Andrea* ist eine starke Frau. Sie gehört zu der Sorte Menschen, die vor Lebensenergie sprüht, immer in Aktion ist, die Familie managt, für jeden Zeit hat und sich selbst nicht so wichtig nimmt. Kurze Zeit war die 55-Jährige von der Bildfläche verschwunden. Sie hatte Brustkrebs. Das ist inzwischen aber überstanden. Die Therapie ist beendet, der Krebs ist besiegt. Andrea ist wieder da. – So sehen es alle, die Andrea kennen. Aber in Andrea selbst sieht es ganz anders aus.
Nur zu gerne wäre sie wieder die energiegeladene Mutter, die sie vor dem Krebs war. Aber das ist sie nicht mehr. „Ich möchte mein altes Leben zurück! Aber das bekomme ich nicht“, sagt sie. Das Blut schießt ihr in den Kopf. Sie blickt nach unten, hält sich an einer Tasse Tee fest und schluckt. Dann lächelt sie wieder. Es muss ja weitergehen.
Therapie nach Plan
Das hat sie sich auch vor gut zwei Jahren gesagt, als ihr Arzt ihr die Diagnose Brustkrebs mitteilte. Die Therapie ist genau durchgeplant. Zuerst die erste Operation, dann die Chemo, dann weitere Operationen. Beide Brüste und die Eierstöcke werden entfernt. „Ich habe funktioniert“, sagt sie. An sich hat sie in dieser Zeit nicht gedacht. Wohl aber an ihren Mann und die drei Kinder. Die sollten sich keine Sorgen machen.
Ihre Strategie geht zunächst auf. Bis nach der Operation, bei der die zweite Brust entfernt wird. „Danach bin ich nicht wieder hoch gekommen“, erzählt Andrea. Sie fängt an nachzudenken. Zum Beispiel über ihrer Mutter und ihre Schwester, die beide an Krebs gestorben sind. Andrea denkt auch an ihren Mann und die Kinder. Wird sie sich wieder so um sie kümmern können, wie sie es vorher gemacht hat?
Reden tut gut
In dieser Zeit kommt die Psychoonkologin Dr. Christine Alterhoff aus Münster sie im Krankenhaus besuchen. Schon vorher haben verschiedene Psychologen ihre Hilfe angeboten. Das hat sie aber stets abgelehnt. Andrea war überzeugt, dass sie das allein schafft. Auch jetzt, als es ihr tatsächlich schlecht geht, fragt sie sich: „Wie soll die mir helfen?“ Dr. Alterhoff drängt sich nicht auf, lässt ihr aber ihre Karte da.
Es dauert noch etwa vier Wochen, bis sich Andrea dazu durchringt, bei der Psychoonkologin anzurufen. Sie macht erst einen Termin, danach weitere. Denn sie merkt: Es tut gut, darüber zu reden. Sie kann zwar auch mit ihrem Mann reden. Dann ist sie aber immer bemüht, ihm keine Angst zu machen. Die Gespräche mit Dr. Alterhoff sind anders. Hier muss sie niemanden schützen. Sie kann sich den ganzen Müll von der Seele reden. Und sie kann über ihre Ängste reden. Ihre Mutter und ihre Schwester waren nicht viel älter als sie selbst, als sie am Krebs gestorben sind. Wird es ihr auch so ergehen? Dr. Alterhoff hört zu, nimmt ihre Sorgen ernst.
Andrea hat zwar den Krebs besiegt, die Alte ist sie aber nicht und wird es auch nicht wieder werden. Das weiß sie, und das ärgert sie. Früher war sie sehr gesellig. Heute fällt es ihr schwer, abends noch auszugehen. Dafür ist sie meist zu müde. Viele Bekannte haben dafür wenig Verständnis. „Es sieht ja keiner, was die Chemo alles kaputt gemacht hat“, sagt Andrea. Bei Dr. Alterhoff muss sie nichts erklären. „Ich habe das Gefühl, sie versteht mich“, sagt Andrea.
Hilfe für den Alltag
Die Psychoonkologin hört nicht nur zu. Sie hilft ihr auch, ihren Alltag zu bewältigen. Vor allem aber fordert sie Andrea auf, einmal nur an sich zu denken. Darüber hinaus gibt sie ihr Tipps, wie sie mit ihren Ängsten umgehen kann. Nicht alles, was die Therapeutin vorschlägt, hilft Andrea. Aber sie probiert aus und erkennt, was ihr guttut. Auf diese Weise hat sie Yoga für sich entdeckt.
So sehr sie sich auch anfangs gegen eine psychoonkologische Behandlung gestäubt hat, ist sie heute froh, dass die sich dazu durchgerungen hat. Sie würde jedem Krebspatient dazu raten, zumindest für eine gewisse Zeit. Wichtig ist aber, den richtigen Therapeuten zu finden. „Die Chemie muss stimmen.“
Noch heute spricht Andrea hin und wieder mit Dr. Alterhoff. Sie kann sie jederzeit anzurufen– das beruhigt. Denn obwohl es ihr besser geht, sind die Ängste nicht weg. Sie hat aber gelernt, damit umzugehen.
* Name von der Redaktion geändert