungen, wie Diabetes Typ I, Zöliakie, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose, und Hashimoto-Thyreoiditis,
- Fettsucht und metabolisches Syndrom mit Insulinresistenz,
- Allergien,
- Reizdarmsyndrom.
Das Immunsystem im Darm
Die Darmwand umfasst eine Fläche von 300 bis 500 m2. Sie muss so durchlässig sein, dass Nährstoffe und Flüssigkeit aus dem Darminneren aufgenommen werden können. Andererseits muss sie über einen Schutzmechanismus verfügen, der schädliche Substanzen und Krankheitserreger zurückhält.
Für die Schutzfunktion im Darm sorgen verschiedene Strukturen und Zellen. Diese kleiden den 7 m langen Verdauungstrakt vom Mund bis zum After aus und schützen ihn. Im Darm ist diese Schutzschicht besiedelt mit einer Darmflora aus unterschiedlichsten Bakterienstämmen.
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