Dr. Kerstin Keunecke, Bereichsleiterin Milchwirtschaft bei der Agrarmarkt Informationsgesellschaft (AMI), rechnet für das Milchjahr 2023 mit folgenden Entwicklungen:
"Der Milchmarkt startet 2023 in einem schwächeren Umfeld. Denn die Preise für Versandmilch und Industrieprodukte haben sich von ihren zuvor erreichten Spitzenwerten mittlerweile weit entfernt. Ein Marktindikator ist die Verwertung aus Butter und Magermilchpulver, der ife Rohstoffwert. Dieser hat gegenüber seinem Allzeithoch von April bis November 2022 rund ein Viertel an Wert verloren und dürfte sich Anfang 2023 unterhalb der 50-Cent-Marke bewegen.
Damit ist der Takt für die Milcherzeugerpreise vorgegeben und ab dem neuen Jahr ist bei ihnen mit deutlichen Einbußen zu rechnen. Diese werden vor allem in Regionen, die sich aufgrund ihres Produktportfolios am ife Rohstoffwert orientieren, überdurchschnittlich hoch ausfallen. Genauso schnell wie die Auszahlungsleistungen der norddeutschen Molkereien auf mehr als 60 Cent/kg gestiegen sind, dürfte es nun in die andere Richtung gehen.
Die längerfristigen Verträge mit dem Lebensmitteleinzelhandel werden den Preisrückgang hingegen etwas abmildern, wenn auch nicht vollständig aufheben. Daran werden vor allem Milcherzeuger im Süden und Westen der Republik partizipieren.
Ursache für den Abwärtstrend auf der Verarbeitungsebene ist eine weltweit schwache Nachfrage, der ein zunehmendes Angebot gegenübersteht. In Deutschland liegt das Rohstoffaufkommen Ende 2022 gut 2 % über dem Vorjahresniveau. Auch EU-weit und in den USA wird mehr Milch angeliefert. Damit der Markt ins Gleichgewicht kommt, müsste die Nachfrage anziehen. Diese wird jedoch von der schwächelnden Weltwirtschaft ausgebremst.
Andererseits könnte das gesunkene Preisniveau die Nachfrage stimulieren, so ist Magermilchpulver aus der EU am Weltmarkt mittlerweile wieder wettbewerbsfähig. Auch die Lockerung der Null-Covid-Politik in China, dem weltgrößten Importeur von Molkereiprodukten, wecken bei den Exporteuren die Hoffnung, dass der Markt angekurbelt wird und das Reich der Mitte seine Einfuhren steigert."
Claus Naarmann, Geschäftsführer der Privatmolkerei Naarmann, gibt diesen Ausblick:
"Wir erwarten für 2023 eine sehr unübersichtliche Marktentwicklung. Einzelne Milchverwertungen, die bereits vor einigen Wochen im Rahmen der üblichen Lebenmitteleinzelhandel-Kontrakte verhandelt sind, wirken sich positiv auf das Milchgeld aus, während Anfang des Jahres auslaufende Kontrakte und stark fallende Großhandelspreise die Erwartung in die andere Richtung treiben.
Die Gastronomie hat sich nach Corona insgesamt wieder positiv entwickelt, auch, wenn die Essenszahlen in einigen Teilbereichen, wie der Gemeinschaftsgastronomie (große Kantinen), zum Beispiel aufgrund von Homeoffice weiter hinter den Zahlen von 2019 zurückbleiben. Dazu kommt die Preisentwicklung bei Nahrungsmitteln, die neben Energiepreisen und der Verfügbarkeit von Arbeitskräften einen großen Kostendruck auf die Gastronomie ausübt. Teilweise wird berichtet, dass Gastronomen Öffnungszeiten einschränken, das Speisenangebot deutlich reduzieren oder sogar verstärkt über eine Geschäftsaufgabe nachdenken. Zuletzt muss sicherlich abgewartet werden, inwieweit die Gäste ihre Nachfrage aufgrund der allgemein gestiegenen Kosten reduzieren.
Im Bereich der Milchalternativen erwarten wir weiterhin ein Wachstum, wenn auch nicht mit der gleichen Dynamik wie in den Vorjahren. Aufgrund der hohen Milchpreise rechnen wir damit, dass die Konsumenten allein aufgrund des Preises zu günstigeren pflanzlichen Alternativen greifen."
Das sagt Gerd Schmäh, Vorsitzender der MEG Moers:
"Rund 80 Mio. kg Milch bündelt die Milcherzeugergemeinschaft (MEG) Moers mit insgesamt 82 Mitgliedern. Wir sind die größte Liefergemeinschaft, die an die Privatmolkerei Moers liefert. Etwa 14 Mio. kg Milch mit dem Label „Für mehr Tierschutz“ (TSL) des Tierschutzbundes sind in der Milchmenge inbegriffen.
Die Privatmolkerei Moers beliefert vor allem den Lebensmitteleinzelhandel mit Eigenmarken. Damit sehen wir uns gut aufgestellt. Denn momentan wird die TSL-Milch, genau wie die konventionelle, gut nachgefragt. Verbraucher greifen im Regal eher weniger zur Biomilch.
Dennoch rechnen auch wir mit leicht fallenden Milchpreisen. Die Preise verhandeln wir etwa alle drei Monate mit den Vertretern der verschiedenen MEGs und den Einkaufsleitern der Molkerei. Dabei geht es oft heiß her. Die MEG Moers gehört zur Bayern MEG. Der Geschäftsführer ist auch bei jeder Preisverhandlung dabei. Das hilft uns sehr in der Diskussion.
Zurück zu einer Genossenschaft und kein Mitspracherecht bei der Preisfindung für die Milch ist für mich unvorstellbar. Bei uns halten sich die Milchpreise, bis eine Seite nachverhandeln möchte. So wie aktuell: Die nächste Verhandlung findet Anfang Februar statt.
Das Positive an einer Privatmolkerei: Die Reaktionen auf neue Marktgegebenheiten funktionieren extrem schnell.
Einzelne Landwirte unserer Liefergemeinschaft würden 2023 gerne auf höhere Haltungsformen umstellen. Gerade die TSL-Milch bringt bis zu 4 Cent/kg Milch mehr. Allerdings scheint der Markt für diese Milch vorläufig gesättigt. Das Einkaufsverhalten der Verbraucher müssen wir weiter beobachten."
Lesen Sie mehr: