Schaukelstuhl, Sitzkissen und Teppich grenzen an eher unbequeme Kuben aus Holz und Stehplätze – Gemütlichkeit wechselt auf Aktivität. Eichenbalken unterteilen die einzelnen Bereiche. Die Sonne durchflutet den 11 m hohen Raum. In der Mitte steht ein langer Tisch.
Es ist kaum vorzustellen, dass vor drei Jahren hier noch Gerümpel lagerte und ein Rasenmäher vereinsamte. Janina Fischer und Mark Schrinner haben die ehemalige Scheune in einen großen Seminarraum verwandelt oder, wie sie es nennen, in die Kiek Seminarscheune.
Komm rein, kiek raus
Die damalige Scheune – zusammen mit dem Heuboden 180 m² groß – liegt gemeinsam mit dem benachbarten Wohnhaus in der Kiekerei, einem Außenbereich von Wülfer-Bexten, einem Ortsteil des lippischen Bad Salzuflen. Vermutlich leitet sich der Begriff vom Plattdeutschen „kieken“ für „gucken“ ab. Und schauen sollen die Seminarteilnehmenden in und aus der Kiek Scheune.
„In anderen Seminarräumen blicken die Teilnehmenden direkt auf graue Wände. Bei uns auf eine Streuobstwiese“, sagt Janina Fischer. Die Politikwissenschaftlerin arbeitet bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und kennt die Eintönigkeit von Seminarräumen. Dem möchte sie gemeinsam mit ihrem Partner Mark Schrinner Abwechslung und Platz entgegensetzen und so den Fluss von Ideen auf die Sprünge helfen. Die weißen Wände lassen sich beschriften, auf ihnen haften Magnete. Flipcharts sucht man vergeblich. „Sie stehen sowieso immer nur im Weg“, meint die 36-Jährige.
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Zunächst das Haus
„Wir verbinden mit der Scheune Alt und Neu“, betont Mark Schrinner. Er arbeitet als Architekt beim Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW. Hier kann er sich abseits der Behörde austoben. Haus und Scheune hat der 37-Jährige von seinem Vater übernommen. Selbst hat er dort nur bis zu seinem vierten Lebensjahr gewohnt, zog dann mit seiner Mutter nach Bielefeld. Mit Ende 20 kehrte er aber immer wieder zu der ehemaligen Kleinbauernstelle zurück, die im Jahr 1908 errichtet wurde.
Nach einem Schlaganfall musste sein Vater das Haus verlassen. „Mit jeder Fahrt ist mir mehr klar geworden, wie schön es hier ist. Es wäre dusselig, wenn ich es nicht nutze“, erinnert er sich. Zunächst sanierte er das Wohnhaus bis auf den Kern. Über die Jahrzehnte war es sehr verbaut. Der Architekt nahm Wände raus und öffnete die große Diele wieder. Von innen dämmte er die Wände und legte die Balken bis zum Dachgeschoss frei. 2015 zog er ein.
Aus dem Schlaf geweckt
Nebenan schlummerte die Scheune weiterhin im Dornröschenschlaf. „Es ist ein Privileg, so viel Platz zu haben. Daraus mussten wir etwas machen“, sagt Janina Fischer. Für eine weitere Wohnung hätten sie aber keine Genehmigung bekommen. Zunächst planten sie ein Coworking-Space – einen Ort, an denen Menschen verschiedener Berufe sich eine Arbeitsstätte teilen. „Der Raum ist riesig, hat aber kaum abgeschlossene Bereiche“, erklärt Mark Schrinner die Entscheidung dagegen.
Beinahe scheiterte der Umbau: Die Stadt lehnte den Antrag ab. Das Paar legte Einspruch ein. Mit Erfolg. Sie konnten alte Dokumente vorlegen, die bewiesen, dass die Gebäude für eine landwirtschaftliche Nutzung errichtet wurden. Die Landwirtschaft lief zwar in den 1980er-Jahren mit Mark Schrinners Großeltern aus. Dennoch stand so der gewerblichen Nutzung im Außenbereich nichts mehr im Weg. „Der Wunsch, die Scheune wieder zu beleben, war so stark. Dafür wollten wir kämpfen“, erinnert sich der Bauherr. Dabei kamen ihnen auch seine Erfahrungen als Architekt zugute.
Raum für Seminare
Parallel reifte der Gedanke für eine Seminarscheune. „Berufsbedingt sind wir beide oft in Seminarräumen. Sie sind alle funktional, haben alle die gleichen Tische und Stühle, fördern aber nicht die Kreativität“, beschreibt Janina Fischer und sagt: „Wir wollten einen Ort schaffen, an dem man sich wohlfühlt.“ Selbst Corona konnte die Idee nicht ausbremsen. „Wir waren uns sicher, dass Menschen nach der Pandemie wieder Orte brauchen, um sich zu treffen“, sagt sie.
Anfang 2020 legten sie los. Während das Dach der Scheune schon bei der Renovierung des Hauses neue Pfannen bekam, gelangte das Paar noch vor Ausbruch der Pandemie günstig an neue Dachfenster aus Holz. „So bekamen wir erstmals richtig Licht in den Raum“, berichtet Mark Schrinner.
Vieles übernahmen sie in Eigenarbeit. Sie stemmten Durchbrüche und dichteten den Untergrund ab. „Damit keine Feuchtigkeit hochkommt“, erklärt der Architekt. Sie verlegten Estrich und schliffen ihn. Auf einen extra Bodenbelag verzichteten sie – eine rohe und rustikale Note sollte bleiben.
Eine Fußbodenheizung bringt Wärme in die Scheune. Die Energie stammt aus der Erdwärmepumpe im Haus. Die hatte Mark Schrinner damals schon etwas größer dimensioniert. Für Strom sorgt eine PV-Anlage auf dem Dach. Energetisch sind sie fast autark.
Den roten Klinker wollten sie erhalten und dämmten das Mauerwerk von innen. Parallel ließen sie in der Dämmung die Elektronik verlegen. „Vorher gab es eine Steckdose“, sagt der Bauherr. Heute verfügt der Raum über Lautsprecheranlage und Beamer – alles vorhanden, aber relativ unscheinbar. Auch das Dach dämmten sie. Dabei entschieden sie sich für Holzwolleplatten in Leichtbauweise und ließen sie bewusst unverputzt.
Treppe als Störer
Wer die Stufen nach oben geht, gelangt auf den ehemaligen Heuboden. Früher erreichte man ihn nur über eine Leiter, heute hingegen über eine dunkle Treppe aus skandinavischer Seekiefer – ein Wunsch des Architekten Mark Schrinner. „Auch wenn uns der Tischler damals davon abriet, wollte ich ein modernes Element, das ausbricht und in der Form klar ist und außerdem in seiner Farbe einen Kontrast setzt“, beschreibt er.
Generell spielt die Haptik eine große Rolle. „Gäste können hier alles anfassen. Die Dinge erzählen eine Geschichte“, sagt der 37-Jährige und berührt die großen Balken aus Eiche. Sie sorgen seit dem Bau der Scheune für Stabilität, die Farbschichten der Jahre haben sie aber per Sandstrahl abtragen lassen. So haben sie eine neue Struktur bekommen.
Auf dem Heuboden befindet sich die Teeküche. Hier ist es etwas schummriger als unten, aber durchaus gemütlich. Neben einem langen Tisch steht die zur Bank umfunktionierte Leiter. Auf einer lila Schaukel sinniert Janina Fischer über weitere Ideen. Gerne möchte sie in der Kiek Scheune auch Lesungen veranstalten oder Yoga-Kurse auf der Streuobstwiese ermöglichen. Außerdem wartet noch die Altenteiler-Wohnung nebenan darauf, mit Leben gefüllt zu werden. Man darf gespannt sein, mit welcher Idee.
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