Ob im Kunstrasen oder im Reitboden: Mikroplastik ist im Ball- und Reitsport allgegenwärtig. Doch während der Einsatz von Mikroplastik im Kunstrasen – und auch in anderen Produkten – voraussichtlich von 2029 an EU-weit verboten sein wird, gibt es für Mikroplastik, das aus den Textilfasern im Reitboden entsteht, bisher kein Reglement. Denn dabei handelt es sich um sogenanntes sekundäres Mikroplastik, das erst durch die Nutzung zu Mikroplastik wird.
Es gibt mittlerweile Zertifikate und Bescheinigungen für Reitböden, die zeigen sollen, dass enthaltene Kunststoffe für die Gesundheit von Mensch und Tier unbedenklich sind oder keinen Feinstaub erzeugen. Aber die Umweltsünde bleibt: Das entstehende Mikroplastik hat negative Auswirkungen auf Bodenlebewesen. Deren Verdauungssystem wird durch die aufgenommenen Kleinstpartikel empfindlich gestört. Das bestätigen die Ergebnisse aktuell laufender Studien, die bei einer Fachtagung des Umweltministeriums Baden-Württemberg zum Thema „Mikroplastik im Sport“ im vergangenen Jahr vorgestellt wurden.
Geschätzte 60 % aller Reitplätze enthalten Synthetik: Als Zuschlagstoffe im Sand werden Vlieshäcksel in Mengen von 1 bis 5 kg/m2 eingesetzt. „Reitplätze haben ein Plastikproblem“, befand Jürgen Bertling vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik. „Und diesem gilt es sich anzunehmen.“
Eine Untersuchung aus dem Jahr 2018 ergab, dass über Reitplätze 100 t Mikroplastik pro Jahr in die Umwelt gelangen. Vertreter der Sportverbände und Wissenschaftler bekannten einmütig, dass der Sport eine Vorbildfunktion in puncto Umweltschutz habe – der Reitsport als Natursport umso mehr. Und so wurde bei der Veranstaltung nach Lösungen gesucht, wie Reitvereine und Pferdebetriebe Hallen- und Reitplatzböden umweltverträglicher und nachhaltiger gestalten können.
Doch keine geniale Lösung
Reitböden müssen vielen unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden. Sie sollen trittsicher, elastisch, stabil und langlebig sein – und dabei möglichst pflegeleicht. „Mit synthetischen Zuschlagstoffen hoffte man, das Ei des Kolumbus gefunden zu haben“, erklärte Cornelia Dreyer-Rendelsmann, von der IHK Köln öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Reitplatzbau. Die Zuschlagstoffe zwischen den Sandkörnern gewähren eine erhöhte Trittfestigkeit. Dabei sind die Böden länger haltbar als Mischungen mit organischen Stoffen wie Holzhackschnitzeln.
Das Problem dabei: Auch synthetische Zuschlagstoffe werden zerrieben, genau wie die organischen. Nach und nach zerstören die Pferdehufe die Struktur der Textilfasern, zerkleinern sie. Das entstandene Mikroplastik wird mit dem Wind, mit den Pferdehufen oder den Reiterschuhen verbreitet, gerät mit dem Wasser ins Erdreich, ins Grundwasser und in Oberflächengewässer. Aber auch die unversehrten Vliesschnipsel bilden als Makroplastik ein Problem: Sie landen mit den Pferdeäpfeln auf dem Mist, mit dem Bahnplaner in der Umgebung oder auf einer landwirtschaftlichen Fläche nebenan.
An die Entsorgung denken
Diese Problematik wurde recht spät erkannt, so Dreyer-Rendelsmann. Viele Reitplätze seien ohne Genehmigung gebaut worden, da sie ursprünglich Naturböden waren, auf denen irgendwann eine Tretschicht aufgebracht und ab und zu erneuert wurde. „Davon erfährt keine Behörde“, so die Expertin. Zudem gingen Baubehörden wenig kompetent und uneinheitlich mit dem Thema um, und kaum ein Richter fasse das Problem gerne an. So werde sich insgesamt sehr uneinheitlich an Gesetze, Genehmigungen, regionale Erlasse und Empfehlungen von Dachverbänden gehalten.
Die Reiter indes mögen die Zuschlagstoffe, weil sich gut darauf reiten lässt. Deswegen verwenden sie viele Reitstallbesitzer und Reitvereine gerne. Denn diese müssen einen Boden zur Verfügung stellen, der den Ansprüchen der Einsteller bzw. der Mitglieder gerecht wird.
Beim Bau vertrauen Reitplatzbetreiber häufig auf Bauunternehmen und Anbieter von Reitböden, die funktionierende Böden effizient und mit einer hohen Verdienstspanne herstellen wollen. Aber, so betonte die Sachverständige: Zuschlagstoffe seien nicht unbedingt nötig, wenn ein sehr guter Sand verwendet werde. Und synthetische Zuschlagstoffe seien häufig teurer als natürliche – von der teuren Entsorgung eines solchen Gemischs aus Sand und Kunststoff einmal ganz abgesehen. Dreyer-Rendelsmann beziffert die Kosten für die Entsorgung einer Tretschicht mit Kunststoff-Bestandteilen auf etwa 54 000 €.
Per Gesetz gilt ein Sand-Textil-Gemisch nämlich als Sondermüll, während ein Reitboden aus natürlichen Materialien teilweise sogar als Dünger bzw. Bodenverbesserer verwendet werden kann. Die teure Entsorgung ist ein Posten, der derzeit auf viele Platzbetreiber zukommt. Denn die ersten Reitplätze, die mit Textilfasern bestückt wurden, sind jetzt etwa 30 Jahre alt. Darin sind, durch den jahrzehntelangen Zerrieb, feinste synthetische Stoffe, kleiner oder ebenso groß wie Sandkörner, und diese lassen sich auch durch Sieben nicht vom Sand trennen.
Lassen sich Stoffe trennen?
Die Verantwortung für die Entsorgung liegt beim Abfallerzeuger, also dem Reitplatzbetreiber oder dem ausführenden Bauunternehmen, wie die Juristische Referentin im Umweltministerium Baden-Württemberg, Andrea Hellwig, erläuterte. Der Abfallerzeuger muss die einzelnen Bestandteile genau kennen und bei der Entsorgung angeben. Tatsachen, auf die die Hersteller von Zuschlagstoffen nicht ausreichend hinweisen, wie Prof. Dr. Olaf Hemker von der Hochschule Osnabrück beklagte. Er betrachtete in seinen Untersuchungen auch die beigefügten Produktunterlagen von Herstellern und stellte fest, dass die meisten keine Empfehlung zur Entsorgung geben oder aber angeben, das Produkt könne auf eine Deponie oder zu einer Verbrennungsanlage verbracht werden – ungeachtet der Tatsache, dass das Produkt nach jahrelanger Nutzung nicht mehr sortenrein vom ihn umgebenden Sand zu trennen ist.
Dieses Problem zu lösen, auch daran wird gearbeitet. Zum Beispiel von Kay Dietze vom Institut für Polymer- und Produktionstechnologien (ipt). Er möchte ein Verfahren zur industriellen Aufbereitung von Reitböden entwickeln und baute dazu bereits eine Pilotanlage auf, die mit verschiedenen Sand-Zuschlagstoff-Gemischen getestet wird. Auch Rainer Stuckenberg von der Reitsand GmbH & Co. KG entwickelte ein Verfahren zum Recyceln umweltbelastender, verbrauchter Reitböden, das große Mengen Kunststoffe von wiederverwertbaren Sanden trennen soll. Die Idee: Die Kunststoffe können der Müllverbrennung zugeführt werden, der Sand kann gemeinsam mit neuem Sand und eventuell neuen Zuschlagstoffen wieder verbaut werden, ohne dass Reiteigenschaften verloren gehen. Der Restschlamm wird abgefiltert.
Die wieder eingebaute Tretschicht enthält allerdings geringe Reste von synthetischen Stoffen. Die Anlage kommt auf den Hof und soll einen Standard-Reitplatz von 20 x 40 m in einem Tag durchsieben, so Stuckenberg. Preislich soll das Verfahren samt Wiedereinbau bei den Kosten für die Neuanlage eines Reitbodens liegen. Aber auch der Ausbau ohne Neueinbau ist möglich. Das Verfahren soll dieses Jahr im Feldversuch getestet werden.
Nach Alternativen suchen
Mit dem heutigen Wissensstand scheint es nicht mehr vertretbar, Kunststoffe als Zuschlagstoffe im Reitsand einzusetzen. Das zeigten die vielen Untersuchungen, die bei der Tagung vorgestellt wurden. Wer kann, sollte also unbedingt auf Textilfasern verzichten. Aber welche Reitböden kann man stattdessen verbauen? Eine Option könnten hochwertige Reitsande sein, die ganz ohne Zuschlagstoffe auskommen, wenn sie entsprechend gepflegt werden. Alternative Zuschlagstoffe, zum Beispiel aus Jute, Kork, Schafwolle oder Kokos, gibt es bereits. Sie haben sich aber noch nicht durchgesetzt – auch, weil die Datenlage und die Erfahrungswerte noch zu gering sind. Auch Hackschnitzel als Zuschlagstoffe sind bisher nach den Vlieshäckseln nur zweite Wahl, da sie den Ruf haben, schneller zu verfallen. Manche Anbieter und Nutzer schwören auf reine Hackschnitzel-Tretschichten als rein organische und kompostierbare Lösung. Sie können aber nur im Bereich der Freizeitreiterei eine Alternative sein.
Derzeit fällt es schwer, zu bewerten, welche Materialien den Textilfasern das Wasser reichen könnten. Wer jetzt schon einen Synthetik-Reitboden hat, kann zumindest etwas die Umweltbelastung verringern, indem eine Reitplatz-Umrandung angebracht und die Tretschicht feucht gehalten wird sowie indem ausgetragene Kunststoffmaterialien eingesammelt werden.
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