Wenn Harald Egbert mit seinem Hund spazieren geht, hat er meist eine Schere dabei. Er streift dann gerne durch seine Streuobstwiesen und entfernt Baum für Baum die störenden Äste und Zweige. „Beim Bäume-schneiden kann ich gut abschalten. Das ist Arbeit für die Seele“, schwärmt der 53-Jährige, der gemeinsam mit seiner Mutter in Lengerich ein Café betreibt.
Äpfel und ihre Anekdoten
Aktuell ist jedoch erstmal die Apfelernte dran. Auf den biozertifizierten Wiesen rund um das Café wachsen rund 300 Obstbäume. Die allermeisten davon sind Apfelbäume, es gibt aber auch einzelne Birnen, Pflaumen und Kirschen.
Während wir in Gummistiefeln durch die Reihen stapfen, deutet Egbert mal nach links und mal nach rechts. Es sind einige Jungbäume dabei, die noch keine oder erst wenige Früchte tragen. Trotzdem hat der Hobby-Pomologe zu fast jedem Hochstamm nicht nur den Sortennamen parat, sondern kann auch etwas zu Herkunft, Geschmack und Verarbeitungseigenschaften erzählen.
„Da drüben steht die ‘Osnabrücker Renette’. Die war hier in der Region lange verschwunden. Deshalb habe ich mir Reiser davon aus der Schweiz schicken lassen“, erklärt Egbert und fügt grinsend hinzu: „Aber fragen Sie nicht, wie lange ich mit der Zollbeamtin diskutieren musste, bis sie mir das Paket ausgehändigt hat.“
Ein paar Schritte weiter pflückt er einen rotbäckigen Apfel aus einem Baum, der so voll hängt, dass die Äste fast den Boden berühren: „Probieren Sie den mal! Das ist der ‘Prinz Albrecht von Preußen’. Ein schöner Kinderapfel, weil er ein kleines Kernhaus hat.“
Wie sich im Gespräch herausstellt, interessiert sich Harald Egbert bereits seit seiner Jugend für Apfelsorten. „Als ich 18 Jahre alt war, ist bei uns zu Hause eine ‘Graue Herbstrenette’ eingegangen. Ich bin dann in jede Baumschule gerannt, um die Sorte zu finden. Meine Freundin war schon genervt“, erinnert sich der studierte Chemieingenieur und lächelt.
Er habe erst Ruhe gegeben, als er die Sorte bei einer großen Baumverkaufsaktion der Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz Tecklenburger Land entdeckte. Jahre später entpuppte sich der Baum jedoch als eine völlig andere Sorte. Für Harald Egbert eine große Enttäuschung!
„Solche Verwechslungen passieren leider häufig“, weiß er heute.
Kühlhaus voller Äpfel
Harald Egbert schätzt, dass er inzwischen etwa 150 verschiedene Apfelsorten besitzt. Besonders stark gewachsen ist seine Sammlung vor zehn Jahren: Nach einem Zeitungsartikel über ihn und seine Leidenschaft haben ihm Dutzende Leute aus ganz Westfalen Äpfel aus ihren Gärten vorbeigebracht.
„Unser Kühllager stand bis unter die Decke voll mit Äpfeln“, erzählt der Naturfreund. Nach und nach hat er dann die Sorten – soweit möglich – bestimmt und gemeinsam mit seinen Söhnen verkostet. Von für ihn interessanten Sorten hat er sich im Anschluss vor Ort in den Gärten Reiser geschnitten und auf seinen Flächen veredelt.
Schon länger ist Harald Egbert zudem Mitglied im Erhalternetzwerk des Pomologen-Vereins (siehe Kasten). Jedes Jahr reicht er der Kommission von mehreren seiner Bäume Proben (jeweils fünf Äpfel) zur offiziellen Sortenfeststellung ein. „Wenn drei Experten unabhängig voneinander die Sorte bestätigen, erhält man ein Echtheitszertifikat“, erläutert Egbert das Prozedere. Aktuell ist er mit 23 positiv geprüften Sorten gelistet. Damit diese sich weiterverbreiten, gibt er Reiser davon an Interessierte ab.
Obstbau ist viel Handarbeit
Neue Anregungen in Sachen Pomologie liefern auch immer die Gespräche mit den Menschen, die ihm ab September ihre Äpfel zum Saften bringen. Für diesen Zweck hat sich der Lengericher eine mobile Mosterei angeschafft. Allein aus seinen eigenen Äpfeln – die von den Pachtflächen mitgerechnet – hat er 2022 rund 2000 l sortenreine Säfte gewonnen. Der Verkauf erfolgt vor allem über das Café sowie den Handorfer Obsthof in Münster.
„Durch die Saftherstellung erhält das heimische Streuobst einen Wert. Das hilft, es als Kulturgut zu bewahren“, freut sich Egbert. Denn rein wirtschaftlich betrachtet seien Streuobstkulturen leider völlig unattraktiv, wie er betont.
Schließlich erfordert der Obstanbau viel Handarbeit: Das betrifft vor allem den regelmäßigen Baumschnitt und die Ernte, zu der Egbert jedes Mal Familie und Freunde zusammentrommelt. „Die Personalkosten darf man gar nicht rechnen“, stellt er klar. Zudem fährt er einmal im Jahr mit Traktor und Mulcher durch die Reihen. Damit die Bäume nicht hungern, verteilt er bei Bedarf Rindermist unter den Kronen.
Trotz des Aufwands möchte Harald Egbert seine Apfelbaum-Sammlung nicht missen. „Jeder sollte etwas für die Gesellschaft tun. Mein kleiner Beitrag ist es, alte Apfelsorten für kommende Generationen zu erhalten.“
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