Versagter weiblicher Stimmbruch

Hoch, schrill, monoton

Hätten Sie es gewusst ? Auch Mädchen kommen in den Stimmbruch. Tritt dieser nicht ein, bleibt die Frauenstimme oft hoch und monoton. Ein Hamburger Stimmtherapeut macht dafür auch seelische Nöte verantwortlich.

Mit dem Ende der Pubertät ändert sich die Kinderstimme. Beim Jungen bringt das Hormon Testosteron den Kehlkopf zum Wachsen. Die Stimme wird markant und senkt ihren Klang ungefähr um eine Oktave. Auch Mädchen kommen in den Stimmbruch. Allerdings senkt sich ihre Stimme nur um drei Töne und klingt nach der Pubertät nur wenig tiefer.

Die Tonlage verfehlt

Doch manchmal bleibt der weibliche Stimmbruch aus. Frauen entwickeln dann häufig eine kindlich dünne, piepsige, mitunter monoton schrillig hohe Stimme. „Warum das so ist, darüber gibt es nur unzureichende wissenschaftliche Literatur“, sagt Dr. Niels Graf von Waldersee, Facharzt für HNO-Heilkunde aus Hamburg.

Der Phoniater und Pädaudiologe ist Spezialist für Störungen der Stimme, Sprache, des Sprechens und Hörens. Am Johannes Wesling Klinikum Minden referierte der Experte jüngst über die „inkomplette Mutation“ der weiblichen Stimme, wie der fehlende Stimmbruch der Frau im Mediziner-Jargon heißt. Als Auslöser für den fehlenden Stimmbruch der Frau hält der Experte seelische Belastungen und Nöte für möglich.

Hohe piepsige Stimme

Der Stimmspezialist hält hohe Frauenstimmen nicht grundsätzlich für besorgniserregend oder therapiebedürftig. „Hohe Frauenstimmen können sehr schön und variationsreich klingen“, sagte er. Doch in seiner Praxis hat der Experte immer wieder mit Patientinnen zu tun, die wegen ihrer hohen monotonen Stimme überhört oder gar beschimpft werden.

Schnell gelte ihre schrille, hohe monotone Sprechstimme als Zeichen für Hysterie und werde abgelehnt. Es sei oft mühsam ihnen zuzuhören, vor allem wenn ihre Stimme gleichzeitig aggressiv wirke. Dass dahinter tatsächlich seelische Nöte und Identitätsprobleme einer Frauen stecken können, werde häufig nicht erkannt – auch von den betroffenen Frauen nicht. Meist stritten sie auch ab, eine zu hohe Stimmlage zu haben.

Hohe Schuhe – hoher Ton

Zweifelsfrei habe die Stimme auch mit der Körperhaltung zu tun, machte der Experte deutlich. „Beim ausschließlichem Tragen von Stöckelschuhen beispielsweise kommt es zu Kontraktionen unter anderem der Muskeln, die das Becken kippen“, erklärte von Waldersee. Die Anpassung der Atmung werde dabei derart eingedämmt, dass durch die Verkettung der Streckmuskeln der gesamte Körper anspanne – bis zu den äußeren Kehlkopfmuskeln und den Stimmbändern. Je angespannter diese sind, desto höher werde der Ton. Ein Grund dafür, dass Frauen beim unsicheren Stehen auf High Heels oft hohe Stimmlagen haben. In seiner Interpretation geht von Waldersee soweit, dass er vom rückständigen männerdominierten Frauenbild spricht, in das diese Frauen hinein gedrängt werden. In dieses Bild passe keine selbstbestimmte Frau, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehe.

Auf der Suche nach Ursachen für die überhöhte Frauenstimme geht er zurück in die kindliche Entwicklung. Ein Kind, dass nicht quietschen, heulen, rufen, nicht laut sein darf, leide und verstumme. Dabei sei die eigene Wahrnehmung wichtig für die Stimmbildung und eigene Entwicklung.

In der Pubertät sei der Bruch mit den Eltern ein wichtiger Schritt zum Erwachsenwerden. Jungen dürften häufig laut sein und Terz machen, bei Mädchen werde dieses Verhalten oft nicht akzeptiert.

Die Bedürfnisse dieser Kinder und Jugendlichen werden überhört und bleiben unbefriedigt.

Drangsal macht sich Luft

Neid, Zorn, Angst und vor allem Ohnmacht machen sich breit. Spannung werde aufgebaut „Wenn die Unterdrückung keine Ende nimmt, kommt es durch den Seelenterror zu einem Pfeifen aus dem letzten Loch“, sagte von Waldersee. Das Kind bzw. die Frau ertrage die ausweglose Drangsal nicht mehr und verschaffe sich über die hohe Stimme Luft. Bestehe keine Ausweichmöglichkeit, entwickelte manche von ihnen ein Muster – das der hohen Stimme. Eine verbale Therapie sei bei diesen Frauen hoffnungslos, „Es bedarf einer behutsamen Führung mit Atem- und Stimmtherapie, die Jammern und Weinen zulasse, um schließlich über das Wort eine heilende Therapie anzubahnen“.


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