Hinter Mario Frese liegen spannende neun Monate zurück. Sein Hof ist seit Dezember 2021 die erste deutsche „Klima-Milchfarm“. Das Projekt wurde von Nestlé Deutschland, der Molkerei Hochwald und der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) ins Leben gerufen. Ziel soll es sein, den CO2-Fußabdruck des Kuhbetriebes innerhalb von drei Jahren rechnerisch auf netto-null Emissionen zu reduzieren. Einblicke dazu gab es am Montag dieser Woche bei einer Pressekonferenz auf dem Betrieb in Mörshausen.
Betrieb dient als Vorbild
Auf die Frage, warum ausgerechnet der Betrieb Frese für das Pilotprojekt ausgewählt wurde, antwortete Helmut Stuck, Leiter der Hochwald-Milchverwaltung: „Wir suchten einen repräsentativen Hof mit durchschnittlichen Leistungen, der gut für die Zukunft aufgestellt ist.“ 130 Kühe inklusive weiblicher Nachzucht zählen zum Bestand. Die mittlere Milchleistung liegt bei knapp 10 000 kg pro Jahr. Zum Betrieb gehören 220 ha, davon sind rund 60 ha Grünland.
Angestrebt wird, dass der Hof des 41-Jährigen als Vorbild dient und künftig andere Landwirte von den Erkenntnissen aus der Praxis profitieren. In der Startphase ging es in erster Linie darum, festzustellen wo überhaupt Emissionen auf dem Milchviehbetrieb entstehen. Die Projektbeteiligten holten sich Unterstützung aus der Wissenschaft und „durchleuchteten“ den kompletten Betrieb auf mögliche Treibhausgas-Quellen. Somit konnte genau ermittelt werden, wie viele Tonnen CO2-Äquivalente (eq) pro Jahr bei Freses anfallen. Auf die Milch umgerechnet sind das momentan 1,07 kg CO2eq pro kg – ein recht niedriger Wert. Berechnungen zeigen, dass ein mittlerer deutscher Kuhbetrieb zwischen 1,2 und 1,5 CO2eq pro kg Milch verursacht.
Da die Milchproduktion niemals komplett Klimaneutral sein kann, dienen Maßnahmen im Acker- und Grünland, als potenzielle CO2eq-Speicher, um verbliebene Emissionen zu binden. Einiges wurde bereits bei Frese umgesetzt, um an der Klima-Schraube zu drehen:
- Tierernährung: Optimales Futter ist besser verwertbar. Als Folge geben die Kühe mehr Milch, die Emissionen pro kg sinken. Umfangreiche Futteranalysepläne wurden bereits erstellt. Zudem ein Futterranschieberoboter installiert, um zu garantieren, dass die Kühe kontinuierlich Zugang zum Futter haben. In Planung steht der Einsatz eines Methan-reduzierendem Futterzusatzstoffes.
- Haltung: Die Lebensleistung steht nun mehr im Fokus. Bislang schafften die Kühe bei Frese drei Laktationen. Lebt eine Kuh länger, wird weniger Nachzucht benötigt und umso mehr Milch gibt sie in Summe. Eine aktuelle Maßnahme ist das Nachrüsten von erhöhten Fressständen. Damit erhoffen sich die Projektverantwortlichen eine Verbesserung der Klauengesundheit, mehr Tierwohl und somit eine längere Nutzungsdauer.
- Ackerbau: Anstelle von Mineraldünger wird mehr mit Gülle und Mist gedüngt, der Anteil an Leguminosen erhöht und mehr Landschaftselemente wie Hecken, Feldgehölze und Blühstreifen gepflanzt.
Ziel: Treibhausgase senken
Die Idee der Klimafarm stammt von Nestlé. Der Nahrungsmittelkonzern möchte bis 2050 die grüne Null erreichen – sprich klimaneutral entlang der gesamten Wertschöpfungskette werden. Mehr als 45 Pilotbetriebe nehmen weltweit an der Studie teil. Hochwald hingegen versorgt Nestlé unter anderem mit Mozzarella-Käse für Wagner Pizzen. „So gesehen ist Milch der wichtigste Rohstoff für Nestlé, verursacht allerdings auch die meisten Treibhausgase in unserer Lieferkette“, erklärte Marc Boersch, Vorstandsvorsitzender von Nestlé Deutschland.
Für Hochwald ist das Projekt ebenfalls wegweisend, denn auch die Molkerei verfolgt ambitionierte Ziele in Richtung Klimaneutralität: diese sollen bereits 2042 umgesetzt sein. „Die Klima-Milchfarm auf dem Hof unseres Genossenschaftsmitgliedes passt gut zu unserer strategischen Ausrichtung, die wir 2017 neu definierten“, betonte Detlef Latka. Hier bezog sich der Hochwald-Geschäftsführer auf das Nachhaltigkeitsprogramm der Molkerei (Cool Farm Tool). Dieses beinhaltet schon jetzt emissionsschonende Maßnahmen, um den Fußabdruck der Erzeugerbetriebe zu reduzieren. Mit dem Tool werden die Treibhausgasemissionen auf dem Höfen und die Kohlenstoffbindung im Boden quantifiziert. Erreichen die Lieferanten gewisse Standards, erhalten sie einen Zuschlag in Cent je kg zum Milchgeld.
Von dem gemeinschaftlichen Vorhaben erhoffen sich alle Beteiligten mehr Daten, nicht nur im Bereich Ökologie, sondern auch aus ökonomischer Sicht. Denn das Umsetzen der Maßnahmen kostet Geld. Inwiefern Verbraucher bereit sind, mehr für klimaneutrale Milcherzeugnisse oder beispielsweise Pizzen zu bezahlen, soll ebenfalls Bestandteil des Projektes sein.
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