Auf einem großen Schild am Dorfeingang von Arnsberg-Voßwinkel im Hochsauerlandkreis steht „Dorf der schlauen Füchse“. Dieses Jahr könnte dort auch „Dorf ohne König“ stehen. Denn in Voßwinkel blieb der Vogel dieses Jahr oben. „Wir hatten in den Jahren vor Corona schon immer nur einen Anwärter auf die Königswürde“, erzählt Matthias Winkler, Oberst und 1. Vorsitzender der Schützenbruderschaft St. Johannes.
Dass der Vogel irgendwann mal im Kugelfang hängen bleibt und sich kein König findet, kam für den 49-Jährigen deshalb nicht überraschend.
Vorstand springt nicht ein
Aus der Vorstandsriege sprang niemand ein. „Ich möchte den Vorstand raushalten. Wenn einer von ihnen schießen will, kann er das gerne machen. Aber es wird keiner gezwungen“, steht der Oberst hinter seiner Entscheidung.
Dabei sah es anfangs noch ganz gut aus unter der Voßwinkeler Vogelstange am dritten Montag im Juni. Denn als es um die Insignien des Vogels ging, standen noch zahlreiche Schützenbrüder am Schießstand. Doch als Reichsapfel und Zepter unten lagen, lichteten sich die Reihen schnell.
„Wir haben dann etwa eine gute Stunde gewartet, uns im Vorstand kurz beraten und dann durchgesagt, dass wir jetzt noch 20 Minuten warten werden“, erinnert sich Matthias Winkler. „Dass wir danach wirklich ohne neuen König zur Schützenhalle marschieren, konnten einige nicht glauben.“ In der Halle angekommen, herrschte Totenstille. „Das war schon fast gruselig“, erzählt der Voßwinkeler.
Manche dachten, das Fest „wäre jetzt gelaufen und wird abgebrochen“. Doch abbrechen wollte der Oberst nicht. Zwar hatte die Bruderschaft keinen neuen Schützenkönig, aber immerhin einen Kinderkönig und eine neue Jungschützenkönigin.
Den Vogel verbrannt
Warum es in diesem Jahr keinen Königsanwärter in dem 2300-Seelen-Dorf gab, kann Matthias Winkler nicht genau sagen. „Es sind viele Faktoren zusammengekommen“, mutmaßt er. Es waren weniger Voßwinkler überhaupt auf dem Schützenfest, weil sie selbst, Angehörige oder für den Hofstaat vorgesehene Freunde Corona hatten. Einige Bürger blieben zu Hause, weil ihr Urlaub bevorstand und sie sich nicht anstecken wollten. „Vielleicht wollte auch keiner schießen, weil er Sorge hatte, dass er wieder zwei oder drei Jahre lang Schützenkönig ist, sollte das Fest nächstes Jahr wieder ausfallen“, lautet eine weitere Theorie des Obersts.
An den Kosten, so Matthias Winkler, läge es nicht. Denn in Voßwinkel bekommt der neue König 3000 € Schussgeld als Unterstützung. Ein Teil kommt vom Verein und ein Teil von den über 700 Mitgliedern der Bruderschaft. „Vor einigen Jahren hatte ein Schützenbruder die Idee, den Mitgliedsbeitrag um 2 € zu erhöhen und das Geld als Schussgeld zu nutzen.“ Woran es gelegen hat, will der Vorstand Ende des Jahres mit einer Umfrage versuchen herauszubekommen.
Und was ist mit dem Vogel passiert? „Den haben wir eine Woche nach dem Schützenfest bei unserer internen Abrechnung verbrannt“, erzählt er. Im kommenden Jahr wird es dann einen neuen Vogel geben, der dann hoffentlich wieder „fliegen“ darf.
Das Fest fällt flach
Weiter nördlich in Welver-Borgeln im Kreis Soest gab es in diesem Jahr nicht nur keinen neuen König, sondern das ganze Fest musste kurzfristig ausfallen. Dabei zog der Spielmannszug auf Fronleichnam schon zum Wecken durch den 1000-Einwohner-Ort. Die Straßen waren festlich mit Birkenzweigen geschmückt. Die 330 Schützen des Schützenvereins Borgeln wollten endlich nach zwei Jahren Pause wieder einen neuen König ausschießen und ihn am darauffolgenden Samstag feiern.
Doch dann kam alles anders: Zwei Tage vor dem Fest sagte eine eingeplante Blaskapelle wegen Corona ab. Auch im 17-köpfigen Vorstand waren mehrere erkrankt, davon zwei aus der Geschäftsführung. Zwei Coronafälle wurden erst drei Stunden vor dem Antreten bekannt. Der restliche Vorstand sammelte sich vor der Schützenhalle. „Innerhalb von 60 Minuten war einstimmig klar: Wir lassen das Fest ausfallen“, erinnert sich Ulrich Walter, Kommandeur des Schützenvereins.
Denn auf dem Fest wollten sie viele ältere Schützen ehren. „Wir wollten niemand gefährden“, ergänzt er. Entscheidend war aber, dass der gesamte Vorstand die Tage zuvor viel Zeit miteinander verbrachte hatte, um das Fest vorzubereiten. Die Gefahr, dass weitere Vorstandsmitglieder sich angesteckt hatten, war groß. „Das ganze Fest hängt am Vorstand. Jedes Mitglied hat seine Aufgabe. Wenn jemand ausfällt, wird es schwierig. Denn wir geben kaum etwas in fremde Hände“, betont Kassierer Carsten Deutschmann.
Binnen weniger Stunden verbreitete sich die Hiobsbotschaft per Radio und sozialen Medien. Die Enttäuschung im Ort war groß. In manchen Gärten hatten sich schon Gruppen gesammelt voller Vorfreude auf das Fest. Mancher Dorfbewohner war sauer und beschimpfte die Vorstandsmitglieder sogar.
Doch sie ließen sich nicht beirren und gingen mit dieser Entscheidung ein finanzielles Risiko ein: Sie mussten Caterer, Musik und Thekenteam bezahlen. „Die meisten waren kulant und haben nicht den vollen Preis genommen. Gemeinsam mit dem Imbissbetreiber verkauften wir noch das Grillgut im Dorf“, erzählt der zweite Vorsitzende Yannik Krüger.
Der Ausfall kann dem Verein laut dem Kassierer einen Verlust im hohen vierstelligen Bereich bescheren. Der Vorstand hatte im Vorfeld das Soforthilfeprogramm „Neustart miteinander“ des NRW-Heimatministeriums beantragt, in dem Vereine bis zu 10 000 € Unterstützung erhalten können. „Voraussetzung ist, dass wir das Fest feiern“, sagt Carsten Deutschmann und ergänzt: „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Unsere Halle ist frisch renoviert.“ Daher planen sie im Oktober ein Schützenfest light: An einem Samstag soll der neue König ausgeschossen werden und am selben Abend der Festball stattfinden.
Ein König in Quarantäne
Ortswechsel: Eine neue Majestät gab es in diesem Jahr wieder in Lichtenau-Herbram im Kreis Paderborn. Klaus-Dieter Löhr holte mit dem 158. Schuss den Vogel runter. Am Abend feiert er mit seiner Frau als Königin und den 260 Schützen des Heimatschutzvereins Herbram. Doch drei Wochen später zum geplanten Schützenfest hatte sich das Königspaar mit Corona infiziert.
Kurzerhand mussten Oberst Elmar Koch und sein Vorstandsteam umplanen. Beim Umzug marschierten sie am Haus des Königs vorbei. Der König stand in Uniform mit seiner Königin vor der Haustür. „Wir salutierten und senkten die Fahne, marschierten dann aber umgehend weiter“, erzählt der Oberst.
Insgesamt waren weniger Gäste in der Halle als sonst. Vor allem Ältere und Schützen, die in den Urlaub wollten, blieben zu Hause. „Die Gastvereine hatten zum Festumzug am Sonntag abgesagt. Sie hatten noch Infizierte von anderen Schützenfesten“, sagt Elmar Koch. Im nächsten Jahr wird kein neuer König gekürt, der diesjährige bleibt im Amt. Der Thron wird dann wieder besetzt und die Halle voll sein. Da ist Elmar Koch sich sicher.
Lesen Sie mehr: