Tobias Dalhaus geht durchs Ruhrgebiet aus Apfelbäumen. Diese besondere Streuobstwiese liegt neben seinem Hof in Dorsten im Kreis Recklinghausen. Jeder Baum symbolisiert eine der 53 Städte des Regionalverbandes Ruhr. Die Abstände der Bäume orientieren sich an den Abständen der Städte zueinander.
Gepflanzt hat seine Familie die alten Sorten 2010, als das Ruhrgebiet europäische Kulturhauptstadt war. Im vergangenen Jahr haben Tobias und seine Lebensgefährtin Tanja Groher den Ruhrkulturgarten wieder fit gemacht und neue Infoschilder aufgestellt. Mittlerweile nistet in einem Baum ein Steinkauz und wer sich trauen lassen will, hat hier die Möglichkeit.
Hitzeschäden versichern
Seit 2010 hat sich auch Tobias viel zugetraut. Der 33-Jährige ist seit zwei Jahren Assistenz-Professor an der Uni Wageningen in den Niederlanden. Das Fachgebiet, das der Agrarökonomen beackert, ist das Risikomanagement von Hitzeschäden in der Landwirtschaft. Dafür „brennt“ er seit seiner Masterarbeit.
„Im Gegensatz zum Hagel gibt es zur Trockenheit noch keine ausgereiften Versicherungslösungen. Sie stecken noch in den Kinderschuhen“, sagt er. Dabei werden im Zuge des Klimawandels Ernteausfälle durch Dürren in unseren Breiten immer wahrscheinlicher.
Seine Forschung hat ihn über die Schweiz zum Lehrstuhl in Wageningen geführt. Dabei war es nicht sein Ziel, als er mit dem Studium in Bonn begann, später auch mal an der Hochschule zu arbeiten.
Doch es kam anders: Im Rahmen seiner Masterarbeit stieß er auf Daten des Deutschen Wetterdienstes. Diese zum Teil historischen Werte spiegelten unter anderem die Vegetationsperioden mancher Kulturpflanzen wider. Für seine Masterarbeit wertete er diese phänologischen Daten aus.
Eine wissenschaftliche Vertiefung dazu wurde seine Doktorarbeit. Dafür folgte er seinem Doktorvater an die Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich, wo er vier Jahre verbrachte.
Er hält sich selbst aber nicht für einen Überflieger: „Das Studium habe ich normal in Regelstudienzeit absolviert. Und hatte Glück, auf diesen Datenschatz zu stoßen.“ Dabei rät er jedem, nur dann zu promovieren, wenn man von seinem Thema zu 100 % überzeugt ist und Potenzial sieht, neue Erkenntnisse zu gewinnen.
Als Assistenz-Professor hält er in der Vorlesungszeit von März bis Juli Vorlesungen auf Englisch zur Finanzierung von Risiken und zeigt den Studierenden den Umgang mit Betriebs- und Wetterdaten. Im Rest des Jahres betreut er Abschlussarbeiten, kümmert sich um seine Forschung und veröffentlicht Studien. Dazu steht er im Austausch mit anderen Wissenschaftlern aus der ganzen Welt.
Food Valley der Niederlande
Das Universitäts- und Forschungszentrum Wageningen (WUR) liegt 80 km südöstlich von Amsterdam in der Provinz Gelderland. Das WUR gilt als eine der besten landwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen und Hochschulen der Welt, bietet aber auch zahlreiche Studiengänge rund um das Thema Life-Science.
Es herrscht ein enger Austausch mit der Agrarbranche und den staatlichen Forschungsanstalten. Zusammen bilden sie das sogenannte Food Valley. In Wageningen kommen in einer Stadt mit 40 000 Einwohnern Menschen aus der ganzen Welt zusammen – zurzeit sind es etwa 13 000 Studierende. 1918 wurde die heutige Hochschule gegründet.
„In den Niederlanden ist das Studium anspruchsvoller, aber auch unbürokratischer als in Deutschland“, beschreibt er. In der Vorlesungszeit wechseln sich für die Studierenden im engen Takt Vorlesungen, Übungen und Seminare ab. „Zwar herrscht keine Anwesenheitspflicht, doch wer fehlt, verpasst den Anschluss“, sagt der Dozent. Er selbst fährt dann bis zu viermal die Woche nach Wageningen. Eine Fahrt dauert etwa anderthalb Stunden.
Äpfel veredeln
Von der Streuobstwiese schweift der Blick zu einer Raffinerie im benachbarten Gelsenkirchen. Sein Vater hat Tobias den Hof vergangenes Jahr überschrieben.
Sie bewirtschaften 40 ha Land, darunter 5 ha Grünland sowie einen Schweinestall mit 550 Mastplätzen. Einen Hofladen und das Hofcafé habe sie verpachtet. Seit Neuestem halten seine Partnerin – auch sie hat Agrar studiert – und er Weidehähnchen.
„Wir haben eigentlich beide zwei Jobs“, sagt Tobias und ergänzt: „Ich finde es gut, den Kopf in verschiedenen Dingen zu haben.“ Der Hof bildet einen Ausgleich zum Uni-Stress.
Besonders viel Herzblut stecken die beiden in die Streuobstwiese. Auf der 0,75 ha großen Fläche bieten sie Apfelbaumschnittkurse mit der Biologischen Station an und für Kinder Touren rund um das Thema Streuobst. „In Zukunft wollen wir stärker auf Umweltbildung setzen. Denn Streuobstwiesen erhalten nicht nur die Biodiversität, sondern bremsen den Klimawandel mit ihrer CO2-Bindung“, erklärt er.
Für die Pflege der Streuobstwiese und die extensive Grünlandnutzung bekommen sie über den Vertragsnaturschutz Geld.
Zwei Radfahrer pflücken ein paar Äpfel. „Kein Problem, aber Wagenladungen sollten hier nicht raus“, sagt Tobias. Denn im Herbst sammelt er mit seinen ehemaligen Bonner Kommilitonen die Früchte. In einer nahen Brennerei werden die Äpfel dann zu einem Brand veredelt.
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