Teun Toebes, niederländischer Bauernsohn aus Brabant, ist Anfang 20, als er freiwillig in ein Pflegeheim in Amsterdam zieht. Hier wohnt er seit mehr als zweieinhalb Jahren in einer geschlossenen Abteilung zusammen mit 14 Menschen mit Demenz. Seinen Lebensmittelpunkt hat sich der ausgebildete Altenpfleger und Student der Pflegeethik und -politik ganz bewusst ausgesucht. Er macht sich Sorgen um die Zukunft von Menschen mit Demenz und darum, wie die Gesellschaft mit ihnen umgeht.
Um Genaueres zu erfahren, wechselt er die Seiten, erlebt die Pflegesituation nicht als Pflegender, sondern als Mitbewohner. Dabei macht er tief greifende persönliche Erfahrungen, schließt Freundschaften und lernt, den Menschen mit Demenz genau zuzuhören. Er entwickelt eine Vision davon, wie man besser mit Demenzkranken umgehen und ihnen ein besseres Leben ermöglichen könnte. Seine Erfahrungen und Visionen hat er in einem Buch zusammengetragen. Wir treffen Teun Toebes in Versmold, Kreis Gütersloh, anlässlich einer Lesung über sein Buch.
Menschen mit Demenz mehr am Leben teilhaben lassen
Wenngleich sich seine Erfahrungen auf eine Einrichtung in den Niederlanden beziehen, so dürften seine Visionen von einem würdevollen und menschlichen Leben für Menschen mit Demenz in Pflegeeinrichtungen grenzüberschreitend sein.
Eine seiner wichtigen Erkenntnisse ist: „Hinter jeder Demenzdiagnose steht ein Mensch mit seinem gelebten Leben, der auch künftig noch am Leben teilhaben und es genießen möchte.“ Menschen mit Demenz bleiben Menschen mit dem Bedürfnis nach menschlichem Kontakt und Geborgenheit. „Sie wollen gleichwertig behandelt und nicht ausgegrenzt werden, sondern Teil der Gesellschaft sein“, erklärt er.
Kontrolle im Pflegeheim ist oft wichtiger
Leider sei der Blick auf Menschen mit Demenz oft ein anderer. Denn häufig werden sie als Gruppe von Bewohnern, Patienten oder Klienten gesehen, weniger als Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen. So habe er die Erfahrung gemacht, dass im Pflegeheim oft ein Konzept gelte, dass allen übergestülpt werde – aus Gründen der Sicherheit oder Kontrolle: Es gebe beispielsweise nur hart gekochte Eier zu essen, zur Sicherheit vor einer Salmonelleninfektion. Bei 30 °C Außentemperatur darf niemand mehr nach draußen, weil das Wärmeprotokoll das vorschreibe. Zimmerpflanzen seien in der Pflegeheimabteilung verboten, aus Angst, dass diese aufgegessen werden könnten.
{{::tip::standard::Der 21-jährige, der freiwillig in ein Pflegeheim zog und von seinen Mitbewohnern mit Demenz lernte, was Menschlichkeit bedeutet – von Teun Toebes. Aus dem Niederländischen übersetzt von Bärbel Jänicke. Droemer Knaur Verlag, ISBN: 978-3426286203, 216 Seiten, 20 €.::}}
„Sicher kann das vorkommen, aber warum muss man deshalb echte Pflanzen für alle verbieten?“ Das Leben sei mit Risiken verbunden, auch wenn man mit Demenz lebe. Es gehe doch darum, die Pflegeeinrichtung zu einem Zuhause für die Menschen zu machen, in dem sie sich wohlfühlen. Seine Botschaft richte sich nicht als persönliche Attacke oder Kritik an die Pflegekräfte, sondern als Kritik an ein System, das auf Kontrolle und Sicherheit konzentriert ist, anstatt auf Glück und Zusammengehörigkeit. „Ich sage nicht, dass Sicherheit nicht wichtig ist, aber es geht auch um Qualität von Leben“, erklärt Teun Toebes.
Zeit nehmen, um in Kontakt zu treten
In seinem Buch berichtet er wertschätzend vom Leben mit Bewohnern wie Ad, Elly, Leny, Mauriel oder Tineke. Die Demenzerkrankung ist bei ihnen unterschiedlich stark fortgeschritten. „Einer der wichtigsten Lektionen, die ich gelernt habe, besteht darin, dass man mit jeder Person in Kontakt treten kann, unabhängig davon, in welchem Stadium der Demenz sie sich befindet, solange man sich nur die Zeit nimmt, sie kennenzulernen“, erklärt Teun Toebes.
Elly fühle sich sofort wohl, wenn man sie umarme und bei Ad dürfe man nie heftig reagieren, weil ihn das völlig aus der Fassung bringe. Eine bessere Pflege sei oft möglich, indem man sich Zeit fürs Kennenlernen nehme, Zeit die oft fehle, aber möglich wäre, wenn das System Pflege andere Prioritäten setze.
Menschen mit Demenz gleichwertig behandeln
Teun Toebes spricht auch davon, Menschen mit Demenz ihr Recht auf Selbstbestimmung zu lassen. Den hierarischen Rollenmustern in der Pflege möchte er ein Ende setzen. „Die Menschen mieten eine Wohnung einschließlich Pflege, also sollten wir diese Wohnung auch als ihr Zuhause ansehen. Das bedeutet auch, dass wir mit den Bewohnern sprechen und beratschlagen müssen und nicht über sie“, schreibt er.
„Das Hoffnungsvolle ist, dass meine Botschaft nicht nach mehr Geld und mehr Zeit verlangt, sondern nach mehr Menschlichkeit“, sagt Teun Toebes. Der Schlüssel dafür sei eine andere Sichtweise auf Menschen mit Demenz und die ermögliche auch, anders zu handeln.
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