Rund 630 ha umfasst das Jagdrevier Dreislar bei Medebach im Hochsauerlandkreis. Fast 60 ha der von Grünland geprägten Region wurden in den vergangenen Wochen von Schwarzwild „gezeichnet“.
Egal, wo man durch das Revier fährt, quasi überall fallen die großflächigen Narbenschäden ins Auge. „So etwas habe ich hier noch nicht erlebt“, sagt Alfons Brocke aus Medebach-Dreislar. Er ist bestätigter Jagdaufseher in dem Revier vor Ort. Betrug der Wildschaden 2018/19 rund 7000€, geht Brocke für 2019/20 von 40.000 bis 60.000 € aus. Und bis zum Ende des Jagdjahres am 31. März 2020 werden vermutlich weitere Schadflächen hinzukommen. „Die derzeitigen Schwarzwildschäden im Grünland sind für die Landwirte und die Jagdpächter unerträglich und nicht mehr zumutbar“, so sein Fazit.
„Unhaltbarer Zustand“
„Intensive Bejagung auf dem Grünland bei gleichzeitiger Jagdruhe in den anliegenden Wäldern“, lautete die Empfehlung, die kürzlich noch auf dem Bergischen Grünlandtag gegeben wurde. Doch das sieht Brocke anders: „Die Jagdpächter der Feldreviere werden allein das Problem nicht lösen können. Hier sind auch die Pächter der Waldreviere gefordert.
Doch da passiert gar nichts“, bringt er es auf den Punkt – oder zumindest viel zu wenig. „Während in den Feldrevieren im vergangenen Jagdjahr 12 Stück Schwarzwild/100 ha zur Strecke kamen, waren es in den angrenzenden Waldrevieren nur 0,5 bis 1,2 Stück Schwarzwild/100 ha.“ Brocke weiter: „Die Waldreviere haben kein Interesse und keine Not, intensiv in den Schwarzwildbestand einzugreifen. Und Behörden und Politik fehlt es an Interesse, diesen unhaltbaren Zustand zu ändern.“ Dabei liegen viele Reviere im EU- Vogelschutzgebiet „Medebacher Bucht“, wo seit vielen Jahren versucht wird, die Artenvielfalt im Grünland durch extensive Bewirtschaftung zu erhalten. „Diese wird nun zunehmend vom Schwarzwild zerstört“, so Brocke.
Revierübergreifend versagt?
Der stark überhöhte Schwarzwildbestand in der Region hatte den Jagdaufseher 2011 veranlasst, eine nicht nur revier-, sondern sogar länderübergreifende Jagd auf Schwarzwild zu organisieren; schließlich befindet sich die Medebacher Bucht im westfälisch- hessischen Grenzgebiet. An der Jagd beteiligten sich damals 24 Reviere mit insgesamt rund 12.500 ha Jagdfläche; auf der Strecke lagen 144 (!) Stück Schwarzwild. Freigegeben waren damals nur Frischlinge und nicht führende Überläufer bis maximal 40 kg.
Im darauffolgendenJahr gründete sich auf Anregung Brockes die „Interessengemeinschaft Schwarzwild“. Als gemeinsames Ziel verständigten sich die beteiligten Revierinhaber darauf, bei der Schwarzwild-Jahresstrecke ein Verhältnis von 70% Frischlingen, 20% Überläufern, 5% Bachen sowie 5% Keilern anzustreben.
In Spitzenzeiten gehörten der Interessengemeinschaft mal 150 Reviere mit insgesamt rund 55.000 ha Jagdfläche je zur Hälfte in NRW und Hessen an. Doch das Interesse an revierübergreifenden Schwarzwildjagden ist massiv eingebrochen. Das bestätigt Peter Markett. Seit rund drei Jahren leitet er das Projekt „Beratende Berufsjäger NRW“ und bietet kostenlos fachkundige Beratung und Unterstützung an, um zum Beispiel überhandnehmende Schalenwildbestände in den Griff zu bekommen. „Es gab in der Vergangenheit Wochen, wo ich zur Thematik ,revierübergreifende Schwarzwildjagd‘ jeden Abend einen Vortrag hatte“, berichtet er rückblickend. Doch das ist kein Lieblingsthema der Jäger, hat er die Erfahrung gemacht.
„Verzwergung“ der Bestände
Als Fehler bezeichnet Brockedie bundesweite Aufhebung der Schonzeiten für Schwarzwild. „Die Ergebnisse zeigen bereits schon jetzt sehr deutlich, dass die erhoffte Bestandsreduzierung nicht stattgefunden hat, sondern genau das Gegenteil erreicht wurde“, betont der Praktiker. Das bevorzugte Erlegen von stärkeren und älteren Stücken hat seiner Ansicht nach zur Verjüngung der Gesamtpopulation geführt mit der negativen Folge, dass die Bestände desorganisiert und dynamisiert wurden.
Brocke spricht von einem „wahren Förderprogramm zur Bestandsexplosion“. „Führungsbachen gibt es nicht mehr“, bestätigt Peter Markett. In Expertenkreisen werde gar von einer „Verzwergung“ der Schwarzwildbestände gesprochen – mit den entsprechenden Konsequenzen. „Wer den Schwarzwildbestand wirklich regulieren will, muss mindestens 75% der Frischlinge erlegen“, vertritt der Berufsjäger nach wie vor die Auffassung. In dieser Altersklasse laufe der „Motor der Population” auf Hochtouren.
Markett war 2011 als Experte bei den Vorbesprechungen zur revierübergreifenden Schwarzwildbejagung dabei, ebenso der mittlerweile verstorbene Schwarzwildexperte Norbert Happ. Beide warnten damals: „Wenn sich die Jäger nicht großflächig auf eine Einheitlichkeit biologisch richtiger Bejagung einigen können, ist jeder Versuch, Bestand und Schäden in den Griff zu bekommen, von vornherein für die Katz. Erfolgt keine begrenzte Freigabe, stehen die Erfolge und die Sinnhaftigkeit der durchgeführten Jagden – nachhaltige Bestandsreduktion – infrage. Die negativen Folgen können gravierender sein als vor der Jagd.“ Die Praxis scheint dies nun zu belegen. Brocke: „So kann es nicht weitergehen.“
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