Die Geschwister von Elfriede Hagedorn hatten Bedenken. „Mach doch mal etwas Leichteres“, war die Reaktion, als sie vom neuen Engagement ihrer 68-jährigen Schwester hörten. Die aber war von der Begeisterung angesteckt, mit der Ehrenamtliche von ihrem Einsatz auf dem Wünschewagen des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) berichtet hatten. „Das will ich auch“, war ihr Gedanke, als sie gemeinsam mit Freundinnen im März dieses Jahres eine Spende überreichte. Sie hatten zugunsten des Wünschewagens gestrickt, gebastelt und gehäkelt.
Inzwischen hat die Kinderpflegerin im Ruhestand bereits neun Fahrten mit schwerkranken Gästen begeleitet. Ihr gar nicht schwermütiges Zwischenfazit: „Es wird ganz viel erzählt und gelacht.“ Sie berichtet von dem Mann, der auf der Fahrt durch den Heimatort auf einmal wieder viel wacher war. Von dem Landwirt, den seine Kühe auf dem heimischen Hof freudig begrüßten, und einer Frau, die mit ihrem Mann noch einmal in die Basilika nach Werl wollte.
85 % möchten ans Meer
Seit fünf Jahren gibt es den „Wünschewagen Westfalen“. Mit ihm erfüllen Ehrenamtliche schwerkranken oder hochbetagten Menschen sehnliche Wünsche. „In 85 % der Fälle geht es ans Meer, meistens an den Urlaubsort, mit dem viele schöne Erinnerungen verbunden sind“, erzählt Birgit Bäumer-Borgmann. Von der Zentrale des ASB-Regionalverbandes Münsterland in einem Gewerbegebiet in Münster koordiniert die gelernte Kinderkrankenschwester mit Palliativausbildung die Einsätze. Sie beantwortet gemeinsam mit einer Kollegin Anfragen, sucht einen Termin und stellt die Teams zusammen.
Manches geht sehr schnell. „Eine Fahrt nach Hause haben wir schon mal in 36 Stunden organisiert.“ Anderes dauert länger. Dann besorgen sie zum Beispiel Tickets für Konzerte und Bundesligaspiele, Parkplätze am Meer und ein Restaurant in der Nähe. Meistens liegen dann zwei Wochen zwischen erstem Anruf und der Tour. Der älteste Gast war eine 102 Jahre alte Dame, die mit einer einstigen Mitschülerin noch einmal zum Ziel einer Klassenfahrt wollte. Der jüngste Gast war ein drei Monate altes Baby, das die Eltern wenigstens einmal nach Hause holen wollten.
Ohne Überraschungen
Meistens melden sich Angehörige oder Freunde. Wird es konkret, sind die Gäste immer eingebunden. „Überraschungsfahrten machen wir nicht“, sagt Birgit Bäumer-Borgmann. Gerade die Vorfreude gibt vielen Kraft. In die Planung geht etwa ein Drittel der bisher knapp 1000 Anfragen. Manchmal möchten die Menschen nicht oder sind schon zu krank. Manchmal sind die Wünsche auch utopisch. „Der Wagen kann nun mal nicht fliegen“, betont die Koordinatorin. Aber bis nach Dänemark, nach Holland oder in die Alpen schafft er es. In Ausnahmefällen ist auch eine Übernachtung möglich.
Der Wünschewagen ist eigentlich ein Krankenwagen und entsprechend mit sämtlichen Gerätschaften ausgestattet – vom Sauerstoffgerät bis zum Defibrillator. Das alles ist hinter Klappen gut verborgen. Präsenter sind die Dinge, die es für eine entspannte Atmosphäre braucht. Die Musikanlage zum Beispiel. „Bei uns darf man alles, auch die Dose Bier auf dem Weg ins Stadion“, erklärt Birgit Bäumer-Borgmann. „Selbst ACDC bis zum Anschlag hatten wir schon.“
Rund 100 Ehrenamtliche sind zurzeit aktiv. Sie verteilen sich auf drei Gruppen: Ärzte und Rettungskräfte, Menschen aus anderen medizinischen Fachbereichen und weitere Ehrenamtliche wie Elfriede Hagedorn. Aus jeder Gruppe ist bei den Wunschfahrten jemand dabei.
Geschulte Ehrenamtliche
Alle Ehrenamtlichen durchlaufen regelmäßig Schulungen. Sie lernen, was in Notfällen oder bei Pannen zu tun ist und worauf es bei der Kommunikation mit den Gästen ankommt.
Für die Touren geht es oft früh los. Häufig treffen sich die „Wunscherfüller“ schon morgens um 6 Uhr in der ASB-Zentrale in Münster. Dann schlüpfen sie in ihre Dienstkleidung, checken den 6,22 m langen Wagen und machen sich auf den Weg. Meistens holen sie ihre Gäste in einer Klinik oder einem Hospiz ab. Eine Begleitperson darf im Wünschewagen mitfahren. Häufig kommen weitere Angehörige und Freunde zum Zielort.
Rund 250 000 € kostet der Betrieb des Wünschewagens Westfalen pro Jahr. Er ist komplett spendenfinanziert. Auch einige weitere Hilfsorganisationen engagieren sich in dem Bereich (siehe Kasten).
Elfriede Hagedorn sitzt mittlerweile häufig am Steuer des Wünschewagens. Im Team ist sie als Garantin für gute Stimmung bekannt. Und ihre Geschwister? Die sind inzwischen begeistert von ihrem Einsatz. Kürzlich steuerte sie den Wagen Richtung Nordsee. Die Schwester aus Wallenhorst grüßte von der Autobahnbrücke.
www.asb-muensterland.de/angebote/wuenschewagen
Auch Malteser und Johanniter fahren
Der Arbeiter-Samariter-Bund unterhält bundesweit 24 Wünschewagen, davon vier in NRW. Auch andere Hilfsorganisationen erfüllen – ebenfalls spendenfinanziert – schwerstkranken Menschen mit ganz ähnlichen Konzepten letzte Wünsche.
- Die Malteser sind mit ihren „Herzenswunsch-Krankenwagen“ unterwegs, koordiniert jeweils über eine Anlaufstelle auf Bistumsebene. Der passende regionale Kontakt ist über diese Internetseite zu finden.
- Die Johanniter nennen ihr Angebot im Rheinland „Wunsch-Ambulanz“. Kontakt: per E-Mail an Wunsch-Ambulanz@johanniter-gmbh.de oder über diese Internetseite.
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