Ältere Menschen sind oft glücklicher und zufriedener als jüngere. Und das, obwohl sie durch das Alter, chronische Krankheiten und Schicksalsschläge häufig zunehmend eingeschränkt sind. Was sich zunächst paradox anhört, beobachtet der Allgemeinmediziner und Forscher Professor Dr. med. Tobias Esch seit vielen Jahren. Studien bestätigen seine Beobachtung. So belegt eine groß angelegte Untersuchung an 200 000 Frauen: Wenn Menschen älter werden, sinkt zwar ihre körperliche Lebensqualität, die seelische aber nimmt zu. „Der Kreuzungspunkt liegt zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr“, erklärt Esch, der von der U-Kurve des Glücks spricht.
Das Glück verändert sich
Doch warum ist das so? Und was können andere von den eher glücklichen und zufriedenen Menschen lernen? Diese Frage faszinierte den Neurowissenschaftler, der unter anderem in New York in der Glücksforschung tätig war. Er machte sich auf die Suche nach einer Erklärung. Seine Erfahrungen und Ergebnisse schilderte der Arzt und Autor, der heute an der Uni Witten/Herdecke einen Lehrstuhl innehat, in einem kurzweiligen Vortrag mitsamt Lesung vor rund 200 Landfrauen aus Altenberge, Laer und Nordwalde im Kreis Steinfurt.
Die Motive, die zum Glück führen, ändern sich im Laufe des Lebens, bedingt etwa durch Botenstoffe im Gehirn, erklärt der Forscher.
- In der Jugend: In jüngeren Jahren ist es eher das ekstatische, lustbetonte Glück, das Vergnügen und die Vorfreude. Dies wird meist getriggert von äußeren Ereignissen, etwa dem Verliebtsein oder abenteuerlichen Projekten. Solche eher kurzen Glücksmomente werden im Laufe des Lebens seltener.
- In der Mitte des Lebens: In dieser Phase, in der das Leben oft hart ist, empfinden wir Glück eher in Form von Erleichterung, wenn der Druck des Lebens – auch als Rushhour oder „Tal der Tränen“ bezeichnet – eine Pause einlegt und wir für einen Moment zur Ruhe kommen.
- In der zweiten Lebenshälfte: Hier schließlich stellt sich zunehmend ein Gefühl von innerer Zufriedenheit und Glückseligkeit ein – wenn man sich nicht mehr zwingend etwas erkämpfen muss. Glück ist in dieser Phase etwa das Gefühl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Dieses Glück nimmt im Lauf des Lebens statistisch zu und ist tendenziell dauerhafter.
Esch stellt fest, dass Glück und Zufriedenheit im Laufe des Lebens häufig zunehmen oder zumindest stabil bleiben, selbst wenn Faktoren wie das Älterwerden oder Krankheit dagegen sprechen. Das zeigt: Die Gesundheit allein kann nicht der Treiber für die Zufriedenheit sein. Die körperliche, mentale und soziale Gesundheit lässt sich objektiv messen und bewerten. Neben diesen drei Dimensionen der Gesundheit aber muss etwas anderes, subjektives hinzukommen. Der Mediziner nennt dies die „vierte Dimension der Gesundheit“. Er umschreibt es als die Dimension der Bedeutsamkeit, der Verbundenheit.
Dankbar und verbunden
Für Zufriedenheit sorgt neben einem gesunden Lebensstil, etwa mit ausgewogener Ernährung, ausreichend Bewegung, Schlaf, Genuss und Achtsamkeit, vor allem die Frage der eigenen Haltung und Perspektive. So sind zufriedene Menschen oft dankbar, sie geben gerne, ohne direkt eine Gegenleistung zu erwarten, und sie können Dinge, die ihre Zeit hatten, loslassen.
Daneben ist es das Gefühl von Verbundenheit, was zufrieden macht. Menschen, die besonders glücklich sind, finden in der Regel einen Sinn im Leben. „Es ist das Gefühl verbunden zu sein – mit der Welt, mit den Menschen um sie herum, dem Boden, auf dem sie stehen, ihrer Heimat und einem Ort, an dem sie geliebt werden, aber auch mit etwas Höherem oder einer Spiritualität“, beschreibt der Arzt. Es geht um Verwurzelung, darum ob ich mich am richtigen Ort fühle.
Heute sei sehr gut belegt, dass die Ebene der Verbundenheit essenziell für die Gesundheit ist. „Wenn ein Mensch das Gefühl hat, verbunden zu sein, schützt ihn das in schwierigen Zeiten“, weiß der Experte. Menschen, die so „bezogen auf etwas“ leben, seien oft weniger krank und lebten deutlich länger und besser. Glückliche Menschen lebten statistisch gesehen sogar 15 bis 20 Jahre länger, wobei allerdings noch weitere Faktoren eine Rolle spielten.
Wofür stehe ich morgens auf?
Wo fühle ich selbst mich zu Hause und verbunden? Was gibt meinem Leben eine tiefere Bedeutung? Kurzum: „Wofür stehen Sie morgens auf?“, fragte der Referent sein Publikum in Altenberge. Die vielfältigen Antworten der Landfrauen: für die Familie – Mann, Kinder und Hund, für die ersten Sonnenstrahlen, für die Arbeit, die für Struktur, Kollegen, Freude, Anerkennung, Sinn und finanzielle Sicherheit stehe, für die Liebe, die Gesundheit, die politische Stabilität. All dieses vermittele am Ende Sinn und Zufriedenheit, machte der Fachmann deutlich. Diese Dinge gilt es zu stärken, sie sich besonders vorzunehmen und gut ins Leben zu integrieren.
„Wenn wir selbst das Wissen in uns haben, was uns zufrieden und glücklich macht, haben wir es auch ein Stück weit selbst in der Hand. Das sollten wir uns nicht nehmen lassen“, so der Appell des Allgemeinmediziners.
Er betont: „Glück kann man trainieren. Wir haben einen Einfluss darauf. Nur etwa 30 % unserer Lebenszufriedenheit liegt in unseren Genen verankert. Der größte Anteil, etwa 70 %, dagegen sind gestaltbar.“
BUCHTIPP: "Wofür stehen Sie morgens auf?" – von Prof. Dr. med. Tobias Esch. In seinem Bestseller erläutert Esch, warum Sinn und Bedeutung im Leben entscheidend für unsere Gesundheit sind. Der Arzt beschreibt, aus welchen drei Bereichen sich die Gesundheit im heutigen Medizinbetrieb zusammensetzt. Dem fügt er eine vierte Dimension hinzu, die der heutigen Medizin fehle, um nachhaltig für Gesundheit zu sorgen. Wie wichtig Sinn und Verbundenheit im Leben sind, veranschaulicht er anhand von Erlebnissen mit Patienten, die zu neuer Lebensqualität gefunden haben – wie Bauer Henningsen, einem Patienten aus seiner Zeit als Hausarzt im münsterländischen Ochtrup. Das 239 Seiten starke Hardcoverbuch aus dem Gräfe und Unzer Verlag kostet 24 €. ISBN 978-3-8338-8761-1.
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