Kraftwerke stehen dort, wo Industrie und Großstädte Strom verbrauchen? Das war einmal! Gas- und Kohlekraftwerke sind durch die Energiewende zu Auslaufmodellen geworden. Sie werden von Erneuerbaren Energien abgelöst. Deutschlands Megakraftwerke stehen künftig an und in der Nordsee. Offshore-Windkraftanlagen werden eine entscheidende Rolle bei der Energiesicherheit übernehmen.
Gesetzliches Ziel ist es, bis 2045 Offshore-Windparks mit insgesamt 70 Gigawatt an das Übertragungsnetz anzuschließen – die Energiemenge von mehr als 50 großen Kohlekraftwerken. Das bringt ein Problem: Wie kommen die riesigen Energiemengen von der Küste zu den Verbrauchszentren an Rhein, Main, Ruhr und Isar?
Strom auf schneller Spur
Eine entscheidende Rolle übernehmen dabei Stromautobahnen, so der Wille der Bundesregierung. Das Prinzip: An der Nordsee wird Wechselstrom mithilfe eines Konverters in Gleichstrom umgewandelt. Leitungen zur Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) ermöglichen es, Spannungen von bis zu 1 Megavolt (MV) und Leistungen von mehreren Tausend Megawatt (MW) zu übertragen. Bei den deutschen Projekten werden 525 kV übertragen. Der Strom fließt ohne Abzweig in die Verbrauchsregion. Dort wird er in einem Konverter umgewandelt und ins Wechselstromnetz eingespeist.
Bislang wurde Strom über Hochspannungs-Freileitungen an Masten quer durchs Land transportiert. Für die großen HGÜ-Stromautobahnen hat der Gesetzgeber den Vorrang der Erdverkabelung festgelegt. Dementsprechend sieht auch der Netzentwicklungsplan für das Höchstspannungsnetz Erdkabel vor.
Erdkabel sind rund fünfmal teurer als Überlandleitungen an Strommasten. Doch können mit HGÜ-Leitungen große Strommengen über weite Entfernungen transportiert werden – und das bei deutlich geringeren Übertragungsverlusten, als das bei Wechselstromleitungen der Fall ist.
Für die Landwirtschaft hat das weitreichende Folgen. Denn die Leitungen werden nicht durch die Städte, sondern größtenteils über Land führen.
Trassen von Nord nach Süd
Tausende von Trassenkilometern werden in den nächsten rund zehn Jahren gebaut werden, zum Teil als Freileitung, zum Teil als Erdkabel. Das Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) listet 99 Vorhaben auf, quer durch die die Bundesrepublik, die meisten davon in Nord-Süd-Richtung. Davon werden 20 Vorhaben als HGÜ-Erdkabelleitung ausgeführt. Hinzu kommen weitere 24 Trassen, die im Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) festgeschrieben sind.
Da das Ruhrgebiet und das Rhein-Main-Gebiet als große Energieverbraucher auch nach dem Kohleausstieg versorgt werden müssen, führen gleich vier Kanal-Trassen durch Westfalen und angrenzende Regionen:
Korridor A: Der Abschnitt A-Nord führt von Emden nach Meerbusch-Osterath. Danach übernimmt das Ultranet den Energietransport bis Baden-Württemberg.
Korridor B besteht aus den beiden Trassen 48 (Heide/West – Polsum) und 49 (Wilhelmshaven – Hamm). Beide laufen zwischen Cloppenburg und Steinfurt in einer gemeinsamen Stammstrecke.
Windader West leitet Gleichstrom von Offshore-Windparks in der Nordsee nach NRW.
Rhein-Main-Link bündelt vier Vorhaben zu einem Energiekorridor von Schleswig-Holstein nach Hessen. Die Trasse führt durch Ostwestfalen.
Wo geht’s lang?
Bislang gibt es für die meisten Trassen nur einen groben Streckenverlauf. Verantwortlich für die Streckenplanung und -ausführung sind bundesweit die vier Übertragungsnetzbetreiber Amprion, Teenet, Transnet BW und 50Hertz. In NRW führt Amprion die Projekte durch.
Wenn das Erdkabel durch mehrere Bundesländer führt, sind nicht die Landesbehörden für die Genehmigung des Trassenverlaufs zuständig, sondern die Bundesnetzagentur.
Als „Magnet“ für die Streckenführung gilt die kürzeste Verbindung zwischen Ziel- und Startpunkt. Doch bilden Schutzgebiete für Natur, Landschaft oder Vögel, Städte, Siedlungen und Wälder „Raumwiderstände“, die von den Planern gemieden werden.
So läuft das Genehmigungsverfahren
Die erste Stufe des Genehmigungsverfahrens ist die Bundesfachplanung. Der Übertragungsnetzbetreiber legt verschiedene Trassenkorridore fest, wo die Leitung und die Baumaßnahmen am wenigsten die Belange der Öffentlichkeit stören. Dabei sind die Korridore jeweils etwa 1000 m breit. Die federführende Bundesnetzagentur wählt aus den verschiedenen Varianten einen Korridor aus.
Als zweite Stufe folgt das Planfeststellungsverfahren, in dem die Verantwortlichen in die Region gehen und sich die konkreten Bedingungen vor Ort anschauen. Die Topografie wird durch Überfliegung festgestellt. Gewässerprofile werden aufgenommen, Baugrund mit Bohrgeräten untersucht. Die betroffenen Flächeneigentümer werden vorab informiert, Aufwuchsschäden werden entschädigt.
Als Ergebnis wird der konkrete Trassenverlauf innerhalb des 1000-m-Korridors festgezurrt und im Planfeststellungsbeschluss amtlich besiegelt.
Gräben quer durch die Republik
Das besondere an den Stromautobahnen ist die sogenannte „Offene Bauweise“: Die Strom wird durch ein HGÜ-Erdkabel (Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung) unter der Bodenoberfläche geführt. Da die Strecken mehrere Hundert Kilometer lang sind, müssen Landwirte und Flächeneigentümer in den betroffenen Regionen sich auf massive Tiefbauarbeiten einstellen. Auch Wirtschaftswege sollen in offener Bauweise gequert werden. Für Bahnlinien, größere Straßen, Flüsse ist die geschlossene Bauweise vorgesehen, bei der das Hindernis untertunnelt wird.
In der Zeichnung sieht man am Beispiel des Korridor B, dass die Gräben 1,80 m tief ausgehoben werden. Auf einer Bettung liegen in 1,60 m Tiefe die Kabel. Der linke Graben ist für die beiden HGÜ-Erdkabel bestimmt. Um den Netzausbau zu beschleunigen, dient der rechte Graben als Reserve für spätere Ausbaustufen. Er beherbergt drei Leerrohre.
In die Gräben werden Schutzrohre eingelegt, anschließend werden sie sofort schichtweise verfüllt. Die 525-kV-Erdkabel werden in Längen von 1000 bis 1300 m angeliefert und später abschnittsweise eingezogen. Die beiden Enden werden jeweils durch eine Muffe verbunden. Bei späteren Reparaturen ist das ein Vorteil, da diese sich auf den betroffenen Abschnitt beschränken.
Bodenschutz wird bei den Tiefbauarbeiten großgeschrieben und ist ein eigener Punkt im Planfeststellungsverfahren. Vor Baubeginn untersuchen unabhängige Fachgutachter den Boden. Durch Bohrungen wird der Zustand des Bodens erkundet. Die Flächeneigentümer werden vorher informiert.
Für zwei Kanäle benötigt man in der Bauphase einen Streifen von 40 m Breite. Dieser umfasst die beiden Kabelgräben, die Baustraßen sowie Fläche zur Lagerung des Bodenaushubs. Im Bereich der Stammstrecke, wo die Trassen 48 und 49 parallel verlaufen, ist aufgrund der beiden zusätzlichen Kanäle ein Arbeitsstreifen von rund 60 m erforderlich.
Während der eine Graben offen ist, wird der Aushub auf dem zweiten Grabenabschnitt gelagert. Die verschiedenen Bodenschichten werden voneinander getrennt entnommen und getrennt entlang der Trasse gelagert. Temporäre Baustraßen entlang der Gräben sollen Bodenverdichtungen verhindern. Drainagen werden nach Abschluss der Bauarbeiten wieder hergestellt. Für einen 30 m breiten Schutzstreifen wird eine Dienstbarkeit zugunsten des Übertragungsnetzbetreibers im Grundbuch eingetragen, sodass dieser Wartungs- und Reparaturarbeiten erledigen kann. Der Schutzstreifen kann landwirtschaftlich genutzt werden, allerdings nicht mit tiefwurzelnden Pflanzen. Bäume sind auf dem Schutzstreifen verboten, ebenso Gebäude.
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