Rot-weiße Warnbaken, Bagger, Umleitungen – gefühlt wird gerade überall im Land neu asphaltiert. Tatsächlich dienen die meisten Baustellen dem Straßenerhalt. Rund 213 Mio. € sind dafür im NRW-Haushalt 2022 eingestellt. Gleichzeitig werden so viele Straßen neu gebaut wie nie, lobte Hendrik Wüst noch als Verkehrsminister das Landesstraßenbauprogramm für 2022 mit einem Budget von 72 Mio. €. Hinzu kommen die Bundesfernstraßen, also Autobahnen und Bundesstraßen. Dafür gibt der Bund in NRW pro Jahr gut 1 Mrd. € aus. Im Jahr 2020 waren es beispielsweise 1,6 Mrd. €.
Hinter den Zahlen stecken jahrzehntelange Planungsphasen mit Trassenfindung, zahlreichen Gutachten und Kostenkalkulationen. Meist stehen sich vehemente Befürworter einer Straße, etwa aus der Wirtschaft, aber auch lärm- und staugeplagte Anwohner von Durchgangsstraßen, und strikte Gegner gegenüber. Kein Zweifel: Überregionale Straßen schaffen wirtschaftlich wichtige Verbindungen. Dafür zerschneiden sie Orte, Landschaften und Lebensräume und verbrauchen knappe Ressourcen.
Klares Nein der Landwirte
In diese Richtung argumentiert beispielsweise Christian Holterkamp, Vorsitzender des landwirtschaftlichen Ortsverbandes Clarholz im Kreis Gütersloh. Seit Jahrzehnten wird in Clarholz eine Ortsumgehung als Teil der sogenannten Ostmünsterlandverbindung zwischen Münster und Rheda-Wiedenbrück diskutiert. Die Stadträte der Anliegerkommunen Münster, Telgte, Warendorf, Beelen und Ostbevern haben sich inzwischen gegen den Ausbau der B 51 und die Ortsumgehungen entlang der B 64 ausgesprochen.
In Herzebrock-Clarholz gibt es so einen Ratsbeschluss derzeit nicht. Widerstände gegen den Straßenausbau der B 64 gibt es aber auch hier. Christian Holterkamp schildert die Sicht der Landwirte: „Die Planungen besagen, dass wir Landwirte die Umgehungsstraße nicht mit unseren Maschinen befahren dürfen. Vielmehr wird zur B 64n noch ein Begleitwegenetz ausgewiesen. Im Klartext bedeutet das: Es wird über die geplante Umgehung hinaus noch mehr Fläche für neue Wirtschaftswege und Brücken benötigt, damit beispielsweise die Landwirte zu ihren Feldern kommen.“
Der Ortsverkehr wird sich nach Ansicht der Kritiker weiterhin auf der schmalen Durchgangsstraße drängen. Dagegen nimmt die Umgehungsstraße mit drei Fahrstreifen Ausmaße ein, die Landwirt Holterkamp für überdimensioniert hält. „Wir als Anwohner und Flächengeber für die Umgehungsstraße, die Begleitwege und die Ausgleichsmaßnahmen haben gar nichts von der neuen Straße. Sie dient vor allem dem überregionalen Verkehr“, zieht Holterkamp ein Fazit.
Der Streit entlang der B 51 und B 64n, der beispielhaft für viele Straßenbauprojekte im Land steht, zieht sich hin. Das erfordert immer wieder neue, teure Gutachten. Aber berücksichtigen sie auch die von der Politik postulierte Verkehrswende und den Klimaschutz? Die Weichen dafür müssen in der Politik gestellt werden.
Straßenbauprojekte einsehen
Kürzlich kündigte der Landesbetrieb Straßenbau NRW via Tageszeitung den streckenweisen vierstreifigen Ausbau des Bundesstraße 54 zwischen Münster und Gronau an. Eine Überraschung ist das nicht. Das Vorhaben steht seit Jahren im Bundesverkehrswegeplan (BVWP). Jeder kann die Onlineversion einsehen. Dort sind die Straßenbauprojekte des Bundes in drei Kategorien eingeteilt: fest disponiert, vordringlicher Bedarf, weiterer Bedarf. Der Bundesverkehrswegeplan wird vom Bundesverkehrsministerium aufgestellt und vom Bundeskabinett beschlossen.
www.bvwp-projekte.de/
Sanierung vor Neubau
Ein Blick nach Düsseldorf. Der erste grüne NRW-Verkehrsminister, Oliver Krischer verkündete nach seinem Amtsantritt im Juli, was auch im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen steht: Die Landesregierung will einen neuen Landesstraßenbedarfsplan aufstellen. Wird künftig mehr, weniger oder anders gebaut als bisher? Auf konkrete Antworten werden die Bürger noch einige Zeit warten müssen.
Bis Anfang 2023 soll ein Landesverkehrsmodell aufgestellt werden, auf den der neue Landesstraßenbedarfsplan aufbaut, teilte das Verkehrsministerium auf unsere Anfrage mit. Laut Koalitionsvertrag seien notwendige Erhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen zu bevorzugen. Was das für strittige Straßenplanungen, etwa die Umgehungsstraßen entlang der B 64 und den Ausbau der B 51 bedeutet, werde nicht in Nordrhein-Westfalen entschieden, so der Ministeriumssprecher sinngemäß. Denn dabei handelt es sich um Projekte, die im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen vordringlich eingestuft sind. Damit bestehe für das Land ein grundsätzlicher Planungsauftrag durch den Bund. Laufende Straßenbauprojekte würden weitergeführt – sofern Ressourcen dafür da sind.
Wie viel Verkehr in Zukunft?
Schauen wir also auf den Bund. Die „Mutter aller Mobilitätspläne“ ist der Bundesverkehrswegeplan (BVWP). Er beschreibt den Investitionsbedarf bei überörtlichen Straßen in Hohheit des Bundes, Schienennetzen und Wasserwegen. Für die geltende Version von 2016 wurden rund 2000 Neu- und Ausbauwünsche der Bundesländer bewertet. Neubauten sind ebenso enthalten wie Sanierungsprojekte.
Nach sechs Jahren soll es nun einen neuen Aufschlag geben. Die Bundesregierung kündigte an, einen Bundesverkehrswege- und Mobilitätsplan 2040 auf den Weg zu bringen. Die dazu notwendige Langfrist-Verkehrsprognose und die daraus resultierende Überprüfung des Planes sollen bis Ende 2023 abgeschlossen sein.
Zähes Ringen
Die Ampelkoalition hat sich außerdem einen „neuen Infrastrukturkonsens bei den Bundesverkehrswegen“ vorgenommen. Dazu soll ein Dialog mit Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbänden gestartet werden, heißt es. Ähnliche Formate gibt es bereits. Sie dienen der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung, die durch das Verwaltungsverfahrensgesetz vorgeschrieben ist. Es fordert, dass der Träger eines Bauprojektes mit überregionaler Wirkung die betroffene Öffentlichkeit frühzeitig detailliert unterrichtet.
Wenn es um neue, überörtliche Straßen geht, werden Dialogformate zum Beispiel von Straßen.NRW durchgeführt. Dabei kommen viele Fragen und Einwendungen auf, die den ursprünglichen Zeitplan oftmals sprengen. Das wird erst recht bei Dialogprozessen auf Bundesebene zu erwarten sein.
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