„Es gibt keine zweite Chance für die Fleischbranche. Corona hat wie ein Brennglas die Schwächen hervorgebracht. Und es ist auch keine Tönnies-Frage, sondern eine System-Frage. Die Branche ist nicht krisenfest.“ Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner machte beim Pressegespräch nach dem „Branchengespräch Fleisch“ heute in Düsseldorf klar, um was es geht.
Tönnies per Videoschaltung dabei
Zuvor hatte sie mit Vertretern von 30 Organisationen über die aktuelle Lage auf den Schlachtstätten und den tierhaltenden Betrieben, Dumping-Preise und Lockangebote des Handels sowie Tierwohlstandards und Ställe der Zukunft gesprochen. Die Organisationen kamen aus der gesamten Kette: Politik, Landwirtschaft, Verarbeitung, Handel und Verbraucher. Clemens Tönnies sei per Videoschalte dabei gewesen, Vertreter von Edeka sowie Lidl hätten sich trotz Einladung nicht eingeladen gefühlt, so Klöckner. Die Diskussion sei konstruktiv und gut gewesen, teilweise strittig und emotional.
Die Gesprächsteilnehmer seien sich einig gewesen, dass es Veränderungen geben müsse: Mehr Tierwohl in Ställen, höhere Sozialstandards in Schlachtbetrieben, faire sowie ehrliche Preise im Handel und verantwortungsvolle Verbraucher seien die Grundlage für einen Neustart im Fleischgeschäft, insbesondere in der Schweinehaltung.
Alle einig: Tierwohlabgabe muss kommen
„Wir brauchen bessere Preise für Fleisch. Wir erleben aktuell ein Momentum, eine Chance, die Fleischbranche neu zu justieren. Das gehen wir an“, sagte Klöckner. Fleisch dürfe kein Luxusgut für Reiche sein, aber auch keine Alltags-Ramschware.
Der Preisdruck fange an der Theke an und ziehe sich bis zum Landwirt durch. Deshalb will die Ministerin ein Preiswerbeverbot für Fleisch prüfen. „Die Tierhaltung in Deutschland werden wir umbauen, Stallumbauten für mehr Tierwohl fördern. Aber wir benötigen ebenso eine Tierwohlabgabe auf Fleisch und Fleischverarbeitungsprodukte“, sagte Klöckner. Die Borchert-Kommission habe dazu gute Vorschläge geliefert.
Beim „Branchengespräch Fleisch“ hätten erstmals alle Organisationen einer Tierwohlabgabe auf Fleisch zugestimmt. Zudem will die Ministerin die Ergänzung durch eine Art staatliche Umstellungs- und Beibehaltungsprämie - analog zum Ökolandbau – prüfen für Landwirte, die in ihren Ställen für mehr Tierwohl sorgen.
Volle Zustimmung bekam sie von Barbara Otte-Kinast, Landwirtschaftsministerin aus Niedersachsen: „Wir bekennen uns ohne Wenn und Aber zur Tierhaltung. Aber nur zu einer Tierhaltung, die Umwelt, Tierwohl- und Sozialstandards in der Erzeugung und der nachgelagerten Verarbeitung einhält. So soll sie unserer Landwirtschaft den Weg zurück in die Mitte der Gesellschaft ebnen.“
Sollten Tierhalter abstocken?
Obwohl das Tönnies-Schlachtunternehmen aufgrund der Corona-Pandemie derzeit nicht läuft, gibt es noch keine grundsätzlichen Kapazitätsengpässe. Auch bei den Landwirten ist die Situation noch verkraftbar, sagte NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser. „Alle sind sehr flexibel, deshalb klappt es.“ Das ist nicht selbstverständlich. Denn in NRW und Niedersachsen gibt es rund 12.000 schweinehaltende Betriebe mit mehr als 15 Mio. Schweinen – das sind rund 60 % der Betriebe und Tiere in Deutschland.
Sorge bereitet der Ministerin allerdings, wenn zwei große Schlachtunternehmen parallel schließen müssten. Dann könne es Probleme geben. Deshalb will Heinen-Esser die regionalen Erzeugungs-, Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen im Fleischbereich besser fördern. Zudem könnte eine Lösung sein, dass Landwirte ihre Tierbestände reduzieren, um den Druck zu verringern. Auf Wochenblatt-Nachfrage, wie das konkret ablaufen soll, verdeutlichte die Ministerin, dass Bestandsabbau natürlich nicht kurzfristig möglich sei. Aber beispielsweise könnten Landwirte weniger Ferkel aus dem Ausland importieren.
Was sagt der WLV?
WLV-Präsident Hubertus Beringmeier war beim Branchengespräch Fleisch dabei. Er gab ein klares Bekenntnis zu den Empfehlungen der Borchert-Kommission und zur geplanten Nutztierstrategie ab, sagt aber auch: "Noch ist die Nutztierstrategie nicht in trockenen Tüchern. Ich habe meine Bedingungen klar formuliert: 1. Finanzierung muss stehen. 2. Genehmigungen müssen möglich sein, auch für vorhandene Ställe. 3. 20-jährige Übergangszeit. 4. Stufe 1 des Tierwohllabels darf nicht wesentlich über ITW hinausgehen. Mehrkosten müssen ausgeglichen werden. Die Alternative wäre Ordnungsrecht! Das sollte allen klar sein."
Die drei Ministerinnen haben ein Perspektiven-Papier “Fleischwirtschaft vom Stall bis zum Teller“ erstellt,
Bereits im Vorfeld hatten NRW und Niedersachsen einen 10-Punkte-Plan für bessere Bedingungen in der Fleischwirtschaft veröffentlicht.